Hans-Dieter Rutsch: „Der Wanderer — Das Leben des Theodor Fontane“

Die vorliegende Fontane-Biografie von Hans-Dieter Rutsch geht einen anderen, aber sehr interessanten Weg als die meisten Biografien, die zum Fontane-Jahr 2019 erschienen sind. „Der Wanderer“ nimmt den Leser mit auf eine Wanderung durch das Leben von Theodor Fontane. Doch was genau soll man darunter verstehen?

Theodor Fontane wird noch heute — wie schon in seinen letzten Lebensjahrzehnten — nicht nur als erfolgreicher Schriftsteller des Bürgerlichen Realismus und als solcher vor allem mit seinen Gesellschaftsromanen aus dem Berlin des 19. Jahrhunderts assoziiert, sondern vor allem als der Autor der berühmten „Wanderungen“ durch die Mark Brandenburg. Zwar ist diese Verkürzung auf das Wanderungen-Projekt nicht grundsätzlich falsch, bleibt aber eben doch eine starke und somit dem vielseitigen Künstler, Journalisten, Kritiker und Menschen Fontane nicht im Ansatz gerecht.

Gleichwohl taugt das Bild des „Wanderers“ durchaus zu einer ersten Charakterisierung des bewegten und von Höhen und Tiefen durchzogenen Lebenslaufes des großen Romanciers. Der Autor Hans-Dieter Rutsch arbeitete als Dramaturg und Regisseur am DEFA-Studio für Dokumentarfilme und gründete 1995 die Havelfilm Babelsberg und realisierte seitdem über fünfzig Dokumentarfilme vor allem zu Themen der ostdeutschen und osteuropäischen Zeitgeschichte. Als Autor hat er bereits mehrere erfolgreiche Titel publiziert, u. A. „Die letzten Deutschen. Schicksale aus Schlesien und Ostpreußen“ sowie „Das preußische Arkadien“.

Nun geht es Hans-Dieter Rutsch also um „Das Leben des Theodor Fontane“. Die Art und Weise, wie er es erzählt, ist bemerkenswert. Denn Rutsch gebraucht das von ihm gewählte Bild des Wanderers nicht nur zur Beschreibung der Lebensstationen Fontanes, sondern überträgt dieses Bild auch auf sich selbst. Er hat sich während der Realisierung dieses Buchprojektes buchstäblich selbst auf eine Wanderschaft begeben und ist auf Spurensuche gegangen. Ausgangspunkt war stets die Frage, wo und in welcher Form uns Nachgeborenen Fontane heute noch begegnen kann.

Somit liest sich dieses Buch wie ein Reisebericht, der sich auf zwei Ebenen abspielt; einerseits die chronologische Abfolge der Lebensstationen Theodor Fontanes und andererseits die Ebene des Autors in unserer Gegenwart, der sich auf die Suche nach Fontanes Spuren begibt. Das Ergebnis ist ein außerordentlich lebendiger und persönlicher Text, der unterhaltsam und lehrreich zugleich ist.

Hans-Dieter Rutsch beginnt seine Fontane-Biografie nicht bei Fontanes Geburt, sondern geht weiter zurück in das 17. Jahrhundert, in die Zeit des „Potsdamer Edikts“ von 1685, mit dem der Große Kurfürst den Hugenotten und anderen Glaubensflüchtlingen die Ansiedlung in Preußen erlaubte; zu jenen Flüchtlingen (heute würde man von Migranten sprechen) zählten auch die Vorfahren Theodor Fontanes.

Natürlich dürfen auch in dieser Fontane-Biografie (wie wohl in allen anderen, die in diesem Jahr erschienen sind) die Frauen nicht fehlen: Frauen und Fontane, das gehört(e) einfach zusammen, sowohl in seinen Romanen als auch im wahren Leben. So sind also auch Effi, Mathilde, Jenny und viele andere Frauenfiguren seiner Romane in diesem spannenden Buch zu finden.

Wer Theodor Fontane kennenlernen möchte und eher literarisch gefärbte als wissenschaftlich trockene Sachbücher bevorzugt, ist mit Hans-Dieter Rutschs „Der Wanderer“ sehr gut beraten. Sei 336 Seiten starkes Buch liest sich wie ein gutes Stück Reiseliteratur. Ein schönes und lesenswertes Buch!

 

 

Autor: Hans-Dieter Rutsch
Titel: „Der Wanderer — Das Leben des Theodor Fontane“
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Verlag: Rowohlt Berlin
ISBN-10: 3737100268
ISBN-13: 978-3737100267