Uwe Tellkamps erster Roman ist eine Liebesgeschichte. Im Hecht, einem versteckten Gründerzeitviertel im Dresdner Norden, befindet sich das „Portugiesische Café“. Ein paar junge Leute haben das Ensemble Tango Verde gegründet und spielen oft in diesem Café.
Es ist die Geschichte von Florian und Sophie, die Geschichte eines Sommers und einer unerfüllten Liebe. Florian wohnt mit Johannes in einer WG im „Portugiesischen Café“, wie das ganze Haus genannt wird. Darüber wohnen Martin, der Maler, und Korra, dem das „Aquarium“, ein Antiquariat gehört. Dort arbeitet Florian, schreibt und liest Gedichte und versinkt in seine Traumwelt.
„In jenem Sommer war das Leben wunderbar einfach.“ Dresden besteht nur noch aus Licht, Düften und Gefühlen. Wie ein nach Norden versprengtes Stück Italien liegt die Stadt an der Elbe und bietet die ideale Kulisse für ein Sommermärchen.
An einem jener schwerelos und in perfekter Harmonie dahinfließenden Tage begegnet Florian Sophie. Sie zieht in das Portugiesische Café, in sein Haus, in die Wohnung nebenan. Sie wird begleitet von Philipp, ihrem Bruder, der beim Renovieren hilft.
Seine erste Begegnung mit Sophie empfindet Florian als schicksalhaft. Er ist von Sophies Schönheit verzaubert und saugt alle Einzelheiten dieser Situation bis ins kleinste Detail in sich auf. Die ersten Sätze sind schwer, belanglos, aber Florian und Sophie verstehen sich auch auf einer nonverbalen Ebene, fühlen sich zueinander hingezogen.
Sophie hat ihre Kindheit in Japan verbracht, hat dort ihre Liebe zu Haikus, jenen japanischen Kurzgedichten entdeckt, die mit wenigen Worten unendlich viel sagen können. Florian liebt Gedichte, er trägt sie auch manchmal an gemeinsamen Abenden im Portugiesischen Café vor. Und Haikus liebt er ganz besonders.
So kommen sie sich am ersten Abend näher, indem sie gemeinsam im Wechsel Haikus rezitieren. Sie genießen diese Magie des Augenblicks, das vollkommene Verschmelzen mit dem Ort und der Zeit, dieses Aufgehen in einem gemeinsamen Kosmos.
„Weithintragender Strom, Fluß der Geschichten und der Stimmen, des Gepflüsters vergangener Zeiten, weithintragender Strom…“
Tellkamps Sprache ist dabei bezaubernd altmodisch und unzeitgemäß. Er schreibt bewusst nach alter deutscher Rechtschreibung. Der Detailreichtum seiner Beschreibungen und die intrapersonalen Dialoge greifen in ihrem Stil weit zurück bis zur Zeit des allerersten psychologischen Romans der deutschen Literaturgeschichte, dem „Anton Reiser“ eines Karl Philipp Moritz. Der breite Strom und die Sinnlichkeit der Empfindungen lassen an Marcel Proust erinnern und die Lyrik mancher Passagen an Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff.
Wie in einem Fieberwahn, der alle Reize übergroß erscheinen lässt, beschreibt der Autor Florians Empfindungen, die Farben, Gerüche, Erlebnisse auf ihn haben. Selbst kleinste Empfindungen entwickeln ein Eigenleben, entfalten übergroße Kräfte, brennen sich in die Tiefen der Seele ein und dringen an den Ort vor, wo die Zeit zerteilt wird.
Die Geschichte geht weiter, Sophies Wohnung wird eingerichtet, die jungen Leute freunden sich an, Sophie lernt Martin, den Maler, kennen und Johannes, der vom Fliegen träumt, Karsten, Isabel und Tania, die im Café arbeiten, den alten Korra vom „Aquarium“.
Das Leben ist schön und friedlich im Hecht. Oft steht das Fenster offen, und man hört ein Klavier oder eine Geige. Das Viertel wird vom Duft der Akazien durchzogen, Lichter, Geräusche und Gerüche – eine „Musik der Augen“ nennt es Florian, und auch Sophie kann fühlen, „wie schön das ist“. Sie besucht Florian im „Aquarium“, und er zeigt ihr seine Welt. Sie schäkert mit ihm, und er spielt das Spiel mit, ganz langsam entfaltet sich die zarte Blüte der Liebe.
Florian ist von Sophies Schönheit derartig verzaubert, dass er nicht wagt, den nächsten Schritt zu gehen und seine Liebe zu gestehen. Vielleicht aus Angst vor einer Zurückweisung, vielleicht aus Angst vor der möglichen Wirklichkeit. So lebt und verweilt er in seinen Träumen, geht abends und nachts ruhelos durch die Straßen, lauscht Sophies Geigenspiel, nährt seine Liebe zu ihr, bleibt aber auf Distanz und ist sich ganz sicher, dass sie einen Freund oder einen Liebhaber haben muss. – Florian verweilt bewusst in seiner Ungewissheit, leidet jedoch nicht, sondern genießt diesen Schwebezustand.
Karsten, der selbst in Liebe zu Isabel entbrannt ist, drängt Florian, sich Sophie zu offenbaren, doch Florian zögert. Dabei denkt er die ganze Zeit an sie, vor allem seit sie auf Besuch zu ihren Eltern nach Hause gefahren ist: „Die Sonne ist einsam ohne Dich.“
Nach ihrer Rückkehr überrascht Sophie ihn mit ihrem Besuch. Sie hat Wein mitgebracht, möchte sich bedanken für seine Gedichte. Florian kann sich nicht öffnen, wie eine Mauer steht seine Traumwelt, sein permanentes Abgleiten in Fantasien und innere Dialoge, zwischen ihnen. – „Kannst Du lieben?“ fragt Sophie und erhält keine Antwort. Nachdem sie weg ist, klingen diese Worte und das soeben Erlebte in Florian nach und verstärken sich mit jeder Runde seiner Erinnerung. Wie „eine Vision, die keine ist – es ist etwas Wirklicheres als die Wirklichkeit“.
Uwe Tellkamp gelingt es, mit seinem Roman-Debüt eine zauberhafte Stimmung zu erzeugen, die ein kleines Biotop im Norden Dresdens beschreibt. Am liebsten möchte man sofort dorthin ziehen, in die alten Gründerzeitbauten, die so viel erlebt haben, und seinen Bewohnern, die sich gegenseitig zu nehmen wissen und gleichzeitig Nachbarn, Freunde und Lebensgefährten sind, die am Leben des Anderen aktiv Teil nehmen.
„Der Hecht, die Liebe und das Portugiesische Café“ ist die Geschichte einer fast verloren gegangenen Zeit. Sie wird durch Uwe Tellkamps Buch konserviert. Die Darstellung dieser träumerischen Sichtweise Florians, sein Blick auf die Welt, wie sie ist und was dahinter steht, sowie die Umsetzung der inneren Dialoge sind dem Autor hervorragend gelungen.
Wenn man dieses Buch liest, schärft man seine Sinne und bekommt einen Blick für den Detailreichtum der Welt um uns herum, ohne von der Fülle der Informationen überwältigt zu werden. Man lernt sie einzuordnen und zu genießen. In ihrer zauberhaften Leichtigkeit kann solch eine Weltsicht auch das eigene Leben bereichern.
Autor: Uwe Tellkamp
Titel: „Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café“
Gebundene Ausgabe: 158 Seiten
Verlag: Faber & Faber, Leipzig
ISBN-10: 3867301018
EAN: 978-3867301015