Caspar Dohmen: „Lieferketten — Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur“

Spätestens im Frühjahr 2021 sind die Lieferketten wieder in den Fokus der kollektiven Wahrnehmung gerückt. Was wir im Zuge der Globalisierung längst für selbstverständlich erachtet hatten — das wirtschaftliche Prinzip der globalen Arbeitsteilung und der Ausbau der Lieferketten —, wurde im Zuge des Re-Openings der Wirtschaft nach den Corona-Lockdowns der vergangenen Monate in Frage gestellt.

Die globalen Lieferketten waren und sind ins Stocken geraten, und der Motor der Wirtschaft kommt zumindest vorübergehend ins Stottern. Die Verwunderung über diese unerwartete Unterbrechung der Warenströme war in zahlreichen Unternehmen in etwa dieselbe, als ob man daheim plötzlich von einem Stromausfall betroffen ist oder das Wasser wegen eines Rohrbruchs abgestellt wurde: Sie waren nicht darauf vorbereitet.

Doch selbst wenn global operierende Unternehmen im Vorfeld von einem Szenario sich nur unregelmäßig wiederaufbauender Warenströme ausgingen, waren die Möglichkeiten einer Vorsorge beschränkt. Einzelteile für die Fertigung ließen sich zwar vorbestellen, doch die Produktion geriet selbst in Asien aufgrund der Corona-Pandemie ins Stocken. Vor allem Halbleiter und andere elektronische Bauteile fehlten nicht nur hierzulande für die Automobilindustrie, sondern führten weltweit zu Lieferengpässen.

Welche Bedeutung das arbeitsteilige Prinzip der Lieferketten für die Weltwirtschaft, die Industrie, den Handel und vor allem für die Menschen an den Knotenpunkten jener Lieferketten hat, beschreibt der Wirtschaftsjournalist und Buchautor in dem vorliegenden Buch, das bei Wagenbach erschienen ist.

Dank einer immer umfänglicheren und häufigeren Berichterstattung sind die zahlreichen Probleme, die mit den Lieferketten unauflösbar verbunden sind, in den letzten Jahren immer stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Rohstoff-Minen, in pakistanischen Textilfabriken, Kinderarbeit, Ausbeutung von Natur, Tier und Mensch, die Belastung der Umwelt durch weltumspannende Transportwege und die Offenlegung vieler anderer Missstände führt uns tagtäglich vor Augen, das „wir“ in den westlichen Industrienationen unseren Wohlstand auf Kosten und auf dem Rücken der Armen in der Welt genießen.

Das jüngst aufgelegte Lieferketten-Gesetz ist der politische Versuch, diesen Missständen entgegenzuwirken; die Verpflichtung der Unternehmen, für die „Sauberhaltung“ ihrer Lieferketten selbst zu sorgen, ist ein Anfang, ein erster Schritt in der Hoffnung, dass sich jene Ketten wirklich bis ins letzte Glied zurückverfolgen lassen. Je komplexer die Waren, je länger die Lieferketten sind, desto schwieriger wird eine solch lückenlose Überwachung sein. Letzten Endes wird eine solche Politik der „grünen Labels“ nicht die Welt verändern, aber vielleicht für ein erstes Umdenken sorgen.

Denn die Sensibilisierung der Verbraucher ist nicht zu unterschätzen! Wenn wir die Wahl haben zwischen einem „sauberen“ Produkt, dessen Lieferketten nicht nur auf ein Mindestmaß beschränkt, sondern zugleich umwelt-, ressourcen- und menschen-verträglich aufgestellt sind, und einem anderen Produkt, bei dem es allein auf eine Minimierung der anfallenden Kosten geht, dürften sich die meisten Verbraucher eher für das saubere Produkt entscheiden. So weit der fromme Wunsch.

In der Praxis werden sich dennoch viele Verbraucher aus Bequemlichkeit oder auch aus wirtschaftlichen Gründen für das preisgünstigere Produkt entscheiden und die Lieferketten-Problematik ausblenden. Damit dieses partielle Ausblenden immer schlechter und immer weniger funktioniert, hat Caspar Dohmen dieses Buch geschrieben.

Die Zielgruppe dieses Buches ist die politisch und wirtschaftlich interessierte Leserin. Obwohl Dohmen als Wirtschaftsjournalist sehr elegant selbst komplexe Sachverhalte in eine verständliche Sprache zu transformieren versteht, bleibt zu befürchten, dass sich der Titel nicht stapelweise auf den Büchertischen der Filialisten verkaufen wird. Das Thema ist zwar, wie bereits mehrfach gesagt, durchaus im öffentlichen Bewusstsein, aber Ottilie Normalverbraucherin ist in unseren unruhigen Zeiten eben doch mit ganz anderen Problemen konfrontiert als mit einer solch scheinbar abstrakten Thematik wie den globalen Lieferketten …

Natürlich betreffen die negativen Auswirkungen der Lieferketten am Ende nicht nur die in diesen wirtschaftlichen Abläufen tätigen Menschen, sondern uns alle, auch uns Verbraucher. Aber Lieferketten sind für die meisten ebenso wenig konkret erfahrbar wie der globale Klimawandel. Bei beiden Phänomenen stellt sich die Frage, was man als Einzelner dagegen tun könne?! — Eine ganze Menge, denn beide „Phänomene“ sind menschengemacht, und so können auch Menschen — auch jeder Einzelne — dazu beitragen, die Ursachen zu bekämpfen und das eigene Verhalten zu ändern!

Bevor man jedoch etwas verändern kann (und sei es das eigene Verhalten), muss man zunächst die Zusammenhänge verstehen und den eigenen Anteil an den Ursachen begreifen. Und das kann man am besten, wenn jemand, wie Caspar Dohmen, die Zusammenhänge leicht verständlich erklärt. Deshalb ist die Lektüre dieses gut und flüssig geschriebenen Buches über die Lieferketten und die Risiken einer globalen Arbeitsteilung für Mensch und Natur eine gute Idee!

 

 

Autor: Caspar Dohmen
Titel: „Lieferketten — Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur“
Herausgeber: ‎ Wagenbach
Taschenbuch: 176 Seiten
ISBN-10: 3803137063
ISBN-13: 978-3803137067