Siegfried Lenz: „Der Anfang von etwas“

Am 17. März wurde Siegfried Lenz 85 Jahre alt. In diesem Alter könnte ein Schriftsteller sich entspannt zurücklehnen und auf sein Lebenswerk schauen.

Doch Siegfried Lenz ist ein großer Erzähler, der es sich selbst bei der Gala-Matinee, die das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen ihm zu Ehren veranstaltete, nicht nehmen ließ, einige Passagen aus seinem noch unveröffentlichten Manuskript vorzulesen.

Aus der Fülle seines Werks seien hier exemplarisch zwei aktuelle Erzählbände vorgestellt, die beide in Lenz’ Haus-Verlag Hoffmann & Campe erschienen sind.

Der schmale Band „Der Anfang von etwas“ umfasst acht Erzählungen, von denen sechs aus den Fünfziger und Sechziger Jahren stammen. Der leise Ton des Erzählers und das bewusst zurückgenommene Tempo der Geschichten verzaubern den Leser. Es sind kleine, vollkommene Schmuckstücke, die uns Siegfried Lenz hier vorlegt. Sie lassen im Fortlauf der Lektüre ein Bild vor unseren Augen entstehen, jedes Wort ist wohlgesetzt, der Erzähler positioniert die Informationen zielgenau wie aufgrund mathematischer Berechnungen.

Das ist die große Kunst Siegfried Lenz’, das Erzählen mit leiser Stimme, das Setzen einer leicht melancholischen Stimmung, das Wahrnehmen und Beschreiben der kleinen Bewegungen der Innen- und Außenwelt.

Es sind keine schönen Geschichten, die Siegfried Lenz hier erzählt, sie handeln oft vom Krieg und seinen Aus- und Nachwirkungen, von psychischer Leere und Entfremdung, von Angst und Gefahr. Und doch ist die Lektüre dieser Erzählungen ein ästhetischer Genuss, der auch in der zeitgenössischen Literatur nur schwer seinesgleichen findet.

Neben den schmalen Band „Der Anfang von etwas“ legen wir das mit 352 Seiten deutlich dickere gebundene Buch „Wasserwelten“, ebenfalls im Verlag Hoffmann & Campe erschienen. Hier versammelt der Hamburger Publizist, Redakteur und Autor Hanjo Kesting die schönsten Textpassagen von Siegfried Lenz, die am Meer, Strand, in Häfen und auf Inseln spielen.

Diese Auswahl scheint zunächst willkürlich, jedoch ist die Affinität des Autors zum Meer weithin bekannt. Nicht nur wollte der aus Ostpreußen stammende Lenz ursprünglich zur See fahren, sondern er lebt und schreibt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Hamburg und Dänemark. Das Wasser ist und war immer sein Element. So verwundert es nicht, dass seine Geschichten immer wieder vor allem an Schauplätzen spielen, wo das Wasser nicht weit ist.

„Wasserwelten“ teilt sich in sechs längere Abschnitte auf, abgeschlossen von einem Epilog. Neudeutsch würde man diese Collage von Texten aus dem Werk Siegfried Lenz’ als „Mash-up“ oder als „Remix“ bezeichnen. Doch diese Bezeichnungen werden der Qualität dieses Buches nicht gerecht. In der Tat handelt es sich um eine Komposition einzelner Textstellen, die am Ende, neu geordnet, einen Erzählband von höchster Präzision ergeben.

Siegfried Lenz’ meisterhafte Erzählkunst kommt vielleicht in diesem Collage-Text noch klarer zum Vorschein als in dem anderen Bändchen „Am Anfang von etwas“. Wenn selbst kurze Textabschnitte in der Lage sind, für ein großes Ganzes zu stehen und in Kombination mit anderen Quellen zu einer neuen Geschichte werden können, so spricht dies für die Qualität des Geschriebenen.

Die Meisten lernen Siegfried Lenz in der Schule kennen. „Die Deutschstunde“ hat längst Eingang gefunden in den Kanon der deutschen Gegenwartsliteratur. Doch die Stärke des Autors liegt vor allem in der kurzen Form, in der Erzählung und der Novelle. Diese zurzeit etwas aus der Mode gekommene literarische Form kann man bei Siegfried Lenz wieder kennen und schätzen lernen, denn er beherrscht das Erzählen meisterhaft.

„Wasserwelten“ ist der ideale Begleiter für einen Urlaub an der See. Es eignet sich auch hervorragend, um sich, quasi auf dem Wasserwege, dem Gesamtwerk von Siegfried Lenz zu nähern. Wer jedoch lieber abgeschlossene Erzählung genießen möchte, dem sei das schmale und hübsch gestaltete Bändchen „Der Anfang von etwas“ und sein Pendant „Die Flut ist pünktlich“ mit Meisterzählungen empfohlen. Wer dann so richtig auf den Geschmack gekommen ist, dem sei der Band „Die Erzählungen“ von Siegfried Lenz (mit mehr als 150 Erzählungen!) empfohlen, der 2006 – wie alle besprochenen Titel – im Verlag Hoffmann & Campe erschienen ist.

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Autor: Siegfried Lenz
Titel: „Der Anfang von etwas“
Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN-10: 3455401538
ISBN-13: 978-3455401530

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Autor: Siegfried Lenz
Titel: „Wasserwelten“
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN-10: 3455400485
ISBN-13: 978-3455400489

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