Um Freiheit und Glückseligkeit geht es auch dem englischen Freigeist Tom Hodgkinson. 1993 gründete er „The Idler“, ein „Magazin gegen die Arbeitsethik“. Darin verfassen Hodgkinson und seine Mitautoren regelmäßig einen fröhlichen Lobpreis des Müßiggangs in all seinen Facetten.
Wenn auf Deinem Grabstein steht: „Arbeit war sein Leben“, dann ist etwas grundlegend schief gelaufen. Die Arbeitsethik der westlichen zivilisierten Welt (aka spät-kapitalistisches Wirtschaftssystem aka calvinistisch-christliches Wirtschafts-Ethos) führt die meisten Menschen in die Irre: Immer mehr zu arbeiten, um immer mehr zu verdienen, um sich mehr leisten zu können,… – Diese konsumistische Philosophie, die das Glücksstreben ausschließlich am Konsum orientiert, weist in die falsche Richtung. Die Stimmen der Ankläger sind noch leise und vereinzelt, aber Gott sei Dank werden es mehr, nicht zuletzt dank Tom Hodgkinsons erstem Buch „Anleitung zum Müßiggang“.
Nun ist Buch Nummer zwei erschienen: „Die Kunst, frei zu sein“. Der Autor zeigt in klaren und einfach nach zu vollziehenden Schritten, wie man sich frei macht von den Zwängen einer durch und durch verkommenen Gesellschaft. Das System des Konsumismus hat versagt, und es ist Zeit, ihm eine Nase zu drehen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, empfahl schon Immanuel Kant. Tom Hodgkinson praktiziert dieses freie Denken seit vielen Jahren, und nun gibt er sein Wissen an die Leser weiter.
In 29 Aufforderungen wird der Leser an die Schwelle zu einem freieren Leben geführt. Man stelle sich vor, dass ein Banker dieses Buch liest! „Pfeif’ auf die Karriere und all ihre leeren Versprechungen“ lautet Tipp Nr. 4. oder noch besser Tipp 27: „Stürze die Tyrannei des Reichtums“! – Okay, vielleicht sind Banker auch nicht die richtige Zielgruppe für Hodgkinsons Buch.
„Die Kunst, frei zu sein“ ist erfrischend radikal und bedingungslos optimistisch. Menschen, die wirklich so konsequent und Schritt für Schritt den Ausstieg aus unserem wirtschaftlichen Kreislauf und aus dem Wohlstandssystem planen, kann man wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen.
Aber: Diese neue Grundhaltung, die dem wirtschaftlichen Wachstumsglauben entgegen tritt und den Teufelskreis von Profit und Konsum zu durchbrechen versucht, wird vor allem bei jungen Leuten mit Idealen auf Sympathie stoßen. Seit einigen Jahren ist von Nachhaltigkeit die Rede, einer Lebensweise, die Grenzen respektiert und uns nicht über unsere Verhältnisse leben lässt. Was für ökologische Bereiche gilt, kann auch auf andere Lebensbereiche ausgedehnt werden: Materielles, Besitz, Statussymbole. Auf diesem Umweg kommen wir auch wieder zu einer christlichen Lebensweise zurück, die den Wert des Menschen nicht nach seinem Besitz misst, sondern nach seinem Verhalten.
„Du hast alles, was Du brauchst“, sagt uns Tom Hodgkinson sinngemäß. Du musst Dich nur trauen, Dich von äußeren Einflüssen frei zu machen und Deiner eigenen Stimme zu vertrauen. Plötzlich klingt es wie der gute Ratschlag des Dalai Lama oder eines Gurus mit fernöstlicher Weisheit im Gepäck. Dass es bei Hodgkinson nicht so klingt, liegt wohl vor allem an seiner britischen Herkunft.
„And now for something completely different“, denkt man fast unweigerlich, wenn man Hodgkinsons Bücher in die Hand nimmt. Sein Schreibstil ist abgrundtief britisch, und sein Humor macht auch vor ernsten Themen nicht halt. So sollten Sachbücher, vor allem politische, immer sein. Dann wäre der Welt schon ein wenig geholfen.
Der bierernste und Fakten beladene deutsche Sachbuch-Stil hätte aus diesem Thema (Müßiggang und Freiheit statt Arbeit und Zwang) ein völlig anderes Buch gemacht. Sehr wahrscheinlich wäre ein Text heraus gekommen, der unsere Gesellschaftsordnung zunächst analysiert, dann kritisiert und schließlich nörgelnd und problematisierend verschiedene Handlungsmöglichkeiten beleuchtet, bevor am Ende ein feuriges Plädoyer für ein Man-müßte-mal die Angelegenheit bis auf weitere Publikationen ad acta legt. –
Aber zurück zu erfreulicheren Autoren wie zum Beispiel Tom Hodgkinson: Er schreibt, wie er spricht, ist sich seiner Sache sicher, und selbst wenn seine Lebenshaltung nicht die Welt retten wird, sondern nur die gute Laune, so bringt dieses frische und in seiner Konsequenz revolutionäre Buch vielleicht mehr Wind in die aktuelle Diskussion über neue gesellschaftliche Lebensformen als eine ganze Bibliothek voller soziologischer Abhandlungen.
Autor: Tom Hodgkinson
Titel: „Die Kunst, frei zu sein – Handbuch für ein schönes Leben“
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
ISBN-10: 3453630041
ISBN-13: 978-3453630048