Interview mit Andrej Kurkow in Berlin am 27.02.10

Interview mit Andrej Kurkow in Berlin am 27.02.10
anlässlich der Buchvorstellung seines neuen Romans „Der Milchmann in der Nacht“

KULTURBUCHTIPPS: Herr Kurkow, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns über Ihren neuen Roman „Der Milchmann in der Nacht“ zu sprechen. In diesem Buch ist wieder einmal alles drin, und die Geschichte ist sehr komplex: man findet darin politische Aspekte, viele satirische Elemente und wirklich skurrile Dinge… – Ist die Ukraine wirklich so bunt?

ANDREJ KURKOW: Vielleicht nicht ganz so bunt, aber bunt auf jeden Fall.

KULTURBUCHTIPPS: Ihr neuer Roman handelt ja von vielen Personen, die alle ihre eigene Geschichte haben. Aber während der Lektüre merkt man schnell, dass diese Personen nicht nur jede für sich existieren, sondern auch miteinander verbunden sind und eine gemeinsame Geschichte haben. – Wie kommen Sie auf Ihre Geschichten?

ANDREJ KURKOW: Manchmal ist es schwer, manchmal nicht. Hier zum Beispiel wollte ich eine Liebesgeschichte ohne Politik schreiben. Denn mit „Die letzte Liebe des Präsidenten“ hatte ich Probleme bekommen sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Daher war die erste Idee, einfach über Irina und ihre Liebesgeschichte zu schreiben. Aber ich liebe nun einmal komplizierte Strukturen. Ich habe schon 15 Romane auf Russisch veröffentlicht, nicht alle wurden bislang übersetzt, und ich habe drei Romane mit ganz komplizierten Strukturen geschrieben. Schon mit „Die letzte Liebe des Präsidenten“ kehrte ich wieder zurück zu diesen komplizierten Strukturen. Dieser neue Roman ist auch ein bisschen komplizierter; aber ich finde diese Art von Literatur auch interessanter zu schreiben und, wie ich hoffe, auch interessanter zu lesen. Es ist ein wenig so wie Schach spielen.

KULTURBUCHTIPPS: Wenn man die Figuren setzt und Strategien entwickelt…

ANDREJ KURKOW: Ja, ich habe einen Roman geschrieben, der heißt „Die Geographie des einzelnen Schusses“. Daran schrieb ich sieben Jahre, und dann brauchte ich noch einmal zwei Jahre, um den Roman abzukürzen. Dieser Roman ist vielleicht mein bester Roman. Er wurde schon drei oder vier Mal auf Russisch veröffentlicht, es gibt ungefähr 100 Helden darin, fünf Handlungslinien, und der Roman spielt in der Zeit von 1927 bis 1974. Es ist die Geschichte der Evolution der sowjetischen Mentalität. Es finden sich darin die gleichen Elemente wie auch in diesem neuen Roman, auch viel schwarzer Humor wie zum Beispiel in Gestalt eines Papageis, der Gedichte schreibt usw. – Diesen großen Roman schrieb ich vor nunmehr 15 Jahren; ich wollte immer eher komplizierte Geschichten schreiben, aber ich verstand natürlich auch, dass man mit solchen Geschichten schwerer einen Verlag findet.

KULTURBUCHTIPPS: Aber ich habe den Eindruck, dass Sie mit dem Diogenes-Verlag ein gutes Zuhause gefunden haben…

ANDREJ KURKOW: Ja, das schon. Aber ich glaube nicht, dass sie auch „Die Geographie des einzelnen Schusses“ veröffentlichen werden. Denn das sind insgesamt drei Bände mit mehr als 1500 Computerseiten, und das wäre eine zu große Arbeit für einen Übersetzer. Aber ich bin sehr froh, dass dieser neue Roman („Der Milchmann in der Nacht“) jetzt bei Diogenes erschienen ist. Er wurde zunächst im Januar auf Französisch veröffentlicht und ist dort bereits sehr erfolgreich. Ich war gerade für zwei, drei Wochen in Frankreich auf Lesereise, und nach der Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz geht es Ende März noch einmal zurück nach Paris zu einer Lesung im Centre Pompidou.

KULTURBUCHTIPPS: Und diese Lesung halten Sie selbst auf Französisch, denn Sie sprechen ja viele Sprachen, wie ich gelesen habe.

