Margareta Magnusson: „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“

Im Schwedischen gibt es ein Wort, das es im Deutschen so nicht gibt: döstädning. „ heißt Tod und städning aufräumen oder reinemachen.“ Es umschreibt die Idee, sich eigenverantwortlich im Alter von allem zu trennen, was man nicht mehr braucht, bevor man den Löffel abgibt.

Was hier im Fischer-Taschenbuch so lustig und beschwingt, mit einer kindlichen Handzeichnung und sympathischer Schreibschrift auf dem Cover, daherkommt, ist bei genauerer Betrachtung ziemlich „harter Stoff“ für alle LeserInnen, die mitten im Leben stehen und den Ausblick auf bzw. den Gedanken an den eigenen Tod gekonnt ausblenden. Dabei kann es jeden und jede von uns ganz schnell treffen: Ein tödlicher Unfall oder eine schlechte Diagnose beim Arzt kann jedem passieren, auch junge Menschen sind davor nicht „per se“ geschützt. Je älter man wird, desto öfter begegnet man dem Tod im familiären oder befreundeten Umfeld, und auch in der Nachbarschaft kommen die Einschläge näher. Kurzum, mit zunehmendem Alter wächst die Erkenntnis: Das Leben ist lebensgefährlich und endet (nicht nur in der Regel, sondern leider immer) tödlich.

Wer schon einmal die vollgekramte Wohnung eines Angehörigen nach dessen Tod aufräumen, ausräumen, ja ausmisten musste, schränkeweise alten Sachen, die seit Jahren dort verstaut waren und nie wieder gebraucht wurden – auch vor dem Tod nicht –, zunächst sichten und separieren musste, Sachspenden von Müll trennen und dabei nicht die wirklich wertvollen Erinnerungsstücke übersehen und gleich mit wegschmeißen wollte, der weiß, wie emotional aufwühlend und wie körperlich anstrengend solch eine „Räumung“, die ja auch irgendwie immer eine Beseitigung des Zuhauses und Lebensmittelpunktes jener toten Person ist.

Wer derartige Erfahrungen gemacht hat, wird vielleicht schon einen Schritt weiter sein in seinen Überlegungen und sich vornehmen (oder vorgenommen haben), den eigenen Nachlass beizeiten selbst zu ordnen.

Ordnen und Regeln sind die beiden zentralen Ideen hinter dem hübschen schwedischen Wort döstädning: Alles, was man nicht mehr braucht in seinem hohen Alter, wird ausrangiert. Ein bisschen erinnert die Lektüre dieses flott geschriebenen und gar nicht so traurigen Büchleins an die Aufräum- und Ordnungstipps einer Marie Kondo, und im Grunde geht es ja fast um dasselbe, nämlich um das Schaffen von Ordnung. Zunächst im eigenen Kopf und dann im eigenen Heim.

Das Nachdenken über die Sterblichkeit des Menschen und über den eigenen Tod ist so alt wie die Menschheit; spätestens seit der Antike gibt es auch immer wieder gute Tipps von philosophischer Seite, jenes „Leben heißt sterben lernen“ und so weiter. Man kennt das ja alles, und trotzdem sind wir alle Weltmeister im Verdrängen der schlichten Tatsache, dass wir ja auch irgendwann „dran“ sind mit dem Sterben. Bis dahin, so suggeriert uns die allgegenwärtige Ablenkung unserer Welt, ist es ja noch Zeit …

Meine Eltern sind auch schon viele Jahre tot, aber sie haben mir gezeigt, wie man es richtig machen kann: „Mit warmen Händen geben“, war einer ihrer guten Ratschläge in dieser Sache. Warum soll man sich (im hohen Alter) nicht schon zu Lebzeiten von so manchen wertvollen Dingen trennen und sie an Freunde und bekannte verschenken, von denen man weiß, dass sie das Geschenkte schön finden, sich auch noch in vielen Jahren daran erfreuen und es „in Ehren halten“ werden, wenn man selbst schon längst unter der Erde oder wo auch immer liegt?! Der große Vorteil dieser Schenkungen „mit warmen Händen“ ist ja auch, dass diese persönlichen Sachen nicht nur an den richtigen Platz und in die richtigen Hände kommen, sondern dass sich der Schenkende sogar noch an der Freude der Beschenkten erfreuen kann.

Frau Magnusson ist von ähnlichen Gedanken angetrieben, und diese Form des „Schenkens zu Lebzeiten“ hat noch einen weiteren Vorteil; denn es verhindert, dass das handschriftliche Testament, das nun wirklich jeder persönlich verfassen sollte, sofern er etwas zu hinterlassen hat, einen Umfang annimmt, der einer Inventarliste entspricht, auf der vermerkt ist, wer welche Sachen aus dem Nachlass bekommen soll, und wer nicht.

Frau Magnussons Buch erschien in der englischen Originalausgabe bereits 2017, auf Deutsch 2018 als gebundene Ausgabe bei S. Fischer. Margareta Magnusson ist nach eigener Aussage „zwischen 80 und 100 Jahre“ alt, was im Jahr 2024 ziemlich genau stimmt; geboren wurde sie in der Silvesternacht 1934. Sie ist demnach 90 Jahre alt, und da kann man schon einmal darüber nachdenken, was eigentlich passiert, wenn man für immer die Augen zumacht.

Wer wird die Wohnung / das Haus, in dem man (hoffentlich) bis zu seinem Ableben gelebt hat, betreten? Wer wird es ausräumen? Oder bleibt es im Familienbesitz und zieht jemand neues ein? Was passiert mit all den Sachen, den Tellern, Tassen, Töpfen, den Kleidungsstücken und den Büchern, den wertvollen Schmuckstücken und mit dem ganzen alten Plunder, der im Keller oder auf dem Dachboden darauf wartet, nach Jahren oder Jahrzehnten von den Nachkommen entdeckt zu werden? – Wer interessiert sich für die Schmetterlings-Sammlung? Oder für die Kronkorken-Sammlung? Wer wird die in der Speisekammer gehorteten (und längst abgelaufenen) Dosenvorräte und die vierzig leeren Marmeladengläser, die man ja irgendwann noch einmal brauchen kann, entsorgen müssen??

Wenn man begreift, dass sich mit zunehmendem Alter nicht nur der eigene Körper verändert, sondern auch die Lebensumstände, dass das, was uns früher immer wichtig und lieb war, später auch mal an Wichtigkeit und Bedeutung verlieren sowie durch andere Sachen ersetzt werden kann, die zuvor nicht dieselbe Bedeutung hatten, der ist schon einen großen Schritt weiter als jene, die sich noch nie über das „Nachleben“ des eigenen Besitzstandes machten oder machen wollten.

Dieses kleine Büchlein liest sich schnell und ganz ohne traurige oder sentimentale Nebengeräusche; Frau Magnussons Ratschläge über „die Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“ helfen in wunderbarer Leichtigkeit dabei, sich mit diesen ganz elementaren und nur individuell beantwortbaren Fragen auseinanderzusetzen und zumindest eine erste Vorstellung davon zu bekommen, wie man gerne das Zeitliche segnen möchte, wenn es denn so weit ist.

Mit anderen Worten: Dieses Buch sollte jeder gelesen haben – und zwar am besten, bevor es zu spät ist!

 

 

Autor: Margareta Magnusson
Titel: „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“
Herausgeber: FISCHER Taschenbuch
Taschenbuch: 160 Seiten
ISBN-10: 3596711096
ISBN-13: 978-3596711093