Tom Rachman: „Die Unperfekten“

Zeitungen werden von Menschen gemacht – noch. Längst haben die Tageszeitungen ihre goldenen Jahre hinter sich gelassen. Ihre Existenz ist bedroht durch die neuen Medien, durch einbrechende Werbeeinnahmen und Amateur-Journalisten sowie durch den Einkauf von preiswerten Inhalten bei großen Nachrichtenagenturen. Das Zeitungssterben hat längst begonnen und wird auch die kleine, renommierte italienische Tageszeitung treffen, die seit Jahrzehnten ihren Redaktionssitz in Rom hat.

Gegründet von Cyrus Ott, wird die Leitung von Generation zu Generation weitergegeben; aus der Zeitung wird ein kleines Wirtschaftsimperium, das jedoch spätestens mit dem Aufkommen des Internets seinen Abstieg beginnt.

Als schließlich der unfähige Sohn Oliver auf dem Chefsessel Platz nimmt, kümmert er sich lieber um seinen Hund Schopenhauer, als die Zeitung durch die Krise zu führen. Längst haben andere Kräfte im Konzern das Ruder übernommen und lassen die Zeitung, das Herzstück des Ott-Konzerns, sang und klanglos eingehen. Es ist das Ende einer Ära, ein bürokratischer Vorgang der synonym ist für das Sterben einer ganzen Branche.

Tom Rachman zeigt in „Die Unperfekten“, welche Menschen hinter einer Tageszeitung stecken. Die einzelnen Ressorts der Redaktion einer Tageszeitung dienen ihm als Rahmen für sein Geflecht aus aufeinander folgenden Geschichten und persönlichen Schicksalen. Schnell wird deutlich, wie verstrickt die Biografien dieser langjährigen Mitarbeiter miteinander sind.

Je weiter man im Text voran kommt, desto deutlicher wird, dass der Beruf und der immer wiederkehrende redaktionelle Arbeitsablauf bei der Herstellung einer Tageszeitung wie eine zweite Ebene über die persönlichen Lebensgeschichten gelegt wird und ihnen ein gleich bleibende Bühne für das eigene Drama bieten.

Tom Rachman zeigt uns Menschen, die einerseits in ihrem Beruf aufgehen und andererseits an ihren privaten Lebensumständen scheitern. In manchen Charakteren spiegelt sich der Aufstieg und Fall der Tageszeitungen wider als aufstrebende und wider absteigende Lebensspur. Es sind vom Leben gezeichnete Persönlichkeiten, deren Widersprüchlichkeit Tom Rachman gekonnt beschreibt und damit ihre Authentizität unterstreicht.

„Die Unperfekten“ sind alles andere als Versager. Sie sind perfekt auf ihren Arbeitsbereich eingespielte Profis, die pünktlich das gewünschte Material abliefern, anstatt sich im Streben nach Perfektion zu verlieren. Sie liefern das von Menschen gefertigte Produkt Zeitung, das im Begriff ist, sich durch die Möglichkeiten der neuen Technologien in ein kaltes und uninteressantes Nachrichtentableau zu verwandeln.

Es ist gerade die Unperfektion der von Menschen gemachten Tageszeitung, die ihren Reiz und ihre Wärme ausmacht. Ein perfektes Zeitungsprodukt ist langweilig und wird für den Leser zu einer beliebig zu konsumierenden, austauschbaren Ware. Eine Zeitung wird von Menschen gemacht, von einer Redaktion zusammen gestellt. Das ist heute noch so, aber es gibt auch schon andere Beispiele. Wir kennen alle die kostenlosen Tageszeitungen, die uns am U-Bahnhof, an den Bushaltestellen und im Einkaufszentrum entgegen gehalten werden wie saures Bier. Eigentlich sind es Anzeigenblättchen, die den Platz zwischen den Anzeigen mit Nachrichten-Splittern auffüllen. Nachrichten als Füllmaterial ohne Tiefgang, Retortenmeldungen aus den großen Nachrichtenagenturen. Wer sich ausschließlich durch diese Zeitungen informiert, leidet schon bald an informativer Unterernährung.

Sieht so die Zukunft der Zeitungsbranche aus? Wollen die Leute das? Über die sehr unterschiedliche Qualität von Nachrichten sagt Tom Rachman im Interview mit kulturbuchtipps: „Wenn die Meldungen in der Tageszeitung nur noch darüber berichten, welche Unterwäsche Britney Spears gerade trägt, dann bringt uns das auch nicht wirklich weiter. Es gibt sicherlich eine Menge Leute, die gern mehr über Britney Spears’ Unterwäsche erfahren möchten, und das ist auch in Ordnung, solange es auch die anderen Nachrichten gibt.

Wie steht es dann aber um die überregionalen Zeitungen? Können sie im Konkurrenzkampf mit Boulevard-Blättchen und kostenlosen Internet-Newsportalen mithalten? Ist die Ära der gedruckten Tageszeitung vorbei? Werden wir alle zu Konsumenten von Nachrichten-Junkfood? – Tom Rachman: „Vielleicht wird sich sogar die Mehrheit der Leser nur für Britney Spears interessieren. Aber eine starke Minderheit von vielleicht 10 bis 20 Prozent wird auch Wert legen auf professionellen Journalismus und fundiert recherchierte Artikel. Diese Minderheit ist intelligent und wird auch bereit sein, für diese professionellen Inhalte zu zahlen. Es werden also Leute wie Sie und ich sein, die lieber für Qualität zahlen als kostenlose Nachrichten zu erhalten, die nichts taugen.

Tom Rachman kennt sich in der Zeitungsbranche aus. Nach seinem Studium an der University of Toronto und der New Yorker Columbia University for Journalism arbeitete er viele Jahre als Auslandskorrespondent für Associated Press in Japan, Korea, Ägypten und der Türkei. Seit 2006 arbeitete er für die International Herald Tribune in Paris.

Zum Nachrichten-Journalismus kam ich eigentlich nur, weil ich es für einen guten Weg hielt, etwas von der Welt zu sehen.“ sagt Tom Rachman in unserem Interview. „Aber vom schriftstellerischen Aspekt her fand ich diese Arbeit niemals befriedigend; man produziert nur sehr oberflächliche Texte, die unter Zeitdruck geschrieben sind und nicht in die Tiefe der Dinge schauen lassen.

Während seiner Zeit bei der International Herald Tribune schrieb Rachman an seinem ersten Roman, „Die Unperfekten“. Es ist ein spannendes Buch, das nicht nur zeigt, wie es in der Zeitungsbranche zugeht, sondern auch von den Menschen erzählt, die hinter den täglichen Nachrichten stehen.

Von der internationalen Presse überschwänglich gelobt und auch in Deutschland heftig beworben, sind „Die Unperfekten“ ein spannendes Debüt eines jungen kanadischen Schriftstellers, von dem wir auch in Zukunft noch einiges hören werden. Rachman versteht sein Handwerk, er zeichnet lebendige und glaubwürdige Charaktere, die Geschichten sind spannend und leicht zu lesen.

„Die Unperfekten“ gehört eindeutig zu den interessanteren und lesenswerten Neuerscheinungen des Herbstes 2010. Ein Buch, das man erst aus der Hand legt, wenn man an seinem Ende angekommen ist.

Das vollständige Interview mit Tom Rachman können Sie hier nachlesen.

Autor: Tom Rachman
Titel: „Die Unperfekten“
Taschenbuch: 400 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423248211
ISBN-13: 978-3423248211

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