„Die Fackel“ war eine einflussreiche literarische und kulturelle Zeitschrift, die von dem österreichischen Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus gegründet und nahezu vollständig selbst herausgegeben wurde. Erstmals im April 1899 veröffentlicht, erschien die Zeitschrift bis 1936 und prägte die literarische und kulturelle Szene der Wiener Moderne maßgeblich.
Karl Kraus nutzte „Die Fackel“ als Plattform für seine scharfsinnigen und oft polemischen Kommentare zur Politik, Gesellschaft, Kultur und insbesondere zur Presse seiner Zeit. Die Zeitschrift war bekannt für ihre unerschrockene Kritik an Korruption, Heuchelei und Dekadenz in der öffentlichen und privaten Sphäre. Kraus‘ meisterhafte Beherrschung der Sprache und sein scharfer analytischer Verstand machten „Die Fackel“ zu einem unverzichtbaren Medium für Intellektuelle und Literaten.
„Die Fackel“ von Karl Kraus ist nicht nur aufgrund ihrer inhaltlichen Schärfe bemerkenswert, sondern auch wegen ihres Umfangs und der thematischen Vielfalt. Im Laufe der 37 Jahre ihres Bestehens erschienen insgesamt 922 Ausgaben mit einer Gesamtseitenzahl von etwa 30.000 Seiten. Diese enorme Menge an Textmaterial umfasste Essays, Aphorismen, Gedichte, Theaterkritiken, politische Analysen und literarische Rezensionen.
Hans Wollschläger hat jetzt den eigentlich unmöglichen Versuch gewagt, für ein „Karl Kraus Lesebuch“ aus diesen 30.000 Seiten eine Auswahl zu treffen. Wo soll man anfangen? Wo aufhören? — Wollschläger betont selbst in seinem elegant und kenntnisreich geschriebenen Nachwort, dass ein Anspruch auf Repräsentativität von vornherein ausgeschlossen ist. Wie könnte eine solche Auswahl repräsentativ, die das Gesamtprojekt auf 1 % der Textmenge eindampft und 99 % weglässt?!
Wollschläger spricht in diesem Zusammenhang vom „Wahnsinn des Unterfangens“, scheint aber bei der Auswahl der hier versammelten Texte eine Menge Spaß gehabt zu haben. Kein Wunder! Denn die bissigen Texte von Karl Kraus haben auch nach hundert Jahren nichts von ihrer Modernität verloren und lesen sich heute so frisch und frech wie damals, sind heute genauso bedeutsam und aktuell wie in zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
„Die Fackel“ war nicht nur ein Spiegel der Zeit, sondern auch ein Katalysator für intellektuelle und literarische Debatten. Viele namhafte Autoren und Denker der Wiener Moderne, darunter Peter Altenberg, Adolf Loos und Karl Kraus selbst, trugen zur Zeitschrift bei. Sie fungierte als Forum für avantgardistische und kritische Stimmen, die die gesellschaftlichen Normen und Werte in Frage stellten und neue ästhetische Maßstäbe setzten.
Durch seine unnachgiebige Kritik an der Medienlandschaft und den herrschenden politischen Verhältnissen leistete Kraus mit der „Fackel“ einen bedeutenden Beitrag zur Aufklärung und zur Verteidigung der Meinungsfreiheit. Die Zeitschrift blieb ein Symbol für intellektuelle Unabhängigkeit und moralische Integrität und hinterließ einen nachhaltigen Einfluss auf die Literatur- und Kulturszene weit über die Grenzen Wiens hinaus.
Die Zeitschrift war inhaltlich breit gefächert, aber bestimmte Themen standen besonders im Vordergrund. Eines der zentralen Anliegen von Kraus war die Kritik an der Presse. Er prangerte die Sensationslust und die mangelnde Integrität vieler Journalisten an und thematisierte die enge Verflechtung von Medien und Politik. Kraus sah in der Korruption und der Verkommenheit der Presse eine Gefahr für die Demokratie und die Gesellschaft.
Ein weiteres Hauptthema war die Kritik an der Sprache und deren Missbrauch. Kraus setzte sich für eine präzise und klare Ausdrucksweise ein und attackierte die Sprachverhunzung durch Politiker, Journalisten und Intellektuelle. Für Kraus war die Sprache das Werkzeug des Denkens, und deren Verschlechterung sah er als Symptom einer allgemeinen moralischen und geistigen Verfallserscheinung.
Auch gesellschaftliche und kulturelle Themen wurden in der „Fackel“ ausführlich behandelt. Kraus kommentierte die Dekadenz der Wiener Gesellschaft, die Künstlichkeit und den Oberflächenglanz der Wiener Moderne und die Abgründe der menschlichen Natur. Besonders heftig kritisierte er die österreichische Politik und ihre Akteure, sowie die Missstände der Justiz und des Militärs.
Die Bedeutung der „Fackel“ für die Gegenwart liegt in ihrer unerschütterlichen Haltung gegenüber der Wahrheit und in ihrer kompromisslosen Kritik an Machtmissbrauch und Korruption. In Zeiten, in denen Fake News und populistische Tendenzen wieder verstärkt auftreten, sind Kraus‘ Schriften eine Mahnung zur Wachsamkeit und zur Verteidigung der Meinungsfreiheit. Sie erinnern daran, dass eine kritische Öffentlichkeit und eine unabhängige Presse essenziell für eine funktionierende Demokratie sind.
Darüber hinaus bieten Kraus‘ sprachliche Präzision und sein Engagement für die Klarheit und Reinheit der Sprache wertvolle Lektionen für heutige Schriftsteller und Journalisten.
„Die Fackel“ bleibt ein leuchtendes Beispiel für die Kraft der Satire und die Bedeutung der literarischen Kritik in der Gesellschaft. Kraus‘ Werk inspiriert weiterhin Intellektuelle und Kulturschaffende, die gegen Missstände und Ungerechtigkeiten ihre Stimme erheben.
Autor: Hans Wollschläger (Hg.)
Titel: „Das Karl Kraus Lesebuch“
Herausgeber: Wallstein
Gebundene Ausgabe: 452 Seiten
ISBN-10: 3835356127
ISBN-13: 978-3835356122