Jenny Erpenbeck: „Heimsuchung“

Heimat. Ein Wort, das in jedem von uns unterschiedliche Bilder und Gefühle hervorruft. Für manche ist es ein konkreter Ort – ein Haus, eine Stadt, ein Land. Für andere ist es ein Gefühl von Zugehörigkeit, von Sicherheit und Geborgenheit, das nicht an einen physischen Ort gebunden ist. Der Begriff „Heim“ hingegen scheint intimer, persönlicher, näher an der eigenen Existenz verankert. Doch was passiert, wenn diese Heimat verloren geht, wenn das Heim nicht mehr existiert? Wie beeinflusst uns die Heimatlosigkeit, und wie finden wir einen Weg zurück zu uns selbst?

Heimat ist mehr als nur ein geographischer Ort. Sie ist ein Geflecht aus Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühlen, die uns mit einem bestimmten Platz verbinden. Heimat ist, wo wir aufwuchsen, wo wir uns geborgen fühlten, wo wir unsere Identität formten. Sie ist tief in unserer Psyche verwurzelt und prägt unser Selbstverständnis.

Ein Heim ist der physische Ausdruck dieser Heimat. Es ist der Ort, an dem wir leben, an dem wir uns sicher fühlen und an dem wir uns entspannen können. Ein Heim ist der Raum, in dem wir uns entfalten, in dem wir unsere Persönlichkeit ausdrücken und in dem wir uns regenerieren. Ein Heim kann ein Haus, eine Wohnung oder sogar ein Zimmer sein – es ist der Ort, den wir als unseren Rückzugsort betrachten.

Der Verlust der Heimat oder des Heims kann tiefgreifende innere und äußere Konflikte hervorrufen. Äußerlich kann es der Verlust des Zuhauses durch Krieg, Naturkatastrophen oder wirtschaftliche Not sein. Solche Ereignisse stürzen uns in Unsicherheit und Chaos. Innerlich hingegen kann der Verlust der Heimat durch emotionale oder psychologische Veränderungen verursacht werden. Vielleicht fühlen wir uns entwurzelt, wenn wir in ein neues Land ziehen, oder wir erleben eine Entfremdung, wenn sich unser soziales Umfeld verändert.

Ein solcher Verlust kann ein tiefes Gefühl der Heimatlosigkeit hervorrufen. Heimatlosigkeit ist nicht nur das Fehlen eines physischen Ortes, sondern das Fehlen eines inneren Ankers, eines Gefühls von Zugehörigkeit und Sicherheit. Es ist ein Zustand der Verwirrung und des Verlusts, der uns dazu zwingt, unsere Identität und unser Leben neu zu definieren.

Wie gehen wir also mit Heimatlosigkeit um? Eine Möglichkeit ist, sich bewusst mit dem Verlust auseinanderzusetzen und die damit verbundenen Gefühle zu akzeptieren. Dies kann durch Reflexion, Gespräche mit vertrauten Menschen oder professionelle Hilfe geschehen. Es ist wichtig, die Trauer über den Verlust der Heimat anzuerkennen und sich die Zeit zu geben, diesen Verlust zu verarbeiten.

Ein weiterer Ansatz ist die Suche nach neuen Formen von Heimat. Dies kann bedeuten, neue soziale Verbindungen zu knüpfen, neue Orte zu entdecken und sich in neuen Umgebungen zu verwurzeln. Es geht darum, neue Erfahrungen zu machen und neue Erinnerungen zu schaffen, die uns ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit geben.

Letztlich können wir auch eine innere Heimat finden. Diese innere Heimat ist ein Zustand des Friedens und der Akzeptanz, der nicht an äußere Umstände gebunden ist. Es ist ein tiefes Gefühl des Ankommens bei sich selbst, des Einsseins mit der eigenen Existenz. Meditation, Achtsamkeit und Selbstreflexion können uns helfen, diese innere Heimat zu finden. Indem wir uns mit uns selbst verbinden und unsere inneren Konflikte lösen, können wir ein Gefühl von innerer Stabilität und Geborgenheit entwickeln, das unabhängig von äußeren Umständen ist.