ANDREJ KURKOW: Ja, eigentlich konnte ich 12 verschiedene Sprachen, aber jetzt sind es nur noch sieben; die anderen benutze ich nur noch selten. – Aber um noch einmal auf die Komplexität zurück zu kommen: Ich konnte wirklich nur mit einem Roman wie „Picknick auf dem Eis“ einen Verlag finden, einem Roman mit einer einzigen Handlungslinie. Aber jetzt bin ich froh, dass ich die Geschichten ein wenig komplizierter machen kann. – Obwohl der nächste Roman, an dem ich im Moment schreibe, wieder eine einfachere Geschichte erzählt und endlich auch mal ohne Politik. Er wird von der Länge her ein bisschen so wie „Ein Freund des Verblichenen“ werden – ein kleiner Roman, eine kleine Geschichte und ohne Politik.

KULTURBUCHTIPPS: Möchten Sie schon ein bisschen verraten, worum es in der Geschichte geht?

ANDREJ KURKOW: Die Geschichte heißt „Der Gärtner aus Ochakov“ – Ochakov ist eine kleine Stadt am Schwarzen Meer zwischen Odessa und Krim, und es geht um einen jungen Mann, der mit seiner Mutter in einen Vorort von Kiew umzieht. Sie ziehen dort in ein Privathaus. Eine Nachbarin kümmert sich ein wenig um die Mutter, denn sie ist allein und geschieden. Eines Tages bringt sie also einen Mann mit, weil sie meint, dass die Mutter vielleicht einen Gärtner brauchen könnte. Er könnte alles reparieren, brauchte kaum Geld und auch keine große Wohnung. Der Gärtner ist um die Sechzig und wohnt dann in dem kleinen Gartenhaus. Eines Tages bemerkt der Sohn, dass der Mann eine alte Tätowierung auf der Schulter trägt. Sie ist stark verblichen und man kann nichts Genaues erkennen, also fragt er den Mann danach. Der sagt, die Tätowierung sei von seinem Vater gemacht worden, als er acht Jahre alt war. Danach war sein Vater verschwunden, und er wisse nichts darüber. Also macht der Sohn mit einer Digitalkamera ein Foto dieses Tattoos und zeigt es einem Freund in Kiew, der Computerspezialist ist. Der restauriert das Foto im Computer, und dann entdecken sie ein Geheimnis… Danach müssen die zwei in eine andere Richtung fahren, um etwas über die Vergangenheit seines Vaters zu erfahren.

KULTURBUCHTIPPS: Sie sind wirklich ein begnadeter Erzähler, das merkt man auch jetzt wieder. Und auch ihre Geschichten leben ja einerseits von Ihrer Erzählkunst und wie Sie die Figuren zum Leben erwecken und andererseits von der Umgebung der Geschichten. Diese spielen in der Regel in der Ukraine am östlichen Ende Europas. Und diese Gesellschaft ist für den deutschen Leser besonders spannend; denn wir hören aus den Nachrichten nicht viel aus der Ukraine und man kann sich nur schwer ein Bild machen, wenn man nicht selbst dort gewesen ist. – Auch in ihrem neuen Roman passieren wieder einige seltsame Dinge, denn auch hier ist wieder die Politik im Spiel, und wir lesen zum Beispiel von einer ominösen Kirche der „Botschaft des Mondes“. Gibt es dafür eine reale Vorlage?

ANDREJ KURKOW (lacht): Ja, es gibt eine „Botschaft Gottes“, eine Sekte, der auch der jetzige Kiewer Bürgermeister, Herr Tschernowezki, angehört. Die „Botschaft Gottes“ ist eine Sekte, die von einem Nigerianer vor etwa zehn, zwölf Jahren gegründet wurde. Der Nigerianer heißt Sunday Adelaya; er war als Student in die Ukraine gekommen, dann wurde er, glaube ich, wegen Drogenhandels verhaftet, dann wieder freigelassen und gründete eine Sekte. Diese Sekte ist ganz groß, und unser Bürgermeister, ein seltsamer Typ und Millionär, ist auch ein Mitglied dieser Sekte. Es gab jetzt einige Skandale mit dieser Sekte, weil der Leiter der Sekte seine Mitglieder aufgefordert hatte, ihr Geld in eine Investment-Gruppe zu geben, und viele Leute hatten private Kredite aufgenommen, um in diese Gruppe zu investieren. Dann jedoch ist die Gruppe verschwunden, und die Leute wohnen jetzt in Wohnungen, die den Banken gehören. Sie sehen also, es passiert auch so ganz viel in der Realität.

