Philip Wilkinson: „Atlas der nie gebauten Bauwerke — Eine Geschichte großer Visionen“

Von Helmut Schmidt stammte der legendäre Satz, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. — Es gab zu allen Zeiten Menschen, die Visionen hatten und haben, doch Architekten scheinen von ihnen ganz besonders geplagt zu werden. Davon legt die vorliegende Sammlung nie gebauter Bauwerke ein beeindruckendes Zeugnis ab.

Der britische Autor Philip Wilkinson hat bereits mehrere Bücher über Kunst, Architektur und Design veröffentlicht, doch der vorliegende Bildband übertrifft sie alle. Der Titel der englischen Originalausgabe („Phantom Architecture. The fantastical structures the world´s greatest architects really wanted to build“) kommt etwas sperrig daher, so dass der deutsche Titel „Atlas der nie gebauten Bauwerke“ deutlich flotter über die Lippen geht.

Dass die Stars unter den Architekten schon immer ein großes Ego und ein gut ausgestattetes Selbstwertgefühl haben (müssen), ist hinlänglich bekannt. Doch es gehört auch zusätzlich eine gute Portion Größenwahn dazu, solche Bauprojekte zu entwickeln, wie sie Wilkinson hier zusammengetragen hat.

Welcher normale Mensch käme auf die Idee, eine Kuppel über ganz Manhattan spannen zu wollen?! — Richard Buckminster Fuller hatte diese Idee 1968. Oder wie wäre es mit einer „Walking City“, die sich bei Bedarf ein schöneres Plätzchen suchen könnte? — Ron Herron, 1964. Oder „Clusters in the air“, die baumartigen Wohntürme des Japaners Arata Isozaki aus dem Jahr 1962.

Man könnte aufgrund dieser Auswahl spektakulärer Bau-Visionen denken, dass die Architekten in den 1960er Jahren besonders kreativ waren, doch das Buch von Wilkinson hinterlässt einen ganz anderen Eindruck. Denn das erste Beispiel seiner hübschen Sammlung stammt bereits aus dem Jahr 820 und zeigt den St. Gallener Klosterplan; das letzte und aktuellste Bauprojekt des Buches sind die „Asian Cairns“ in Shenzhen aus dem Jahr 2013.

Ist dieses Buch nur für Architekten spannend? — Auf keinen Fall! Natürlich werden Architekten ihre besondere, fachlich fundierte Freude an diesem wunderschönen Bilderbuch haben. Aber jeder, der sich für große und waghalsige Ideen begeistern kann und Spaß am Visionären hat (und wer hat das nicht?!), wird mit diesem „Atlas der nie gebauten Bauwerke“ viele schöne Lese-Stunden verbringen.

Denn Philip Wilkinson erklärt in seinem gut recherchierten (und von Lutz-W. Wolff hervorragend ins Deutsche übersetzten) Buch die Hinter- und Beweggründe dieser Großprojekte und macht diesen Atlas mit seinen oftmals faszinierenden Details zu einer unterhaltsamen und lehrreichen Lektüre.

 

 

Autor: Philip Wilkinson
Titel: „Atlas der nie gebauten Bauwerke — Eine Geschichte großer Visionen“
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423289767
ISBN-13: 978-3423289764