Bettina Musall: „Das kann gut werden — Wie der Einstieg in den Ruhestand zum Aufbruch in ein neues Leben wird“

Es ist stets sinnvoll, sich einen komplexen Prozess anschaulicher zu machen, indem man sich ein Bild macht. Der scheinbare Umweg der Verbildlichung verkürzt den Erkenntnisprozess; die Suche nach Vergleichen und das Finden einer passenden Allegorie fördern das Verständnis.

Wenn es um den Weg aus der Berufstätigkeit und den Weg in den Ruhestand geht, so bieten sich gleich mehrere Vergleiche an: das Leben als Wanderung, als langsamer Fluss, als Kanufahrt durch Stromschnellen oder auch als Segeltörn auf einem stillen See. Wir können das Leben beschreiben als zirkulären Prozess — als einen potenziell endlosen Kreislauf — oder auch als lineare Bewegung — als eine mehr oder weniger gerade verlaufende Strecke von A nach B.

Vergleichen wir beispielsweise unseren beruflichen Werdegang mit einer Wanderung, präziser: mit einer Bergwanderung, so beschreibt dieses Bild den mitunter mühsamen Weg zum Gipfel. Ist der Gipfel erreicht, so endet das Berufsleben zwar im Triumph der erreichten Leistung; die Kehrseite dieses an sich schönen Bildes besteht allerdings darin, dass es nach dem Erklimmen des Gipfels eigentlich immer nur bergab gehen kann … Kein besonders geeignetes Bild — es sei denn, Sie sind Pessimist.

Optimistischer gestaltet sich der Lebens- und Berufsweg als eine Wanderung durch eine hügelige Landschaft: Hier gibt es immer wieder Steigungen und Gefälle, man muss Kraft aufwenden, um den Hügelkamm zu erklimmen, aber es gibt immer auch Phasen, wo wir auf einem leicht abfallenden Wege Schwung generieren können für den nächsten Aufstieg, der schon in Sichtweite liegt.

Die Zugfahrt ist auch ein schönes Sinnbild für den eignen Lebensweg — ein Bild, das auch die Autorin verwendet, um den Blick auf das eigene Leben zu erleichtern: Wir sitzen in einem Zug durch unser Leben; das Fahrtziel haben wir (im besten Falle) selbst gewählt. Vielleicht machen wir es aber auch wie zu Interrail-Zeiten: einfach einsteigen und losfahren, mal sehen, wohin der Zug fährt! Die Strecke des Zuges können wir nicht beeinflussen, seine Fahrtzeiten und mögliche Hindernisse auch nicht. Aber wir können jederzeit am nächsten Halt aussteigen und einen anderen Zug wählen — oder auch wieder eine Station zurückfahren (…)

Vielleicht wäre aber auch das Fest ein passender Vergleich: Wenn das Leben weniger einem imaginären Ziel zustrebt, sondern der Weg, das Hier-Sein, das eigentliche Ziel und der Sinn meines Lebens ist, so kann das Fest, das gesellige Miteinander mit Freunden, Bekannten und Unbekannten, eine schöne Allegorie für mein Leben sein.

Wie auch immer wir das Leben betrachten und welches Bild wir uns von unserem ganz individuellen Leben machen, eine Sache wird deutlich: Spätestens mit dem Eintritt in den Ruhestand werden wir wieder mit der Frage konfrontiert, wie wir unser Leben gestalten wollen. Die Betonung liegt hier auf wollen; denn in den Jahrzehnten unseres Arbeitslebens stellte sich diese Willensfrage meistens gar nicht, sondern das Leben war von dem geprägt, was wir machen müssen, um unser Leben und das unserer Familie zu finanzieren.

In dem Moment, wo wir aus dieser langen Lebensphase der Fremdbestimmtheit heraustreten, verlassen wir jenen Lebensabschnitt, in dem uns gesagt wurde, was wir zu tun und was wir zu lassen hätten; jene „Fernsteuerung“ war dem einen oder der anderen vielleicht gar nicht so unlieb, weil dadurch keine eigenen Entscheidungen erforderlich waren. Danach jedoch beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der uns plötzlich alle Freiheiten eröffnet, was die Gestaltung unseres Lebens betrifft.