KULTURBUCHTIPPS: Somit ist die „Kirche von der Botschaft des Mondes“ in ihrem neuen Buch auch wieder eine spannende Transformation der ukrainischen Realität: diese Schlafwandler und die Sekte der Leute, die sich nachts in Nachtklubs treffen, darunter viele Abgeordnete, die im Schutze der Nacht daran arbeiten, die nächsten Wahlen zu gewinnen.

ANDREJ KURKOW: Ich nehme die Realität und entwickle sie weiter und hebe sie auf die nächste Stufe der Absurdität.

KULTURBUCHTIPPS: Wie ist denn das mit der Milch? Man kennt das ja seit der Antike, das Baden in Eselsmilch und die Haut verjüngende Wirkung von Milch. Aber Muttermilch als Schönheitselixier…

ANDREJ KURKOW: Das kann schon existieren, glaube ich. Denken Sie einmal an die ganzen Schönheitssalons, und auch die Politiker gehen alle dorthin, um sich Botox einspritzen zu lassen und um spezielle Sachen zu essen, damit sie jünger aussehen. Denn ukrainische Politiker verkaufen immer nur ihr Image und nicht ihre Ideen.

KULTURBUCHTIPPS: Und ein weiterer Bereich sind diese Substanzen, um die es in dem Buch geht und die der Apotheker Edik hergestellt hat…

ANDREJ KURKOW: Sie meinen „Anti-Hase“? Ich wollte in diese Geschichte einbauen, dass Juri diese Arzneien für Wiktor Juschtschenko bestellt, der war immer schwach und ängstlich, aber ich beschloss, diese Geschichte nicht zu verwenden, denn das wäre banal gewesen.

KULTURBUCHTIPPS: Jetzt mal abgesehen von Ihrem Buch. Wie sieht es denn überhaupt in der Ukraine aus? In den Nachrichten hier bekommt man nicht viel mit. Die Regierung teilen sich ja zurzeit Julija Tymotschenko als Parlamentsvorsitzende und Wiktor Janukowytsch als Präsident, richtig?

ANDREJ KURKOW: Aber sie sind sich auch beide sehr ähnlich. Denn beide haben keine Ideologien. Beide vertreten nur verschiedene Gruppen der Oligarchen und der Geschäftsleute. Und beide brauchen nur den Zugang zum Staatshaushalt. Und dieses Mal war die Wahl wirklich sehr schwer für die Ukraine, denn die Leute mussten wählen zwischen Auto ohne Bremse und Bremse ohne Auto. Und die Ukraine ist ein langsames Land wie in der Mittelmeer-Region; sie beeilen sich nicht und warten, dass etwas von selbst passiert, und als Resultat haben wir jetzt Herrn Janukowytsch als Präsidenten.

KULTURBUCHTIPPS: Aber wie sieht es mit Russland aus? Der Einfluss von Russland ist doch relativ stark, soweit man dies aus der Ferne mitkriegt.

ANDREJ KURKOW: Die Ukraine ist schon wichtig für Russland, aber die Länder gehen schon in verschiedene Richtungen. Ich meine, ich bin ein geborener Russe und lebe seit meiner Kindheit in der Ukraine. Ich kenne also die Unterschiede in der Mentalität sehr gut. Die Russen sind sehr kollektiv und sehr einfach politisch engagiert, sind zunächst sehr offen, können aber auch sehr aggressiv werden. Die Ukrainer sind Egoisten und mehr Europäer; denn sie kümmern sich nicht um den Staat oder das Land, sondern nur um ihre Familien. Die Hauptfeinde sind die Nachbarn. Aber sie sind normalerweise nicht repressiv, sondern sehr geduldig. – Die Russen können viel einfacher eine Revolution organisieren, während die Ukrainer einfach abwarten. Und jetzt als Resultat haben wir mehr Demokratie als in Russland – und auch mehr Anarchie. Und viele Russen wohnen ja nicht weg von der Ukraine und sehen, was bei uns passiert, und so kommen sie gerne zu uns in den Urlaub. Und sie können sehen, dass man eine seltsame Regierungsform aber eben eine Demokratie haben kann anstatt eines Ein-Parteien-Systems wie in Russland. Für Putin ist eine demokratische Ukraine also gefährlich. Russland ist für so etwas einfach zu groß; es gibt mehr als 100 Förderationsstaaten und -gebilde, und darunter sind noch ganz viele problematische Regionen, in denen man Krieg führen kann…

