Marcus Bensmann / Correctiv: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst — Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“

Dieses Buch verbreitet schlechte Laune. Nicht, weil es etwa schlecht geschrieben ist; ganz im Gegenteil: Dieses Buch fasst erstmals zusammen, was seit geraumer Zeit an Enthüllungen in Sachen AfD durch die unabhängige Medienplattform Correctiv (und hier besonders durch den Investigativ-Journalisten und Autor dieses Buches, Marcus Bensmann) ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist.

In diesem Buch präsentiert Bensmann die verschiedenen Stränge der AfD-Politik — oder besser: der Pläne und Machenschaften, die hinter dem scheinbar so harmlosen Erscheinungsbild der AfD geschmiedet werden, wenn es tatsächlich zu einem Wählervotum kommen sollte, das der AfD auch auf Bundesebene mehr politische Macht und sogar Regierungsverantwortung übertragen würde. — Es sind in der Tat „ungeheuerliche Pläne“, wie der Untertitel bereits andeutet.

Zuletzt am Beginn dieses Jahres 2024 deckte Correctiv derartige Pläne auf, die während eines Geheimtreffens von AfD-Mitgliedern in Potsdam diskutiert wurden. Unter dem scheinbar neutralen Fachbegriff „Remigration“ versteckt sich das Programm einer millionenfachen Deportation von sogenannten „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ aus Deutschland. Staatsbürger mit Migrationshintergrund werden grundsätzlich als Bedrohung angesehen; den natürlichen Prozess der Migration bezeichnet man in jenen Kreisen auch als eine gezielte „Umvolkung“; der Begriff stammt aus der nationalsozialistischen Rassenpolitik.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 wird um die richtige Einordnung der AfD im politischen Spektrum gestritten. Als „Alternative“ für Deutschland verortet sich die Partei selbst auf der Seite der Opposition — und anscheinend ist egal, welche Koalitionen der etablierten Parteien sich gerade bilden und an Regierungsarbeit betreiben: Die AfD präsentiert sich immer als eine Alternative zu allem und jedem.

Spätestens seitdem die AfD bei Kommunal- und Landtagswahlen, aber auch bei den Wahlen zum deutschen Bundestag genügend Stimmen gesammelt hatte, um in den politischen Gremien vertreten zu sein, stellte sich auch die Frage, wie man sich gegenüber dieser Partei positionieren sollte: Ausgrenzung oder Einhegung? — Soll man sich politisch mit jener neuen Partei auseinandersetzen, deren Ansichten so offensichtlich rechts und deren öffentliches Auftreten oftmals so provokativ und plakativ ist, dass oft der Eindruck entsteht, dass man nicht mehr auf einem gemeinsamen Boden, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, steht.

Diese Frage stellt sich heute nicht mehr. Längst ist die AfD zu einem politischen Akteur geworden, der anscheinend für viele Wähler — und nicht zuletzt auch für sogenannte Protestwähler — zu einer echten „Alternative“ zu den demokratischen Parteien geworden ist. Man muss sich also mit diesen Leuten auseinandersetzen und gibt ihnen dadurch auch in den öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder Gelegenheit, sich zu präsentieren. Diese Auseinandersetzung mit der AfD ist Teil der demokratischen Diskussionskultur und damit richtig; das Problem ist nur, dass jene öffentlichen Debatten nicht nur kontrovers geführt werden (was okay ist), sondern dass oft auch Behauptungen aufgestellt werden, die nicht der Wahrheit entsprechen. Nicht zufällig ist der „unabhängige Faktencheck“ mittlerweile zu einem regelmäßig eingesetzten Instrument bei der Überprüfung von Fake News geworden.

Von Anbeginn hat die AfD ihre Anhänger auch an den rechten und rechtsradikalen Rändern der Gesellschaft gesucht und gefunden. Was in den ersten Jahren der Parteigeschichte immer wieder zu erbitterten Grabenkämpfen und Abspaltungen führte, ist nunmehr keine Frage mehr: Die AfD wurde zu einem „rechtsextremistischen Verdachtsfall“, sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet und gilt — zumindest im Fall des thüringischen Landesverbands unter Björn Höcke — als „gesichert rechtsextrem“. So ist die AfD längst zu einer radikalen „Partei der Entgrenzung geworden, eine Partei Russlands und der Vertreibung, und sie hat die liberale Welt, in der wir leben, zum Feind erklärt“, wie der Autor in seiner Einleitung schreibt. Jener Weg der Radikalisierung zeigt sich „in Programmen, Reden, Aussagen einzelner Politiker sowie deren Büchern“, die zum Teil den Aussagen völkischer Ideengeber frappierend ähneln.

