Rassismus ist nicht angeboren, sondern wird erlernt. Diese einfache Wahrheit ist der Schlüssel zum Verständnis und zur Bekämpfung von Vorurteilen und Diskriminierung. Doch wie genau erlernen wir rassistisches Denken und Verhalten? Die Antwort liegt in der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft strukturiert ist und wie wir als Individuen in dieser Gesellschaft agieren.
Das vorliegende Buch der in Teheran geborenen und seit ihrer Kindheit in Deutschland lebenden Journalistin, Autorin und Aktivistin Gilda Sahebi beleuchtet die Mechanismen, durch die Rassismus in unseren Köpfen und Herzen Wurzeln schlägt, und appelliert an unser kollektives Bewusstsein, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Von klein auf sind wir ständig von Botschaften umgeben, die subtil oder offen rassistische Stereotype und Vorurteile vermitteln. Diese Botschaften kommen aus verschiedenen Quellen: den Medien, der Bildung, den sozialen Normen und sogar unseren Familien. Fernsehsendungen, Filme und Nachrichten berichten oft auf eine Weise, die bestimmte ethnische Gruppen negativ darstellt oder stereotypisiert. Schwarze Menschen werden oft als kriminell dargestellt, Muslime als Terroristen und Asiaten als fremdartig oder geheimnisvoll. Diese Darstellungen prägen unser Unterbewusstsein und formen unsere Wahrnehmung von Menschen, die anders aussehen oder andere kulturelle Hintergründe haben.
Unsere Schulen spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Rassismus. Der Lehrplan und die Art und Weise, wie Geschichte unterrichtet wird, sind oft eurozentrisch und betonen die Leistungen und Errungenschaften westlicher Zivilisationen, während die Beiträge anderer Kulturen marginalisiert oder ganz ignoriert werden. Zum Beispiel wird der Kolonialismus häufig aus der Perspektive der Kolonisatoren dargestellt, ohne die Stimmen der Kolonisierten angemessen zu berücksichtigen. Diese selektive Darstellung von Wissen schafft ein verzerrtes Weltbild und verstärkt die Vorstellung von der Überlegenheit der weißen Rasse.
Soziale Normen und ungeschriebene Regeln tragen auch dazu bei, dass Rassismus aufrechterhalten wird. In vielen Gemeinschaften wird von den Menschen erwartet, dass sie sich anpassen und assimilieren, um akzeptiert zu werden. Dies führt dazu, dass Minderheiten gezwungen sind, ihre Identität und Kultur zu verleugnen, um in der Mehrheitsgesellschaft erfolgreich zu sein. Diese Anpassungsdruck und die daraus resultierende kulturelle Entfremdung verstärken das Gefühl der Andersartigkeit und fördern rassistische Einstellungen. Ein Beispiel dafür ist die Erwartung, dass Migranten perfekt die Sprache des Gastlandes beherrschen und ihre eigenen Sprachen und Traditionen aufgeben müssen.
Unsere Familien sind oft die ersten Orte, an denen wir rassistische Ideen aufnehmen. Eltern und Verwandte vermitteln unbewusst ihre eigenen Vorurteile und Stereotype an die nächste Generation. Diese Einstellungen werden in alltäglichen Gesprächen, Witzen und Bemerkungen weitergegeben. Kinder, die diese rassistischen Botschaften von ihren Bezugspersonen hören, nehmen sie auf und übernehmen sie als Teil ihrer eigenen Überzeugungen. Diese intergenerationalen Vorurteile sind schwer zu durchbrechen, da sie tief im familiären und sozialen Kontext verwurzelt sind.
Die gute Nachricht ist, dass wir diesen Kreislauf durchbrechen können. Es erfordert jedoch Bewusstsein, Bildung und die Bereitschaft, uns selbst und unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Wir müssen uns aktiv bemühen, uns weiterzubilden und unsere Vorurteile zu erkennen und abzubauen. Dies kann durch den Kontakt mit verschiedenen Kulturen, das Lesen diverser Literatur und die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Erfahrungen marginalisierter Gruppen geschehen.
