Marcel Lewandowsky: „Die globale Rechte – Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen“

Marcel Lewandowsky legt mit Die globale Rechte. Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen ein umfassendes, differenziertes und hochaktuelles Werk vor, das die weltweiten Erscheinungsformen der radikalen und extremen Rechten systematisch analysiert. Auf rund 140 Seiten gelingt es ihm, historische Entwicklungen, ideologische Gemeinsamkeiten und strategische Innovationen der Rechten aus globaler Perspektive verständlich darzustellen.

Seine zentrale These lautet: Die „globale Rechte“ ist kein homogener Block, sondern ein loses Netzwerk national geprägter Bewegungen, die sich durch gemeinsame Ideologiebausteine wie Nationalismus, Ungleichheitsvorstellungen, Antifeminismus und Antisemitismus auszeichnen, sich jedoch unterschiedlich historisch und kulturell verorten lassen.

Lewandowsky beginnt mit einer akribischen Begriffsarbeit. Was bedeutet es, politisch „rechts“ zu sein? Hier unterscheidet er deutlich zwischen Konservatismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. „Rechts“ wird als Sammelbegriff verstanden, der sich durch bestimmte Grundannahmen kennzeichnet: ein ethnisch oder kulturell definierter Nationalismus, die Ablehnung demokratischer Pluralismen, ein autoritäres Politikverständnis und die Vorstellung naturgegebener Ungleichheit zwischen Gruppen.

Die Analyse der „Ungleichheitsideologien“ ist besonders hervorzuheben. Lewandowsky arbeitet die ideologischen Grundlagen des Rassismus, Ethnozentrismus, Antisemitismus und Antifeminismus detailliert heraus: „Familienstrukturen werden aus ‚biologischen‘ Eigenschaften der Geschlechter abgeleitet, die Männern und Frauen ihre jeweiligen Rollen zuweisen.“

Er verdeutlicht, dass diese Vorstellungen nicht neu sind, sondern ihre Wurzeln in der Aufklärung und der Kolonialgeschichte haben. Der Autor argumentiert, dass moderne rechte Ideologien auf einem historisch gewachsenen Fundament stehen, das sie neu interpretieren und aktualisieren.

Besonderes Augenmerk legt Lewandowsky auf die sogenannte „Neue Rechte“. Diese zeichne sich dadurch aus, dass sie rechte Ideologie in moderne Formen gießt: Sie operiert nicht mehr offen faschistisch, sondern intellektuell, diskursiv und digital. Die Neue Rechte nutzt soziale Medien, Memekultur und subkulturelle Symboliken, um Einfluss zu gewinnen.

Ein Beispiel ist die „Manosphere“, die Lewandowsky als ein Milieu beschreibt, in dem Männlichkeitsbilder, Misogynie und Antifeminismus zu einer rechten Populärkultur verschmelzen. Andrew Tate, Jordan Peterson und Tradwife-Influencerinnen stehen hier exemplarisch für eine Lifestyle-Ideologie, die klassische Rollenbilder mit Anti-Establishment-Rhetorik vermengt.

Die Rechten nutzen die digitalen Kommunikationskanäle besonders effektiv. Lewandowsky analysiert den Aufstieg von Netzwerken wie der Alt-Right in den USA, der Identitären Bewegung in Europa oder religiös-nationalistischen Gruppen in Asien. Hierbei sei besonders die Plattform X (ehemals Twitter) unter Elon Musk von Bedeutung: „X […] hat sich zu einer führenden Plattform für rechtsradikale und rechtsextreme Inhalte entwickelt.“

Ergänzt wird diese Analyse durch den Blick auf wirtschaftliche und technologische Akteure. Tech-Milliardäre wie Musk fördern rechte Politik finanziell und ideologisch, gleichzeitig erhalten sie – wie im Fall der USA unter Trump – direkten Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse. Diese Verflechtung von digitaler Infrastruktur, Ökonomie und Politik sei ein zentrales Moment der globalen rechten Bewegung.

Lewandowsky gelingt es, die globale Rechte nicht als monolithisches Phänomen zu beschreiben, sondern als Mosaik unterschiedlich gearteter Bewegungen. Während etwa die Fratelli d’Italia in Italien auf eine postfaschistische Tradition rekurrieren, vertritt die ungarische Fidesz eine christlich-konservative, antiglobalistische Agenda. In den USA wird die Alt-Right zur Mainstreamkraft innerhalb der Republikanischen Partei.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist Russland, wo Lewandowsky den Nationalismus mit stalinistischer Nostalgie und einem „faschistischen Regime“ unter Putin kombiniert sieht. Auch die Hindutva-Ideologie der BJP in Indien wird als Form religiösen Nationalismus eingeordnet.

Im Kapitel über die Erfolgsbedingungen zeigt Lewandowsky, dass rechte Bewegungen Krisen hervorragend für sich nutzen: wirtschaftliche Unsicherheit, gesellschaftliche Umbrüche, Migrationsbewegungen. Sie bieten einfache Antworten auf komplexe Fragen und inszenieren sich als Stimme des „wahren Volks“ gegen eine korrupte Elite.

Besonders wirksam ist die kulturelle Dimension: Der Kampf gegen „Wokeness“, Genderpolitik oder Migration ist emotional aufgeladen und fühlt sich für viele wie eine „Verteidigung der Normalität“ an. Die Rechte ist dabei nicht reaktiv, sondern aktiv in der kulturellen Offensive.

Im letzten Teil des Buches widmet sich Lewandowsky den Auswirkungen rechter Politik. Diese reichen von der Untergrabung der Gewaltenteilung über die Gleichschaltung von Medien bis hin zur Radikalisierung gesellschaftlicher Diskurse. Rechtsterrorismus, wie im Fall des Anschlags in Halle 2019, gehört ebenso zur Schattenseite dieser Entwicklungen.

Zudem wird der Druck auf liberale und linke Parteien erhöht, die entweder in Abgrenzung zu oder in Annäherung an rechte Diskurse agieren müssen. Dies führt zu einer „Verschiebung des Sagbaren“ – einer schleichenden Normalisierung rechtsradikaler Positionen.

Die globale Rechte von Marcel Lewandowsky ist ein bemerkenswert klar strukturiertes, wissenschaftlich fundiertes und gleichzeitig gut lesbares Buch. Es richtet sich an politisch Interessierte, Studierende, Lehrende und alle, die verstehen wollen, warum rechte Ideologien weltweit wieder auf dem Vormarsch sind. Lewandowsky verzichtet auf Alarmismus, ohne die Gefahren zu verharmlosen. Seine Sprache ist analytisch, aber zugänglich.

Für Menschen, die in Medien, Bildung oder Politik tätig sind, bietet dieses Buch eine solide Grundlage zur Auseinandersetzung mit aktuellen rechten Strömungen. Gerade in Zeiten, in denen Debatten um Demokratie, Pluralismus und Toleranz zunehmend polarisieren, ist es ein unverzichtbarer Beitrag zur politischen Bildung. – Eine Pflichtlektüre für alle, die verstehen wollen, wie aus Vergangenheit Zukunft gemacht wird – von rechts.

 

 

 

Autor: Marcel Lewandowsky
Titel: „Die globale Rechte – Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen“
Herausgeber: C.H.Beck
Taschenbuch: 143 Seiten
ISBN-10: 3406830188
ISBN-13: 978-3406830181