Diese neue Freiheit ist nicht jedermanns Sache. Sie kann auch Angst machen. Doch Angst ist niemals ein guter Berater. Deshalb ist es sinnvoll, sich frühzeitig mit der Tatsache zu konfrontieren, dass mit dem Ruhestand etwas Neues beginnt, über dessen Gestaltung wir selbst entscheiden können — und müssen.

Wer sich nicht mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt und zu verstehen versucht, wie er durch seine bewussten oder unbewussten Entscheidungen den eigenen Lebenslauf mitbestimmt hat, wird es schwer haben, in dem jetzt folgenden Lebensabschnitt seinen Weg aktiv zu wählen. Mit anderen Worten fahren wir „auf Sicht“ und befinden uns im nebeligen Terrain. Klarere Sicht bekommt nur, wer weiß, von wo er kommt und wohin er geht.

So pauschal und so banal dies alles klingt, so steckt doch eine Menge Lebensweisheit in dieser Haltung: eine Zwischenbilanz zu ziehen, bevor man/frau sich weiter auf den Weg begibt.

Bettina Musall ist Jahrgang 1956 und hat von 1985 bis 2021 beim SPIEGEL gearbeitet. Sie hat den Eintritt in ihren Ruhestand bereits hinter sich, und dieses Buch ist ihr Geschenk an uns; das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn die Autorin hat einen Weg beschritten, der den meisten Lesern wohl noch bevorstehen dürfte. — Wer sonst würde zu einem solchen Buch greifen, das einen „Aufbruch in ein neues Leben“ verspricht?!

„Das kann gut werden“ ist ein Lebensratgeber im besten Sinne. Die Betonung liegt hier auf dem „kann“: „Das kann gut werden“, muss aber nicht. Es liegt am Leser selbst, seinen Ruhestand zu planen; das ist die Kernbotschaft der Autorin. Natürlich kann trotzdem immer was dazwischenkommen, da hilft selbst die beste Vorplanung nichts. Aber so ganz ohne Plan mit einer Warten-wir-mal-ab-Haltung ins Rentner-Dasein zu gehen, ist wahrlich keine gute Idee.

Natürlich gibt es auch Menschen, die sich nach einem langen und anstrengenden Berufsleben nichts sehnlicher wünschen, als einfach nur im eigenen Garten gemütlich in der Hängematte zu liegen oder eine Netflix-Serie nach der anderen zu schauen, bis das Bier im Kühlschrank alle ist; doch das sind (hoffentlich) Ausnahmen oder vorübergehende Phänomene menschlicher Inaktivität. Die große Mehrheit dürfte bereits eine zumindest vage Vorstellung vom „Leben danach“ haben und Pläne schmieden, wie man den Ruhestand zum Unruhestand umfunktionieren könnte: Kreuzfahrten, Sammelleidenschaft, Enkelkinder-Betreuung und Vereinswesen sind nur spontane Beispiele einer zumindest teilweise sinnvollen Freizeit- und Lebensgestaltung.

Das vorliegende Buch gibt eine Vielzahl weiterer Anregungen und besticht vor allem durch seine durchdachte Struktur des Prozesses individueller Verrentung. Wie bereits angedeutet, empfiehlt die Autorin allen „Betroffenen“, zunächst eine „Zwischenbilanz“ des bisherigen Lebens zu ziehen. Das klingt bedrohlicher, als es gemeint ist; man sollte sich fragen, was einen geprägt hat (Eltern, Verwandte, Schule, Freunde, …), sich bewusst machen, wie prägend das soziale Umfeld und die eigene Herkunft, die Ausbildung und die Berufswahl für den eigenen Lebensweg waren, wie groß der Einfluss des Lebenspartners war usw. — Viele Träume unserer jungen Jahre kommen uns heute seltsam oder gar lächerlich vor; oder träumen wir vielleicht immer noch davon?

Viele Fragen kann man sich stellen, um zu verstehen, was die ersten zwei Drittel unseres Lebens bestimmt hat und für uns wichtig war. Man sollte sich genügend Zeit nehmen für eine solche Bestandsaufnahme. Denn sie wird einem helfen, den gegenwärtigen Standpunkt (der ja der Ausgangspunkt für das kommende Lebensdrittel ist) zu erkennen. Wer erkannt hat, wo er steht, warum er dort steht und wie er/sie dorthin gelangt ist, kann seinen weiteren Weg besser planen.

