Wladimir Kaminer: „Meine kaukasische Schwiegermutter“

Frisches Obst und billige Prada-Taschen von Channel (mit zwei „N“!) gibt es nur an einem Ort auf der Welt – in diesem wohnt Wladimir Kaminers Schwiegermutter. In Borodinowka, um genau zu sein, mit einigen skurrilen Charakteren, obwohl besagte Schwiegermutter auch recht eigen ist, und frisch gekämmten Kühen. So macht uns der Klappentext des neuen Buches von Wladimir Kaminer neugierig.

Über die Einlösung des Versprechens, es sei alles so hinreißend erzählt, dass man sofort ein Freund des Dorfes wird, darüber kann man diskutieren.

Stimmt schon, es ist alles locker leicht geschrieben. Schmunzeln lässt sich auch, sind es doch andere Sitten und eine vollkommen andere Lebensart als in unserer Gegend der Welt, mit denen uns Kaminer bekannt macht. Manche Eigenschaften der kaukasischen Ureinwohner sind sogar richtig sympathisch, denn es gelten noch Werte, man hält in der Steppe zusammen, hilft sich gegenseitig.

„Meine kaukasische Schwiegermutter“ ist ein typischer Kaminer. Sein Schreib- und Erzählstil hat sich eigentlich nie sonderlich geändert. Egal ob „Russendisko“, „Helden des Alltags“, „Militärmusik“, „Meine russischen Nachbarn“, „Ich mache mir Sorgen, Mama“ oder „Es gab keinen Sex im Sozialismus“ – immer erzählt Wladimir Kaminer in einem lakonisch-ironischen Singsang von skurrilen Begebenheiten aus seiner unmittelbaren Umgebung.

Kaminer ist der Kishon vom Prenzlauer Berg. Seine Geschichten sind harmlos, hinter dieser behaglichen Wärmedecke des Belanglosen lauern jedoch menschliche Abgründe und der eisige Wind einer großen sozialen Kälte. Genau dieses Schillern und Durchschimmern widerlegt Kaminers vermeintliche Naivität und macht ihn zu einem wichtigen Autor und Zeitzeugen.

Das neue Buch hat viele lustige Stellen, die jedoch auch die Frage nach Übertreibung aufwerfen. Nehmen wir zum Beispiel die Geschichte von der Stromversorgung im Dorf der Schwiegermutter: Niemand zahlt hier für Strom, allein schon deshalb nicht, weil gar kein Geld für solche Dinge vorhanden ist. Also stammt der Strom von der nahe gelegenen Eisenbahnlinie. Selbstverständlich weiß die Eisenbahn davon, hält sich jedoch mit Konsequenzen zurück, da schließlich die Schwellen auch noch dort sind. Ein Stillhalte-Abkommen der kaukasischen Art.

Für uns Mitteleuropäer sind natürlich besonders die Schilderungen der fremden Lebensart Kaukasiens interessant. So beschreibt Kaminer mit wie viel persönlicher und hygienischer Freiheit auf der Straße Essen zubereitet wird. Er nennt es „Volksgastronomie“. Es handelt sich dabei um ein Konzept der Nahrungsversorgung an allen Plätzen, an denen Menschen warten müssen und somit Hunger bekommen könnten. Zum Schmunzeln, und es klingt zumindest realistisch.

Auch die Idee, mit Weinverkostungen das System zu revolutionieren, hat etwas für sich. Überhaupt sprüht Wladimir Kaminer wie immer mit einer guten Mischung aus westlichen und russischen Ideen. Aus dem leichten Abstand eines wohlwollenden Ethnografen beschreibt der Autor den Kaukasus und den kleinen Ort an der Steppenstraße mit Namen Borodinowka.

„Meine kaukasische Schwiegermutter“ macht Spaß. Es ist ein Buch zum Schmunzeln, liest sich leicht und auch durchaus interessant. Aufregend oder überraschend ist es hingegen nicht. Es ist genau das, was man erwartet: ein typischer „Kaminer“ von hoher Kaminer-Authentizität. Seine Fans werden begeistert sein, und wer ihn noch nicht kennt, kann durch die Lektüre leicht zum Fan werden.

Die Aufteilung in Geschichten macht es angenehm als parallel gelesenes Buch oder zur Nachtlektüre. Und am Ende glaubt man sogar, ein bisschen was gelernt zu haben. Nur ob die Geschichten aus der kaukasischen Schwiegermutterheimat wirklich wahr sind, wer weiß?! – Aber das ist auch nicht so wichtig.

[Rezensentin: C.S.]

Autor: Wladimir Kaminer
Titel: „Meine kaukasische Schwiegermutter“
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Manhattan
ISBN-10: 3442546567
ISBN-13: 978-3442546565

Hat Ihnen die Rezension weiter geholfen? – belletristiktipps ist ein unabhängiges Medium für Rezensionen von belletristischen Neuerscheinungen. Damit dies auch so bleiben kann, brauchen wir Ihre Unterstützung: Wenn Sie dieses Buch kaufen möchten, benutzen Sie bitte einen der folgenden Links oder unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer kleinen Spende. – Vielen Dank!


Bei BUCH.DE kaufen

Bei AMAZON kaufen


Bei LIBRI kaufen

Bei BOL kaufen