Heinz Rudolf Kunze: „Saldo mortale – Texte 2007-2009“

Heinz Rudolf Kunze: "Saldo mortale - Texte 2007-2009"Ich möchte einen Text machen
über nichts
oder genauer über das Nichts
oder ist einfach
„nichts“ genauer
nichts ist genauer nichts als das Nichts
und das genau ist mein Problem
man kann keinen Text machen
über nichts
oder das Nichts.

Und genau so hat Kunze einen Text über nichts gemacht oder genauer über das Nichts.

Mit „Saldo mortale“ ist jetzt der aktuelle Band mit Liedtexten von Heinz Rudolf Kunze im Ch. Links-Verlag erschienen. In gewohnt meisterhafter Manier spielt Kunze mit den Worten, mit Gedankensplittern, die sich zu einem neuen Ganzen zusammen setzen und so auf spielerische Weise einen ganz neuen, überraschenden Sinn ergeben.

Kunzes Lieder sind politisch, und in einer von wirtschaftlichen Krisen, Sinnkrisen und Politikverdrossenheit gebeutelten Zeit lassen sich eigentlich nur noch politische Lieder schreiben. Lieder und Texte, die an eine Gesellschaft gewandt sind, die ihre Gleichgültigkeit und ihre Wertefreiheit als Erfolg feiert.

Der Krieg kehrt zurück auf die deutsche Fernsehschirme, Deutschlands Staatsgrenzen und Interessen beginnen neuerdings schon am Hindukusch, und auch Kunzes Texte drehen sich um den Krieg:

Die Deutschen haben den Krieg nicht verlernt
der Krieg geht weiter
als feige Freundschaft mit dem Feind
als freundliche Feigheit gegenüber dem Freund
den man sowieso nicht hat

Heinz Rudolf Kunze war noch nie der Typ, der statt eines Mikrofons lieber ein Blatt vor den Mund gehalten hätte, aber dieser Textband zeigt Kunzes Wut über die aktuellen Verhältnisse und die wachsenden Verwerfungen in unserer Gesellschaft.

Jenseits aller Ideologien und Modetrends schreibt Kunze seine Texte, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wer bei der Überschrift „Deutschland kocht“ nur an die allgegenwärtige Koch-Show denkt, liegt nur zur Hälfte richtig. Hier wird auch mit dem weich gekochten Einheitsbrei der Unterhaltungsindustrie abgerechnet, und wie immer sind Kunzes Texte auch hier herrlich doppeldeutig:

Deutschland kocht und Deutschland brodelt
siedet dünstet und frittiert
dazu wird gefeixt gejodelt
und geblödelt und paniert

Ein Gelafer und Gelichter
Zwichendurch Afghanistan
Lauter glänzende Gesichter
Und noch etwas Marzipan.

Deutschland kocht und Deutschland köchelt
Nudel hart und Birne weich
Wehe wenn die Schürze schwächelt
Der braucht Elke Heidenreich.

Trotz aller berechtigter Medienschelte: Elke Heidenreich bräuchten wir eigentlich alle. Nachdem ihre Sendung „Lesen!“ vom ZDF durch die schwächelnden „Vorleser“ abgelöst wurde, kann man sie zum Glück im Internet mit einer wöchentlichen Rezension auf LitCologne genießen.

Aber zurück zu Heinz Rudolf Kunze. Der Germanist und Philosoph, der Mann mit der Hornbrille, Jahrgang 1956, ist ein ernster Musiker und Texter. Ja, irgendwie passt er nicht so richtig in die üblichen Kategorien. Ist er ein Liedermacher? Ein rockiger Liedermacher? Ein Schlagersänger? – Kunze hat sich immer wieder neu erfunden, war mal mehr das Eine, mal das Andere.

Sein aktuelles Album heißt „Protest“, und hier finden wir gar nicht so viele politische Texte wie erwartet. Hier geht es viel um Liebe, um „längere Tage“ und den „Regen in meinem Gesicht“. Umso mehr sind die in „Saldo mortale“ versammelten Texte ein Beweis für die Vielseitigkeit des Künstlers.

Fazit: „Saldo mortale“ ist für Kunze-Fans natürlich Pflichtlektüre, keine Frage. Aber selbst wenn man die musikalische Umsetzung von Kunzes Liedern nicht mag, sind seine Texte auf jeden Fall lesenswert. Wenn man sie ganz allein für sich betrachtet, sind sie ein faszinierendes Schnappschuss unserer Gesellschaft und das Dokument einer Umbruch-Zeit.

 

Autor: Heinz Rudolf Kunze
Titel: „Saldo mortale – Texte 2007-2009“
Broschiert: 208 Seiten
Verlag: Ch. Links Verlag
ISBN-10: 3861535491
ISBN-13: 978-3861535492

 

Bei AMAZON kaufen

Bei LIBRI kaufen