Sandra Mühlenberend u. Susanne Wernsing (Hg.): „VEB Museum — Das deutsche Hygiene-Museum in der DDR“

1912 wurde das Deutsche Hygiene Museum in Dresden in einer Privatinitiative des Odol-Herstellers Karl August Lingner als „Volksbildungsstätte für Gesundheitspflege“ gegründet. Ein Jahr zuvor wurde in der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung umfassend über alle möglichen Aspekte der Gesundheitsvorsorge und -pflege aufgeklärt. Das Deutsche Hygiene Museum sollte die Bevölkerung mit den wichtigsten Maßnahmen zur Gesundheitsprävention vertraut machen, über gesunde Ernährung und Lebensweise informieren sowie über die menschliche Anatomie und die grundlegenden körperlichen Funktionen aufklären.

Nach dem Ende der Weimarer Republik wurde das Museum in den Dienst der rassenhygienischen Ideologie des Nationalsozialismus gestellt und durch die Einrichtung der Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ erweitert, die ganz im Sinne des 1934 verabschiedeten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses die „Vorzüge“ von Zwangssterilisation und Zuchtwahl propagierte.

Doch welche Funktionen übernahm das Deutsche Hygiene-Museum nach 1945 und in der DDR? Darüber gibt ein jüngst erschienener Reader Auskunft, der als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung den flotten Titel „VEB Museum“ trägt. Die Kunstwissenschaftlerin Sandra Mühlenberend und die Historikerin Susanne Wernsing sind als leitende Kuratorinnen dieser Ausstellung auch als Herausgeber dieses Sammelbandes für die Auswahl der Beiträge verantwortlich; sowohl die Ausstellung selbst als auch die Gestaltung des Katalogs sind gelungen.

Wer nicht vor Ort die Ausstellung in Dresden besuchen kann, erhält mit dem vorliegenden Buch einen mindestens ebenso konzisen Einblick in die DDR-Zeit des Museums; vielleicht ist dieser Katalog sogar besser geeignet, sich intensiver in die komplexe Thematik einzuarbeiten, als ein Besuch der Ausstellung, denn die vorliegenden Beiträge von internationalen Expertinnen — Historikern, Kunstwissenschaftlern, Germanisten und Kulturwissenschaftlern — liefern viel Hintergrundwissen und geben einen Einblick in die vielfältigen Verflechtungen der einzelnen Teilbereiche.

Die Gliederung des Buches orientiert sich an der Ausstellung und liefert in vier großen Abschnitten („Netzwerke“, „Machtraum“, „Produktion“ und „Klubhaus“) einen guten Einstieg in die einzelnen „Tat-Orte“ musealer Arbeit. Denn auch in der DDR diente das Museum in erster Linie als Bildungsstätte in Sachen Volksgesundheit und Hygiene. Durch diesen Spiegel wurde das Museum aber gleichzeitig zu einem Ort der nationalen Selbstdarstellung: Wie wurde Gesundheitspflege und -vorsorge in einer Planwirtschaft ermöglicht? Welche staatlichen Maßnahmen waren erforderlich, um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie und gesunder Ernährung, mit ausreichendem Wohnraum und mit Einrichtungen des täglichen Lebens zu versorgen? Wodurch zeichnete sich die „sozialistische Arbeitskultur“ aus? Welchen Stellenwert nahmen Sport und Körperkultur im DDR-Alltag ein? Wie wurde mit Suchtproblematiken umgegangen, mit Nikotin- und Alkohol-Konsum?

Die Ausstellung zeigt, wie stark die Verflechtung von gesundheitlichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen auch in DDR-Zeiten war und die Arbeit des Hygiene-Museums prägte. Der reich illustrierte Katalog vermittelt einen guten Einblick in diese Arbeit, welche auch immer von einem Wettbewerb mit dem Westen bestimmt war.

„VEB Museum“ ist daher nicht nur ein schöner Ausstellungskatalog, sondern auch der gelungene Versuch einer museumshistorischen Aufarbeitung der DDR-Zeit und ihrer ganz spezifischen Herausforderungen.

Den einzigen Punktabzug gibt es überraschend für die Herstellungs- und Papierqualität dieses Buches, die leider so gar nicht zu der üblicherweise hochwertigen Ausstattung der Bücher im Wallstein-Verlag passen: „Gedruckt auf Pappkarton“ ist die erste Anmutung — gedruckt auf ein steifes und relativ dickes Papier, das allein von seiner Haptik her sehr unangenehm ist und wenig Freude bei der Lektüre bereitet. — Vielleicht wollte man hier ganz bewusst einem Trend folgen, der seit einiger Zeit vor allem im Bereich der Ausstellungskataloge immer wieder zu beobachten (und zu beklagen) ist: dickes Papier, knalliges Layout mit relativ großen, fetten Lettern — und eine einfache Klebefalz, die schon nach einmaliger Lektüre starke Gebrauchsspuren hinterlässt? — Schade!

Davon abgesehen ist „VEB Museum“ ein spannendes und lesenswertes Buch!

 

 

Autor: Sandra Mühlenberend u. Susanne Wernsing (Hg.)
Titel: „VEB Museum — Das deutsche Hygiene-Museum in der DDR“
Herausgeber: Wallstein Verlag
Taschenbuch: 224 Seiten
ISBN-10: 3835356135
ISBN-13: 978-3835356139