Die Wähler scheint das alles nicht abzuschrecken — ganz im Gegenteil. Eine starke Radikalisierung zeigt sich mittlerweile hierzulande auch im politischen und gesellschaftlichen Klima. Offenbar ist der Frust über die Politik der Ampel-Regierung und der etablierten Parteien im Lande groß genug, um solche Bedenken auszublenden und bedenken- (oder gedankenlos?) dem rechten Lager die Stimme zu geben.

Diese Krise der demokratischen Parteien lässt sich überall in Europa beobachten, wovon nicht nur die Europawahl 2024, sondern auch die jüngsten Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich ein erschreckendes Zeugnis ablegen; in Deutschland jedoch waren rechte und rechtsradikale Parteien aufgrund der besonderen Geschichte des Landes seit 1945 immer nur vorübergehende Randerscheinungen (man denke beispielsweise an die Republikaner), doch seit einiger Zeit erlebt auch Deutschland einen deutlichen Rechtsruck nicht nur im Kommunalbereich, sondern auch auf Landes- und Bundesebene. Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung für die Demokratie sind bislang noch nicht absehbar, doch man muss kein Prophet sein, um zu konstatieren, dass uns stürmische Zeiten bevorstehen.

Inzwischen versuchen die öffentlich-rechtlichen Medien auf breiter Front, über die AfD und ihre Ziele zu informieren. Die Bemühungen einer politisch objektiven Berichterstattung werden jedoch durch das disruptive Verhalten der offensichtlich geschulten AfD-Politiker erschwert: Wie soll man mit jemandem diskutieren, der vermeintlich dieselbe Sprache spricht, aber den Begriffen eine andere Bedeutung gibt und auch auf der konnotativen Ebene objektive Sachverhalte anders bewertet? Demokratische Politiker werden schnell in die Defensive gedrängt, wenn die AfD zu einer grundlegenden Umwertung demokratischer Werte ansetzt.

In dem vorliegenden Buch lässt sich nachlesen, welche Pläne diese Partei wirklich schmiedet. Wie die Teile eines Puzzles fügen sich hier die Einzelteile eines antidemokratischen, russland- und chinafreundlichen, eines ausländerfeindlichen und menschenverachtenden Programms zu einem Schreckensbild, das einen starken Kontrast bildet zu der geglätteten Selbstdarstellung der Partei in der Öffentlichkeit. Marcus Bensmann informiert in seinem Buch über die düsteren Machenschaften und die radikalen Pläne einer Partei, die sich gerne als eine „Alternative für Deutschland“ präsentiert, deren politische Ziele sich jedoch vor allem als eine Alternative zur Demokratie erweisen dürften. Noch ist es nicht zu spät; noch funktioniert der Rechtsstaat mit seiner demokratisch legitimierten Gewaltenteilung und einer parlamentarischen Demokratie in einer freien und offenen Gesellschaft.

„Die Masken sind gefallen“, schreibt Marcus Bensmann. Was sich hinter diesen Masken verbirgt, zeigt der Autor in seinem aufrüttelnden Buch. Sein Blick hinter die Kulissen ist erschreckend. Was jeder von uns in dieser Lage tun kann: Lesen und weitersagen! Wegschauen ist keine Lösung, und Wissen bewahrt davor, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. — In einem anderen Zusammenhang sagte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer kürzlich: „So hat es damals auch angefangen.“ Dieses Buch enthüllt das wahre Gesicht der AfD. Spätestens jetzt kann niemand mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

 

 

 

Autor: Marcus Bensmann / Correctiv
Titel: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst — Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“
Herausgeber: Galiani-Berlin
Broschiert: 256 Seiten
ISBN-10: 3869713119
ISBN-13: 978-3869713113