Eltern und Erzieher haben eine besondere Verantwortung, den Kindern von klein auf positive Werte und eine respektvolle Haltung gegenüber allen Menschen zu vermitteln. Offene Gespräche über Rassismus und die Bedeutung von Vielfalt sind entscheidend, um zukünftige Generationen zu sensibilisieren und zu befähigen, gegen Diskriminierung anzukämpfen. Schulen sollten Curricula entwickeln, die die Geschichte und Kultur aller ethnischen Gruppen fair und umfassend darstellen. Lehrer müssen geschult werden, um Rassismus zu erkennen und zu bekämpfen und eine inklusive Lernumgebung zu schaffen.
Als Gesellschaft müssen wir die Medien und das Bildungssystem reformieren, um eine umfassendere und gerechtere Darstellung der Welt zu gewährleisten. Dies bedeutet, rassistische Darstellungen zu hinterfragen und zu boykottieren sowie Bildungsinhalte zu diversifizieren. Unternehmen und Organisationen sollten Maßnahmen ergreifen, um Vielfalt und Inklusion zu fördern und rassistische Praktiken zu beseitigen. Es erfordert auch politische Maßnahmen, um strukturellen Rassismus zu bekämpfen und gleiche Chancen für alle zu gewährleisten.
Insgesamt liegt es in unserer Macht, den Kreislauf des Rassismus zu durchbrechen. Es erfordert Mut, Engagement und die Bereitschaft, unsere eigenen Komfortzonen zu verlassen. Aber wenn wir diese Herausforderung annehmen, können wir eine gerechtere und menschlichere Welt schaffen, in der jeder Einzelne respektiert und geschätzt wird, unabhängig von seiner Hautfarbe oder Herkunft. Der erste Schritt beginnt bei uns selbst.
Gilda Sahebi, geboren 1984 in Teheran, Iran, ist eine deutsche Journalistin, Autorin und Aktivistin. Als Kind kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie studierte zunächst Medizin und schloss ihr Studium erfolgreich ab. Ihre persönliche Erfahrung als Migrantin und ihr Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen führten sie schließlich in den Journalismus.
Sie begann ihre journalistische Laufbahn als freie Autorin und schreibt für renommierte deutsche Medien wie „Der Spiegel“, „taz“ und „Die Zeit“. Ihre Artikel und Reportagen zeichnen sich durch tiefgehende Recherchen und eine klare, empathische Sprache aus, mit denen sie komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verständlich macht und den Betroffenen eine Stimme gibt.
Neben ihrer journalistischen Arbeit ist Sahebi auch eine engagierte Aktivistin. Sie setzt sich für die Rechte von MigrantInnen und Geflüchteten ein und kämpft gegen Rassismus und Diskriminierung. Sie nutzt ihre Plattform, um auf Missstände aufmerksam zu machen und fordert politische sowie gesellschaftliche Veränderungen.
Gilda Sahebi hat mehrere Bücher veröffentlicht und an verschiedenen Publikationen mitgewirkt. Sie ist eine gefragte Sprecherin auf Podiumsdiskussionen und Konferenzen. Ihre Arbeit hat ihr Anerkennung und Respekt in der journalistischen und politischen Landschaft Deutschlands eingebracht, wo sie weiterhin als Journalistin und Aktivistin tätig ist.
Erlernter Rassismus zeigt sich in Deutschland auf vielfältige Weise und beeinflusst zahlreiche gesellschaftliche Debatten. Diese rassistischen Einstellungen und Vorurteile werden oft unbewusst weitergegeben und prägen die öffentliche Meinung und politische Entscheidungen. Hier sind einige konkrete Beispiele, wie erlernter Rassismus in deutschen Debatten bestimmend ist:
Ein prominentes Beispiel für erlernten Rassismus in Deutschland ist die Flüchtlingsdebatte. Seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015 hat sich die öffentliche Diskussion oft um die Frage gedreht, ob und wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen sollte. Dabei werden Flüchtlinge häufig als Bedrohung dargestellt. In den Medien und politischen Debatten wird oft ein Bild von Flüchtlingen gezeichnet, das sie pauschal als Kriminelle, Wirtschaftsflüchtlinge oder kulturell inkompatibel darstellt. Solche Darstellungen beruhen auf rassistischen Stereotypen und verstärken Vorurteile in der Gesellschaft.
Beispielsweise wurde im Zuge der Kölner Silvesternacht 2015/2016, bei der es zu zahlreichen Übergriffen kam, die Diskussion schnell rassistisch aufgeladen. Es wurde verallgemeinernd über „nordafrikanische“ Täter berichtet, was das Bild von Migranten aus bestimmten Regionen negativ prägte und Ängste schürte. Diese Vorfälle wurden genutzt, um rassistische Ressentiments zu verstärken und härtere Asylgesetze zu fordern.
