Die meisten von uns betrachten das Bett als einen sicheren Ort der Ruhe und Erholung. Hier passiert in der Regel nichts — zumindest nichts, was die Welt aus den Angeln heben könnte. Doch weit gefehlt! Verändert man die Perspektive und nimmt die gesamte Menschheitsgeschichte in den Blick, so wird man schnell auf einige historische Bettszenen stoßen, die die Welt veränderten.
Um es gleich vorwegzusagen: Dieses Buch bietet eine äußerst unterhaltsame und anregende Lektüre und ist daher zwar auch für die Bett-Lektüre geeignet; eine horizontale Lagerung des Lesenden ist jedoch nicht zwingend erforderlich.
Der Titel des Buches verspricht eine horizontale Reise durch die Weltgeschichte, und so ist es auch folgerichtig, dass sich die beiden Autoren zunächst mit dem „Bett“ als zentralen Ort jener Menschheitsgeschichte beschäftigen:
Was ist ein Bett? Wie und wo hat der Mensch angefangen, sich einen sicheren Platz für die Nacht zu schaffen? Wer hat wie, wo und wann geschlafen? Schlief man allein, zu zweit, zu vielen?
Es sind, wie so oft, zwei Wissenschaftler aus dem angloamerikanischen Wissenschaftsbetrieb, die mit einem frischen Blick auf historische Ereignisse zu neuen Erkenntnissen gelangen. Die beiden Autoren sind jedoch keineswegs Historiker oder Kulturwissenschaftler, sondern Archäologen, was ja auch Sinn macht, wenn man nach den Anfängen der Bettgeschichte (im ganz wörtlichen Sinne) graben möchte.
Denn wer könnte besser Bescheid wissen über die Anfänge des Schlafens in grauer Vorzeit als die Archäologen? — Und so beginnt diese horizontale Reise durch die Bettgeschichten der Weltgeschichte in grauer Vorzeit, vor zwei Millionen Jahren in Afrika.
Wenn es um Betten als Ort kultureller Praktiken geht, so geht es natürlich auch um das Schlafen in historischer Perspektive. Denn im Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich die Art und Weise, wie und wann geschlafen wurde, immer wieder gewandelt.
Bett und Schlafen zusammengefasst, böte dies allein schon eine unterhaltsame Lektüre, aber die beiden Autoren liefern dem Leser noch viele weitere Informationen. Wenn man es genau betrachtet, wird das Bett zum zentralen Handlungsort menschlichen Lebens: Geburt, Schlaf und Tod sind die große Klammer des Lebens, und natürlich gehört auch Sex dazu; auch der Zeugungsakt fand und findet nicht immer im Bett statt, findet dort aber seine wohl angenehmste und knochenschonendste Variante.
Privatheit und Öffentlichkeit sind zwei weitere wichtige Koordinaten, wenn es um soziales Handeln geht. Zum einen wird das Bett als intimer Rückzugsort der Erholung definiert; zum anderen war es zu manchen Zeiten durchaus ein öffentlicher Ort politischen oder/und künstlerischen Handelns. Mit Heinrich III. (wie haben es mit einem Buch aus dem englischen Sprachraum zu tun, weshalb dem englischen Königshof oberste Priorität eingeräumt wird) begann im 13. Jahrhundert an den Höfen die Tradition der öffentlichen Schlafgemache, in denen Hof gehalten, empfangen und sogar Recht gesprochen und Politik getrieben wurde. Auch bei Ludwig XIV. waren das öffentliche „Lever“ und „Coucher“ feste Bestandteile einer höfischen Zeremonie.
Nach der Französischen Revolution und den daraus resultierenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wurde im 19. Jahrhundert auch in monarchischen Kreisen mehr Wert auf eine Privatsphäre gelegt; Königin Victoria hielt ihre Schlafzimmertür fest verschlossen, was auch gut zur allgemein gehemmten und prüden Moral des Viktorianischen Zeitalters passte.
Politisch war auch das berühmte „Bed-In“ für den Frieden von John Lennon und Yoko Ono während ihrer Flitterwochen im Jahr 1969. Vergleicht man die Fotos dieser Happenings mit dem „Lever“ am französischen Hof, so scheint es sich um ein Zitat zu handeln, doch wahrscheinlich haben die beiden nicht an Ludwig XIV. gedacht, als sie die Presse in ihrem Hotelzimmer empfingen. Sie waren einfach in den Flitterwochen und hielten das Bett als gleich mehrfach codierten Ort soziokulturellen und politischen Handelns für am besten geeignet, um ihre Botschaften von „Hair Peace“ und „Bed Peace“ in die Welt zu tragen.
Der letzte Abschnitt dieses unterhaltsamen und lehrreichen Buches widmet sich den Betten der Zukunft und der wahrscheinlich schon zu allen Zeiten gestellten Frage nach der besten Art des Schlafens. Schlafen ist eine Kulturtechnik. Wer schläft, scheint sich dem menschlichen Treiben bewusst zu entziehen; doch so einfach ist es nicht. Wer schläft, folgt einem biologischen Bedürfnis. Ohne Schlaf kann der Mensch nicht dauerhaft überleben. Jeder von uns hat seine eigenen Tricks, um besser einschlafen und gut schlafen zu können. Gute Tipps gibt es reichlich, und vielleicht ist die folgende Empfehlung, die angeblich von Casanova stammen soll, nicht die schlechteste: „Wer schläft, sündigt nicht; wer vorher sündigt, schläft besser.“
Autor: Nadia Durrani u. Brian Fagan
Titel: „Was im Bett geschah — Eine horizontale Geschichte der Menschheit“
Herausgeber: Reclam
Gebundene Ausgabe: 269 Seiten
ISBN-10: 3150113733
ISBN-13: 978-3150113738