KULTURBUCHTIPPS: Ich fürchte auch, dass für Russland die Demokratie eigentlich keine geeignete Staatform ist…

ANDREJ KURKOW: … und sie haben da auch keine Tradition. Die halbe Ukraine gehörte zu Litauen, zum Polnischen Reich, zu Österreich-Ungarn, oder denken Sie an die West- und Zentral-Ukraine – diese Leute haben eine ganz andere Mentalität als die Menschen in Russland. Wenn Sie sich heute die westliche Ukraine anschauen, dann wohnen die Leute heute schon dort wie in Polen oder in der Slowakei. Es gibt weniger Korruption, die Geschäftsleute machen etwas zusammen mit den Lokalregierungen und es funktioniert; aber im Osten der Ukraine klappt fast nichts.

KULTURBUCHTIPPS: Es gibt ja einen ukrainischen Schriftsteller-Kollegen von Ihnen, von dem wir neulich auch ein Buch besprochen haben: Serhej Zhadan.

ANDREJ KURKOW: Ja, Zhadan. Das ist ein guter Freund von mir. Er ist eigentlich Dichter, aber er hat jetzt schon vier oder fünf Bücher in Prosa geschrieben.

KULTURBUCHTIPPS: Das letzte Buch von ihm nannte sich „Die Hymne der demokratischen Jugend“, und da passt wieder das Stichwort Anarchie, wenn man diese Geschichten liest. Die spielen jedoch, wenn ich das richtig einordne, an der Ostgrenze der Ukraine.

ANDREJ KURKOW: Ja, in Charkow, in der russischsprachigen Region. Charkow war die ehemalige Hauptstadt der Ukraine in den Dreißiger Jahren. Aber Zhadan schreibt mehr über die Beatnicks, die ganz jungen Leute. Er ist ja auch erst 35.

KULTURBUCHTIPPS: Je mehr ich von Ihnen lese, und speziell bei Ihrem letzten Roman ging mir das so, umso mehr erinnert mich ihr Schreibstil an Anton Tschechow. Das liegt für einen deutschen Leser natürlich einerseits sicherlich daran, dass man die vielen russischen Namen liest, aber in Verbindung mit Ihrer besonderen Art, Satire zu schreiben, bekommen Ihre Texte wirklich eine tschechowsche Anmutung.

ANDREJ KURKOW: In unserer Familie gibt es auch eine Legende, dass wir mit Tschechow verbandelt sind. Seine Großmutter stammte aus der Familie Morosow, und meine Groß-Groß-Groß-Großmutter war auch eine Morosow, und meine Tante hat irgendwo gefunden, dass unsere Groß-Groß-Groß-Großmutter die Schwester von Tschechows Mutter war! Denn mein Vater stammte aus der Don-Region, von den Don-Kosaken. Es wäre also theoretisch möglich… – Aber ich lese Tschechow gern, und er ist ein großer russischer Schriftsteller. Was ich vielleicht von Tschechow übernommen habe ist, dass auch er alle seine Helden liebte, auch die scheinbar negativen Helden. Ich habe das gleiche Empfinden und denke auch, dass es keine nur negativen Helden gibt.

KULTURBUCHTIPPS: Wie schreiben Sie eigentlich? Am Computer? Per Hand…?

ANDREJ KURKOW: Ich arbeite mit dem Laptop. Sehen Sie, heute zum Beispiel war ich vier Stunden mit dem ICE unterwegs und arbeitete die ganze Zeit auf dem Laptop und entwickelte die Geschichte vom „Gärtner aus Ochakov“ weiter.

KULTURBUCHTIPPS: Sie haben auch mehrere Drehbücher geschrieben.

ANDREJ KURKOW: Es gibt ungefähr zwanzig Spielfilme, Kurzfilme, Dokumentarfilme für das Fernsehen. Und bis zum Ende des Jahres werde ich eine achtteilige Fernsehserie nach „Die letzte Liebe des Präsidenten“ schreiben. [lacht] Aber jetzt mit unserem neuen Präsidenten fürchte ich, dass der Film nicht produziert werden wird.

KULTURBUCHTIPPS: Aber wie schreiben Sie eine Geschichte? Setzen Sie sich einfach ran und beginnen am Anfang oder planen Sie zuvor den Ablauf der Geschichte und erstellen ein Struktogramm?