In der Integrationsdebatte zeigt sich erlernter Rassismus ebenfalls deutlich. Migranten und ihre Nachkommen werden oft als „Problemfälle“ dargestellt, die sich nicht integrieren wollen oder können. Die Diskussionen über sogenannte „Problemviertel“ und „Parallelgesellschaften“ sind oft von Vorurteilen und rassistischen Untertönen geprägt.
Ein Beispiel ist die Debatte über die Bildungsungleichheit. Migrantenkinder haben in Deutschland statistisch gesehen schlechtere Bildungschancen als ihre einheimischen Altersgenossen. Statt jedoch die strukturellen Probleme im Bildungssystem zu adressieren, wird häufig die „fehlende Integrationsbereitschaft“ der Migrantenfamilien hervorgehoben. Dies lenkt von den eigentlichen Ursachen ab und verstärkt negative Stereotype.
Ein weiteres Beispiel für erlernten Rassismus ist die Diskussion über Polizeigewalt und Racial Profiling: In Deutschland gibt es immer wieder Berichte über Fälle, in denen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft von der Polizei kontrolliert oder anders behandelt werden. Diese Praxis, bekannt als Racial Profiling, basiert auf rassistischen Vorurteilen und Annahmen darüber, wer potenziell kriminell sein könnte.
Trotz zahlreicher Beschwerden und Berichte von Betroffenen wird das Problem in öffentlichen Debatten oft heruntergespielt oder geleugnet. Kritiker, die auf strukturellen Rassismus in der Polizei hinweisen, werden häufig als übertrieben oder unglaubwürdig dargestellt. Dies zeigt, wie tief rassistische Einstellungen in den Institutionen verankert sind und wie sie die öffentliche Wahrnehmung prägen.
Auch im Bereich Arbeitsmarkt und Beschäftigung wird erlernter Rassismus deutlich. Studien zeigen, dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen bei Bewerbungen oft benachteiligt werden. Sie erhalten seltener Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und haben geringere Aufstiegschancen. Dies führt zu einer Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in vielen Berufsfeldern und in Führungspositionen.
Die öffentliche Diskussion über dieses Thema ist oft von Vorurteilen geprägt. Statt die strukturelle Diskriminierung zu erkennen und anzugehen, wird Migranten häufig mangelnde Qualifikation oder Anpassungsbereitschaft vorgeworfen. Diese Sichtweise ignoriert die tief verwurzelten rassistischen Strukturen und verlagert die Schuld auf die Betroffenen.
Erlernter Rassismus ist in vielen deutschen Debatten allgegenwärtig und prägt die Wahrnehmung und Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund. Durch die ständige Wiederholung rassistischer Stereotype und Vorurteile in Medien, Politik und Alltag wird ein Klima geschaffen, das Diskriminierung und Ausgrenzung fördert. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es notwendig, sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, rassistische Strukturen offen zu benennen und aktiv gegen sie vorzugehen. Nur so kann eine wirklich inklusive und gerechte Gesellschaft entstehen.
„Wie wir uns Rassismus beibringen“ ist eine kluge und nüchterne Bestandsaufnahme des alltäglichen Rassismus in deutschen Debatten. Die Autorin weist auf weit verbreitete und verinnerlichte Denkmuster sowie auf pauschale Kategorisierungen hin und zeigt, wie tief jene Vorurteile in den Köpfen verankert sind. Doch sie bleibt nicht bei dieser Analyse stehen, sondern versteht es, die Leser zu motivieren und ihnen dabei zu helfen, diesen „erlernten Rassismus“ zu überwinden. So liest man dieses Buch auch als ein leidenschaftlicher Aufruf zu einem vorurteilsfreien Umgang miteinander in öffentlichen Debatten. Gilda Sahebis neues Buch ist ein starkes Plädoyer für Toleranz und Demokratie in einer offenen multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft, die sich erfolgreich gegen alle rechten Versuche rassistischer Ausgrenzung und Stigmatisierung zur Wehr setzt.
Autor: Gilda Sahebi
Titel: „Wie wir uns Rassismus beibringen — Eine Analyse deutscher Debatten“
Herausgeber: S. FISCHER
Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
ISBN-10: 3103976240
ISBN-13: 978-3103976243