Dunja Ramadan: „Khalid und das wilde Sprachpferd — Geflüchtete begegnen der deutschen Sprache“

Sprache ist eine unhintergehbare Voraussetzung für Kommunikation. Alles was wir wahrnehmen, formulieren wir in unserem Kopf anhand von Begriffen. Auch um unsere Gefühle auszudrücken oder unsere Wünsche zu artikulieren, benötigen wir Sprache. Nur wenn wir etwas auch benennen können, können wir es auch erkennen. Kurzum: Sprache ist das Basis-Werkzeug eines jeden Menschen zur Erschließung der Welt und zur Artikulation seiner Identität.

Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten des Ausdrucks — Tanz, Bewegungen, Gesten, Musik und Malerei —, doch nur mit sprachlichen Mitteln können wir uns präzise ausdrücken und uns mit anderen Menschen austauschen. Deshalb ist Sprache so wichtig und zentral, wenn es um Integration geht. Diese Tatsache erfahren besonders die Geflüchteten, welche aus einer anderen Kultur und aus einem anderen Sprachraum zu uns in die Fremde kommen.

Man braucht nur einmal das Experiment machen und den Spieß umdrehen: Wie gering werden unsere Möglichkeiten, an dem gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und unsere Wünsche und Gefühle zu artikulieren, wenn wir der Landessprache nicht mächtig sind? — Wer schon einmal in eines unserer europäischen Nachbarländer gereist ist und auf Menschen traf, mit denen er sich nicht auf Deutsch oder Englisch verständigen konnte, bekommt eine Ahnung davon, wie es den Geflüchteten aus der arabischen Welt in unserem Land geht, solange sie kein Deutsch können.

Ohne sprachliche Artikulation bleibe ich stumm. Ich kann nicht nur nicht für meine Rechte eintreten oder meine Ängste, Hoffnungen und Wünsche äußern. Wenn ich die Landessprache nicht verstehe, bleibt mir auch der Zugang zu einem Großteil des öffentlichen Lebens verschlossen, ich betrachte die Welt um mich herum wie einen Film in fremder Sprache, und ich kann auch keine Beziehungen aufbauen.

Wie Geflüchtete ihre Begegnungen mit der deutschen Sprache schildern und welche unterschiedlichen Aspekte hierbei in den Vordergrund rücken, beschreibt ein kleines Buch aus dem Duden-Verlag mit dem schönen Titel: „Khalid und das wilde Sprachpferd“.

Khalid ist einer der Geflüchteten, die in diesem spannenden Buch zu Wort kommen. Er vergleicht seinen Kampf mit der deutschen Grammatik mit der Zähmung eines wilden Pferdes. Zu Anfang gelingt es nur langsam, das Wildpferd an die eigene Anwesenheit zu gewöhnen; erst nach einer längeren Eingewöhnungsphase kann das Vertrauen des Pferdes wachsen; bis der Reiter schließlich sicher im Sattel sitzt und das Pferd nach seinem Willen lenken kann, braucht es eine lange Zeit des Trainings.

Ebenso ist es mit der deutschen Sprache, die ihre Fallstricke und Tücken hat — nicht nur für Fremdsprachler. Auch die Autorin dieses Buches, Dunja Ramadan, ist selbst in zwei Sprachen und Kulturen zuhause. Ihre Mutter ist Deutsche und ihr Vater Ägypter. Sie arbeitet als Redakteurin und Journalistin für die Süddeutsche Zeitung.

„Khalid und das wilde Sprachpferd“ gewährt einen interessanten Einblick in die Vielschichtigkeit der Problematik, die für Geflüchtete mit dem Erwerb der deutschen Sprache verbunden ist. Wie ihnen die deutsche Sprache begegnet, ist aber auch für Muttersprachler interessant. Denn oft bekommt man erst durch den distanzierten Blick von außen eine Vorstellung von den Besonderheiten und auch von den Schönheiten der eigenen Sprache.

Insofern eignet sich „Khalid und das wilde Sprachpferd“ auch als Schul-Lektüre für den Deutsch-Unterricht. Denn die Texte helfen, den „Blick von außen“ auf die eigene Sprache zu schulen. Und sie helfen, einen ganz direkten (sprachlichen) Zugang zu den Problemen zu entwickeln, mit denen geflüchtete in unserem Land konfrontiert sind, wenn sie den langen und oft mühsamen Weg in die Integration antreten.

 

 

 

Autor: Dunja Ramadan
Titel: „Khalid und das wilde Sprachpferd — Geflüchtete begegnen der deutschen Sprache“
Gebundene Ausgabe: 144 Seiten
Verlag: Duden
ISBN-10: 3411724048
ISBN-13: 978-3411724048