Alles beginnt, als die königlichen Hunde durchbrennen, in den Hof des Buckingham Palace flüchten und dort wild zu bellen beginnen. Während Her Majesty, die Queen, hinterher eilt, sieht sie vor den Türen der Küche den Bücherbus der lokalen Bücherei der City of Westminster stehen und geht hinein. Alles Weitere ist Geschichte.
Eine vergnügliche Geschichte, die der Wagenbach-Verlag in einem schmalen Bändchen der Salto-Edition mit nur knapp 110 Seiten veröffentlicht hat. Sie stammt von Alan Bennett, Enfant terrible der britischen Literaturlandschaft und ein Garant für urkomische und urbritische Erzählungen.
Im Bücherbus sitzten Mr. Hutchings, der während der Wartezeiten die Etiketten auf die Leihbücher klebt, und ein rothaariger junger Mann: Norman Seakins, der als Kammerdiener in der Königlichen Küche arbeitet.
Eigentlich hatte die Königin sich nie so sehr fürs Lesen interessiert oder besser: Es hatte sich nicht ergeben. Ihr Terminkalender sah meist andere Beschäftigungen vor: Schwimmbäder eröffnen, Staatsbankette geben, Grundsteine legen, Schiffe taufen und jeden Dienstag den Besuch des jeweiligen Premierministers ertragen – und das nun schon seit 50 Jahren.
Norman wird von seinem Dienst in der Küche frei gestellt und berät die Queen in Literaturfragen. Aus dem stockschwulen, karottenköpfigen Kammerdiener wird alsbald der „Amanuensis“, der literarische Assistent, der Königin.
Ihre Majestät bedauert, so spät mit dem lesen angefangen zu haben. Wie soll man da auch nur ansatzweise einen Überblick bekommen? Norman empfiehlt ihr vor allem jene Bücher, die er selbst am liebsten liest: schwule Autoren natürlich, Cecil Beaton, J.R. Ackerley, Jean Genet.
Ihr Bücherhunger wächst, sehr zur Sorge des Hofstaates, der das neue Verhalten der Königin höchst seltsam, um nicht zu sagen: befremdlich findet. Ihr Privatsekretär Sir Kevin, ein Neuseeländer und manchmal den Prinzipien der von ihm besuchten Harvard Management School eher verbunden als den königlichen Zeremonien, versucht Ihre Majestät behutsam aber mit Nachdruck vom Lesen abzubringen, weil es große Teile der Bevölkerung irgendwie ausschließe:
„Es schließt aus? Aber die allermeisten Menschen können doch wohl lesen?“
„Sie können lesen, Ma’am, aber ich glaube nicht, dass sie es tun.“
Die Königin liest weiter auch gegen den Widerstand ihrer Berater. Sie hat viel nach zu holen und lässt keine Gelegenheit aus, die königliche Nase in ein Buch zu stecken. Schließlich ist sie eine „Opsimathin“, wie sich selbst bezeichnet – jemand, der erst sehr spät im Leben lernt.
Alan Bennett begleitet die souveräne Leserin bei ihrer Cross-Tour durch die Literaturgeschichte, von Ivy Compton-Burnett und Nancy Mitford über Trollope und Thackeray zu Charles Dickens, Henry James und Dostojewski bis zu Proust und und und
Er legt der Königin, die alles unvoreingenommen liest, erfrischende Ansichten in den Mund, die sie zur scharfsinnigen Literaturkritikerin machen.
Nachdem sie zum Beispiel in den königlichen Sommerferien den kompletten Marcel Proust verschlungen hat, kommt sie zu dem Ergebnis:
„Hatte ein schreckliches Leben, der arme Mann. Litt offenbar furchtbar unter Asthma und war im Grunde so jemand, zu dem man gern mal sagen möchte: „Nun reißen Sie sich mal am Riemen, guter Mann.“ Das Merkwürdige bei ihm war, wenn er seinen Kuchen in den Tee tunkte (abscheuliche Angewohnheit), dann stand ihm plötzlich sein ganzes bisheriges Leben vor Augen. Ich habe es auch versucht, und bei mir hat es keinerlei Wirkung gezeigt.“
Alan Bennetts Erzählung ist feinster britischer Humor und bietet dem Leser intime Einblicke in den oft monotonen Alltag der Monarchin. Man hat den Eindruck, so könnte es wirklich zugehen am britischen Königshaus.
Je mehr die Queen liest, desto mehr nimmt das Schicksal seinen Lauf. Es kommt, wie es kommen muss: Eines Tages beschließt Ihre Majestät, selbst mit dem Schreiben zu beginnen. Sie denke da nicht etwa an Memoiren oder solchen Langweiligkeiten, wie sie von der Regenbogenpresse produziert werden. Man wolle lieber etwas Nachdenkliches schreiben, Analyse und Reflexion eben, und da gäbe es aus ihrem Leben doch eine Menge zu berichten…
Das Buch endet mit einem echten Paukenschlag. Die Pointe wird nicht verraten. Machen Sie’s lieber wie die souveräne Leserin: Lesen Sie! Sie werden dabei viel Spaß haben.
Prädikat: Absolutely brilliant!
Autor: Alan Bennett
Titel: „Die souveräne Leserin“
Gebundene Ausgabe: 120 Seiten
Verlag: Wagenbach
ISBN: 3803112540
EAN: 978-3803112545