Es gibt eine tiefe Dualität in der Vorstellung von Heimat. Einerseits ist sie ein konkreter Ort, ein physischer Raum, den wir als unser Zuhause betrachten. Andererseits ist sie ein abstraktes Konzept, ein Gefühl, das in unserem Inneren existiert. Diese Dualität kann zu Spannungen führen, insbesondere wenn unser physisches Zuhause nicht mehr existiert oder uns nicht mehr das Gefühl von Heimat gibt. In solchen Momenten müssen wir lernen, diese beiden Aspekte zu integrieren und zu akzeptieren. Philosophisch gesehen ist Heimat ein Konstrukt, das sowohl durch individuelle Erfahrungen als auch durch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse geformt wird.

In ihrem 2008 erschienenen Roman „Heimsuchung“ versucht Jenny Erpenbeck anhand von fünfzehn Lebensläufen, die ihre Geschichten und Schicksale von den 1920er Jahren bis in unsere Gegenwart erzählen, dem nachzuspüren, was wir unter Heimat verstehen können und was Heimsuchung (im mehrfachen Sinne) bedeutet.

Die Idee der Heimsuchung trägt eine doppelte Bedeutung in sich: Sie verweist auf das Wiederkehren, das Suchen und Finden eines Ortes der Geborgenheit, aber auch auf das Aufsuchen eines Ortes, der einst vertraut und sicher war, doch nun von Fremdheit und Unruhe erfüllt ist. Was bedeutet es, „Heimat“ und „Heim“ zu haben, und welche Konflikte – sowohl innere als auch äußere – entstehen, wenn diese Konzepte infrage gestellt werden?

„Heimat“ ist ein vielschichtiger Begriff, der nicht nur einen physischen Ort beschreibt, sondern auch emotionale, kulturelle und spirituelle Dimensionen umfasst. Heimat ist das Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit, das tief in unserem Inneren verwurzelt ist. Sie ist der Ort, an dem wir uns geborgen und sicher fühlen, wo unsere Identität gewachsen ist und sich entfalten konnte. Heimat kann ein bestimmtes Haus sein, eine Stadt, ein Land oder sogar ein kulturelles Umfeld. Sie ist oft durch Kindheitserinnerungen, Traditionen und soziale Bindungen geprägt.

Doch Heimat ist auch ein sich wandelndes Konzept. Was einmal Heimat war, kann sich durch äußere Umstände wie Krieg, Migration oder wirtschaftliche Notlagen verändern. Diese Veränderungen können tiefe Risse in unserem Verständnis von Identität und Zugehörigkeit verursachen.

Ein „Heim“ hingegen ist der konkrete Ort, an dem wir leben, unsere alltäglichen Routinen pflegen und uns vor den Unwägbarkeiten der Welt zurückziehen können. Es ist ein physischer Raum, der Schutz und Komfort bietet, aber auch ein emotionaler Zufluchtsort, der uns Stabilität und Halt gibt.

Das Heim ist der Ort, an dem wir uns ausruhen, reflektieren und regenerieren können. Es ist der Mittelpunkt unseres persönlichen Universums, der uns ermöglicht, unsere Energien zu sammeln und unsere Gedanken zu ordnen. Ohne ein Heim fehlt uns der feste Anker in der Welt.

Das Besondere an Erpenbecks Roman ist die Wahl verschiedener literarischen Gattungen und einer individuellen Formensprache für jede dieser fünfzehn Geschichten. Auf seine je eigene Art und Weise entfaltet jedes Kapitel seine ganz eigene Dramatik. Am Ende formt sich aus diesen Puzzleteilen ein Ganzes, ein großes Generationen-Panorama. Auf diese Weise wird Geschichte erlebbar und lassen menschliche Schicksale nachempfinden. Hierin liegt die eigentliche Stärke der Werke von Jenny Erpenbeck: die Sichtbarmachung des Unsichtbaren und das Knüpfen von Verbindungen durch die Zeiten hindurch, von der Weimarer Republik bis heute. — Ein wichtiges Werk der deutschen Literatur der Gegenwart, jetzt erschienen in der kleinen gelben Universal-Bibliothek bei Reclam.

 

 

 

Autor: Jenny Erpenbeck
Titel: „Heimsuchung“
Herausgeber: Reclam
Taschenbuch: 205 Seiten
ISBN-10: 3150143888
ISBN-13: 978-3150143889