ANDREJ KURKOW: Natürlich überlege ich, aber vorher mache ich keine Pläne. Nur als ich „Die Geographie des einzelnen Schusses“ schrieb, da hatte ich ein großes Blatt Papier angelegt mit allen Namen und Beziehungen zwischen ihnen. Denn während des Schreibens hatte ich auch immer wieder lange Pausen, und schon nach drei oder vier Tagen brauchst Du eine Hilfestellung, wer war das oder was passierte auf Seite 203… Aber normalerweise denke ich über die eine Geschichte nach, während ich eine andere Geschichte schreibe. Und ich brauche in der Regel ungefähr zwei Jahre, um über eine Geschichte nachzudenken und mit dem Schreiben zu beginnen. Wenn ich dann denke, dass ungefähr zwei Drittel der Geschichte geschrieben sind, mache ich einen Plan der geschriebenen Kapitel und versuche, das letzte Drittel zu schreiben. Aber das bedeutet nicht, dass ich dann auch diesem Plan folgen werde. Ich möchte einfach nur die Richtung verstehen, in die die Geschichte geht. Aber ich glaube, die Geschichte gibt mir das logische Ende selbst vor. Ich kann also nicht wirklich entscheiden für meinen Helden; denn er entscheidet selbst, was er am Ende machen wird.

KULTURBUCHTIPPS: Und sind Ihre Texte dann fertig oder redigieren Sie Ihre Texte?

ANDREJ KURKOW: Ich redigiere sie und ich muss sie immer kürzen. Ich selbst liebe große Texte, aber ich verstehe, dass die Verleger kurze Texte bevorzugen. – Von diesem neuen Roman („Der Milchmann in der Nacht“) gab es zunächst eine erste Version. Ich hatte zweimal zu schreiben begonnen, das eine Mal waren es siebzig Seiten ohne Gennadi Iljitsch und ohne Politik, aber ich war damit unzufrieden. Also machte ich eine zwei- oder dreimonatige Pause, und dann schrieb ich noch einmal ab Anfang und war wieder unzufrieden. Dann nach drei, vier Monaten entschied ich, dass die Geschichte auch einen Politiker haben musste, und dann hatte ich schon die Geschichte zu schreiben begonnen. Als das Buch fertig war, redigierte ich es und gab ich es an meinen ukrainischen Verleger. Dann wurde das Buch in der Ukraine und in Russland veröffentlicht. Als dann die erste Auflage verkauft war, entschied ich, den Text noch einmal zu redigieren, und ich schrieb eine zweite Version. Ich hatte das Ende ein bisschen verändert und noch ein paar Kleinigkeiten, und die deutsche Übersetzung zeigt schon diese neue Version.

KULTURBUCHTIPPS: Sie sind zurzeit auf Lesereise in Deutschland. Heute Abend in Berlin, in der LiteraturStation der Backfabrik, und danach geht es wohin weiter?

ANDREJ KURKOW: Die heutige Station ist meine sechste. Ich habe zuvor schon in Hannover, Nürnberg, Bad Nauheim, Ratingen, Osterath Meerbusch gelesen. Morgen fahre ich nach Würzburg, danach Salzburg und in der Schweiz in Winterthur und Sankt Moritz. Danach geht es für zehn Tage nach Hause und dann nach Großbritannien und Frankreich. – Ich reise bis zu sechs Monate pro Jahr. Jetzt versuche ich öfters meine Kinder und meine Frau mitzunehmen. Ich werde im Mai das erste Mal mit meiner Frau nach Israel fliegen und dort eine Lesereise machen. Und im September geht es zusammen mit meiner Frau und den Kindern nach Norwegen.

KULTURBUCHTIPPS: Wie ist denn die Reaktion der Leser auf den neuen Roman?

ANDREJ KURKOW: Ich hatte bereits im Oktober-November letzten Jahres eine erste Lesereise unternommen, und die Reaktionen waren sehr gut. Ich hatte unter Anderem eine Lesung im Zürcher Theater, und die Veranstaltung war voll. Ich erinnere mich jetzt nicht an einzelne Rezensionen, aber zu jeder Lesung kommen etwa 80 bis 100 Leute, und das ist schön. Wie viele es heute Abend werden, weiß ich nicht.

KULTURBUCHTIPPS: Es wird bestimmt voll werden, da bin ich mir sicher. Herr Kurkow, vielen Dank für dieses Gespräch und alles Gute für Ihre weitere Lesereise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz!

ANDREJ KURKOW: Vielen Dank für das Gespräch.