Uwe Wittstock: „Februar 33 – Der Winter der Literatur“

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Es ist keine schöne Lektüre, aber wie sollte es auch anders ein?! — Denn der Zeitabschnitt,  um den es in diesem Buch geht — der erste Monat nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 –, war auch ein Monat, in dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in einem solchen Tempo veränderten, dass es vielen Zeitgenossen schwerfiel, mit diesem Tempo mitzukommen.

Nun ist das Ganze 90 Jahre her (Februar 2023), und immer noch betrachten viele von uns die „Nazizeit“ als „lange her“ und als ein abgeschlossenes Kapitel der Weltgeschichte. — Lange her? Ja, das ist richtig. Aber dass der Nationalsozialismus und auch ein radikaler Nationalismus auch in Zeiten der EU keinesfalls eine „abgeschlossene“ Geschichte zu sein scheint, zeigen leider auch die jüngsten Wahlerfolge rechter Parteien in unseren Nachbarländern.

Doch wie stellte sich die Situation für die Zeitgenossen dar? Wie sah der Alltag von Linken und Intellektuellen (und hier imBesondern von Schriftstellern) im Februar 33 aus? Was dachten Sie? Was war ihre Reaktion auf die neuen Verhältnisse? War ihnen die Tragweite dieser Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg bewusst?

Das bereits vor knapp zwei Jahren bei C. H. Beck erschienene Buch von Uwe Wittstock bekommt eigentlich erst jetzt, im Jahr 2023, seinen eigentlichen Auftritt, denn in diesem Jahr jährt sich, wie bereits gesagt, dieser denkwürdige 30. Januar zum neunzigsten Mal.

Und so liest man jetzt — quasi „tagesaktuell“ — was sich vor 90 Jahren in Deutschland zugetragen hat und wie sich das neue politische Klima auf das Denken und Wirken der Schriftsteller und Künstler auswirkte. Wobei sich auch die frage stellt,ob das politische Klima nach den aufreibenden und von Regierungskrisen, Straaßenschlachten, Tumulten im Parlament, politischen Morden und wirtschaftlichen Krisen wirklich so „neu“ war? —

Auf jeden Fall stellte sich nach dem 30. Januar 1933 kein „milderes“ Klima ein, um im meteorologischen Bild zu bleiben, sondern der Sturm wurde stärker und kam fortan nur mehr aus einer einzigen Richtung: von rechts.

Man liest dieses „Tagebuch“ jener Zeit, aus dem „Winter der Literatur“ in Deutschland, am besten JETZT, d.h. im Februar 2023 genau zu jenen Zeiten, die vom Kalender her denselben Tag zeigen; auf diese Weise ist man noch ein Stückchen näher am damaligen Geschehen.

Uwe Wittstock ist kein Historiker, doch vielleicht ist das auch ein Vorteil, weil er als Journalist und Buchautor nicht zu viele historische Fakten im Kopf hat, die dem Historiker manchmal die Arbeit mehr erschweren als erleichtern. Da der Autor vom journalistischen Schreiben kommt, sind seine Texte nicht nur flüssig und leicht verständlich, sondern zeigen aufgrund der journalistischen Routine auch das sichere Händchen bei der Auswahl geeigneter Textpassagen, die sich zu einem spannenden Mosaik jener dunklen Zeit formen, welches das unaufhaltsame Heraufziehen eines gewaltigen Sturmes für den Leser derart greifbar machen, dass die Lektüre an vielen Stellen auch bedrückend wird.

Wie bereits am Anfang gesagt, ist es keine „schöne“ Lektüre, aber eine wichtige und lehrreiche Lektüre. Eigentlich wäre dieses Buch auch hervorragend als Schullektüre für die höheren Jahrgänge in den Fächern Deutsch und Geschichte geeignet. Ob es vielleicht sogar schon hier und da den Einzug in den Schulunterricht gefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es wäre allen zu wünschen – dem Autor als Anerkennung seiner Arbeit und den Schülern als eine seltene Gelegenheit zum Nachvollzug eines historischen Ereignisses in seinen ganz individuellen Auswirkungen auf seine Zeitgenossen.

Autor: Uwe Wittstock
Titel: „Februar 33 – Der Winter der Literatur“
Herausgeber: C.H.Beck; 6. Edition
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
ISBN-10: ‎3406776930
ISBN-13: ‎978-3406776939