Von Tag 1 des Ruhestands an kann man entweder genauso weitermachen wie bisher, oder man erkennt die neue Freiheit des Ruhestands als das an, was sie ist: eine Chance zum Ausprobieren, zum Spielen mit den Möglichkeiten und zum dankbaren Annehmen dieses großen Geschenks verfügbarer Zeit. — All dies gilt natürlich immer nur für jene beste aller möglichen Welten, in der man unbeschadet, finanziell abgesichert und gesund in den Ruhestand tritt, mit einem funktionierenden sozialen Umfeld, einem liebenden Partner und einem Kopf voller neuer Ideen, wie das eigene Leben noch einmal richtig an Fahrt aufnehmen kann.

Solch eine perfekte Kombination aus günstigen Begleitumständen wird es nicht immer geben; für die meisten dürfte das eine oder andere Problem bereits drohend um die Ecke winken, so dass sie dem Tag des Ausstands zumindest mit gemischten Gefühlen entgegenblicken: Können wir weiter den Kredit für das Haus bezahlen? Was ist, wenn mein Arzt plötzlich eine schwere Krankheit diagnostiziert? Können wir uns die geplante dreimonatige Weltreise überhaupt (noch) leisten? — Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg zeigen sehr anschaulich, wie schnell unsere friedliche und gesicherte Wohlstandswelt ins Wanken geraten kann. Die Generation der Baby-Boomer, die jetzt in Rente geht, hat immer im Frieden gelebt; plötzlich hat diese Friedensordnung einen deutlichen Knacks bekommen und wächst bei manchen auch die Angst vor einem drohenden Dritten Weltkrieg.

Malen wir nicht den Teufel an die Wand, sondern zeichnen wir lieber ein positives und optimistische Bild vom eigenen Lebensabend! Vor allem sprechen wir noch lange nicht von einem Lebensabend, sondern von einem — sagen wir: Spätnachmittag des Lebens! Denn die Lebenserwartung steigt immer weiter, und wer heute in Rente geht, hat noch ein ganz schönes Stück Lebenszeit vor sich, wenn alles gut geht. Dafür sorgen wir meistens selbst, indem wir uns mehr bewegen als unsere Eltern, mehr Sport treiben, uns gesünder und bewusster ernähren usw. Anders als die vorherigen Generationen sollten wir unser drittes Lebensdrittel „pro-aktiv“ gestalten, unser Leben mit sinnvollen Tätigkeiten bereichern, Gemeinschaft und soziale Kontakte auch außerhalb unseres familiären Kreises pflegen, am öffentlichen Leben teilnehmen und uns gerne auch ehrenamtlich engagieren.

Wenn der Ruhestand kommt, gibt es eine Menge zu tun! Wer sein Leben in die eigene Hand nimmt, wer weiß, wohin er will und welcher Weg auf ihn wartet, der kann sein Leben aktiv gestalten, Lebensfreude empfinden und ausstrahlen. Wenn die Baby-Boomer zu Rentner-Boomern werden, dann sind sie nicht allein: Es wird eine Massenbewegung sein. Wir, die 55-65-jährigen, die in den kommenden Jahren in Vorruhestand oder in Rente gehen, sind viele. Es wird voll werden in den Kulturstätten unseres Landes! Freuen wir uns darauf! Planen und gestalten wir unsere nächste Lebensphase und machen sie zu einem „next level“ unseres Lebens-Spiels!

„Das kann gut werden“ ist die praxisnahe Anleitung für die sinnvolle Planung des eigenen Ruhestands! Lesen Sie dieses Buch und beherzigen Sie die Tipps dieser lebensklugen Autorin!

 

 

 

 

Autor: Bettina Musall

Titel: „Das kann gut werden — Wie der Einstieg in den Ruhestand zum Aufbruch in ein neues Leben wird“

Herausgeber: C. Bertelsmann Verlag

Gebundene Ausgabe: 304 Seiten

ISBN-10: ‎3570104761

ISBN-13: 978-3570104767