Henriette Hell: „Lust: Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo“

Ein Buch über Lust? — Das macht neugierig, und in der Tat wird der/die/das lesende Subjekt auch nicht enttäuscht. „Lust“ von Henriette Hell beschäftigt sich mit der „schönsten Todsünde“, wie der Philosoph Simon Blackburn die Wollust bezeichnete. Es geht „Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo“, wie es etwas reißerisch im Untertitel heißt. Aber es wird nicht zu viel versprochen, denn alles kommt zur Sprache.

Apropos Sprache: Für Lesende jenseits der 30 ist der Schreibstil der Autorin zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber schnell hat man/frau/div sich eingelesen. Was dieses kleine Büchlein wirklich lesenswert macht, ist die sehr persönliche Perspektive der Autorin, die dieses Thema (Lust) mit vielen konkreten Beispielen greifbar macht. Denn mal ehrlich: Wie würden Sie Lust definieren? — Gar nicht so einfach. Und in Zeiten von #metoo, Wokeness, Gender Fluidity, Diversität und „was-weiß-ich-auf-wen-ich-jetzt-auch-noch-Rücksicht-nehmen-soll“ kann man — ja, vor allem der Mann, der „alte, weiße Mann“! — sich verdammt schnell die Finger verbrennen …

Das wirklich Schöne an diesem Buch über die Lust ist zum einen seine sehr komprimierte Form (nach 98 Seiten ist die Lektüre rum, wobei ich durchaus gerne mehr Details und Ausführlichkeit gehabt hätte, aber so ist es eben eine schnelle und gute Einführung!) — und zum anderen macht die Lektüre einfach Spaß, weil sich das Engagement und die Begeisterung der Autorin in jeder Zeile wiederfinden lässt. Platt gesagt, hatte die Autorin offenbar große Lust, über Lust zu schreiben! —

 So schön und kompakt zusammengefasst kann sich die Leserschaft auch mal intellektuell mit einem Thema befassen, das meistens immer noch in den geheimen Bereich des Privaten verbannt oder zumindest nicht „öffentlich“ gemacht wird. Doch selbst hier ändern sich die Zeiten. Die eigene Lust offen zu legen, öffentlich zu machen, sexpositiv zu „leben“ scheint nicht nur ein kurzfristiger Trend zu sein, sondern dient neben vielem Anderen vor allem auch der eigenen Positionierung, als ein Mittel der Selbstfindung und Selbstdarstellung. Das kann man schön, toll, super finden oder nicht, wichtig oder übergriffig, anmaßend, aufdringlich, ermüdend oder provozierend (…), aber es ist eben, wie es ist: ein Zeichen unseres Zeitgeistes.

 Henriette Hell hat ein schönes kleines Buch über die Lust geschrieben, sie gewährt tiefe Einblicke in die Geschichte der Lust, der männlichen wie weiblichen, sie zeichnet die Ursprünge und die historische Entwicklung der Sünde nach und liefert ein unterhaltsames und kluges Update für alle, die sich in Sachen Lust auf einen aktuellen Stand bringen möchten. — Kurzum: eine klare Lese-Empfehlung!

 

Autor: Henriette Hell
Titel: „Lust: Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo“
Herausgeber: ‎S. Hirzel Verlag GmbH
Taschenbuch: ‎112 Seiten
ISBN-10: ‎3777630411
ISBN-13: ‎978-3777630410