Andreas Platthaus: „Lyonel Feininger — Porträt eines Lebens“

Der deutsch-amerikanische Künstler Lyonel Feininger hat nicht nur ein bewegtes Künstlerleben geführt, sondern man kann an ihm als einer zentralen Figur der künstlerischen Moderne auch wunderbar das Auf und Ab von Kultur und Gesellschaft vom deutschen Kaiserreich bis in das Amerika der 1950er Jahre nachzeichnen. Genau das hat Andreas Platthaus in seiner neuen Biografie Feiningers getan!

Lyonel Feininger prägte nicht nur das von Walter Gropius gegründete Bauhaus, dem er als einziger Meister vom ersten bis zum letzten Tag angehörte; mit seinen Freunden Paul Klee und Wassily Kandinsky revolutionierte er die zeitgenössische Kunst.

Lyonel Feininger wurde 1871 in New York geboren, aber er hielt sich von seinem 17. Lebensjahr an fast ein halbes Jahrhundert lang in Deutschland auf, die meiste Zeit in Berlin. Im Ersten Weltkrieg galt Feininger als „feindlicher Ausländer“, blieb aber trotzdem in Deutschland, obwohl er jederzeit in die USA zurückkehren konnte. Und später verließ er Nazi-Deutschland erst 1937, obwohl er mit Julia Berg, einer Jüdin, verheiratet war. Diese und andere Rätsel dieses bewegten Lebens werden von Andreas Platthaus aufgegriffen und mit großem Einfühlungsvermögen nachgezeichnet.

Andreas Platthaus war in der erfreulichen Lage, für dieses Buch zahlreiche Archivbestände auswerten zu können. Seine Biografie erzählt das Leben eines Mannes, der sich im steten Zwiespalt zwischen amerikanischem und deutschem Selbstverständnis befand. Er lebte, wie Platthaus es nennt, seine „doppelte Exil-Existenz“ als Amerikaner und Deutschland und später als Deutscher in Amerika.

Die Biografie von Platthaus ist nicht allein durch den Rückgriff auf umfangreiche Archivmaterialien so bemerkenswert, sondern auch durch die Fähigkeit des Autors, sich in das Leben dieser Ausnahmepersönlichkeit einzufühlen. Fast liegt dem Kulturwissenschaftler in mir die Rede von der divinatorischen Gabe des Autors auf der Zunge, welche die Schule der Hermeneutik seinerzeit im Zusammenhang mit der kritischen Beurteilung literarischer Werke als jene Fähigkeit eines Kritikers beschrieb, mittels seines Einfühlungsvermögens letztlich mehr zu wissen und den Text besser zu verstehen als der Autor selbst; warum sollte dies nicht auch auf die Beurteilung eines Lebensweges im Rahmen einer Biografie zutreffen?

Platthaus zeichnet auf über 448 Seiten (mit einem umfangreichen Bildteil) minutiös und derart anschaulich das vielschichtige Leben von Lyonel Feininger, seiner Familie und seinen Wegbegleitern nach, dass es sich nicht nur über weite Strecken wie ein spannender Entwicklungsroman liest, sondern ein wirklich beeindruckendes und mitreißendes Mosaik der Zeitgeschichte des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestaltet.

Welche Metapher läge näher, als bei der Biografie eines Bildenden Künstlers von einer „Zeit im Bild“ zu sprechen? Andreas Platthaus ist es gelungen, dieses Zeitbild nicht nur, aber auch entlang den künstlerischen Werken Feiningers nachzuzeichnen. Diese Biografie Lyonel Feiningers gehört nicht nur aufgrund ihrer Aktualität und ihres Umfangs sowie der stilistischen Eleganz der Beschreibung, sondern auch wegen der Fülle an neuem Material, das Andreas Platthaus aus den Archiven entnommen hat, zu den besten Biografien des Jahres und auf Platz Eins aller Publikationen über Lyonel Feininger!

 

 

Autor: Andreas Platthaus
Titel: „Lyonel Feininger — Porträt eines Lebens“
Herausgeber: Rowohlt Berlin
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
ISBN-10: 3737101167
ISBN-13: 978-3737101165