Mal ehrlich: Wie sitzen alle viel zu lange vor dem Bildschirm. Sie und ich und die meisten Menschen unserer Zeit verbringen viele Stunden am Tag damit, an Schreibtischen zu sitzen und auf Bildschirme zu starren. Wenn wir uns bewegen, schauen immer mehr von uns auf diese kleinen Smartphones und haben am Abend Nackenschmerzen.
Wir sollten uns mehr bewegen! Ja, klar, das hören wir jeden Tag und machen es dann doch nicht, weil es viel zu viele andere Sachen gibt, um die wir uns kümmern müssen. — Doch jetzt ist von der jungen Neurowissenschaftlerin Dr. Manuela Macedonia ein Buch erschienen, das viele von uns zum Nachdenken und zum Umdenken bringen könnte: „Beweg Dich! Und Dein Gehirn sagt danke“.
Wen es gerade in der schönen Jahreszeit immer wieder vom Schreibtisch weg und nach draußen treibt, findet in ihrem Buch die besten Argumente für einen schnellen Spaziergang an frischer Luft. Macedonias Buch hat das Potenzial, Ihr Leben zum Guten zu verändern. Das klingt sehr dick aufgetragen und auch ein wenig pathetisch. Aber es ist wahr.
In diesem Buch geht es um die komplexen Zusammenhänge zwischen aerober Bewegung und neurochemischen Prozessen. Die Autorin weiß, wovon sie redet. So jung sie ist, so beeindruckend ist ihre wissenschaftliche Vita. Seit März 2012 ist sie am Institut für Information Engineering der Johannes-Kepler-Universität Linz als „Senior Scientist“ tätig und befasst sich mit Neuroinformationssystemen. Inhaltlicher Schwerpunkt ihrer Arbeit stellt die Entwicklung und neurokognitive Testung von Systemen, die Menschen durch Lernprozesse diverser Art begleiten. Gleichzeitig arbeitet sie an den neurowissenschaftlichen Grundlagen des Lernens in Experimenten am Max-Planck-Institut Leipzig, in der Forschungsgruppe “Neuronale Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikation” als „Associated Researcher“.
Die Autorin schreibt aus der Ich-Perspektive und mit einer solchen Leidenschaft über dieses Thema, dass man als Leser gar nicht anders kann, als ihr von der ersten bis zur letzten Seite zu folgen. Das Buch ist für alle Wissensstufen geeignet und erklärt auf geradezu spielerische Weise die grundlegende Funktionsweise unseres Gehirns. Nebenbei informiert uns die Autorin über die aktuellen Forschungsergebnisse in der Neurowissenschaft und zeigt sehr anschaulich, wie Bewegung und der physiologische Aufbau und die Funktionen des Gehirns zusammenhängen.
Das ganze Buch ist geradezu verschwenderisch illustriert und mit einer solchen Leichtigkeit geschrieben, wie man es nur sehr selten bei einem naturwissenschaftlichen Sachbuch erlebt. Das Entscheidende ist aber die starke Motivationskraft, die von dem Text ausgeht: Wer dieses Buch gelesen hat, kann gar nicht anders, als nach der Lektüre das Buch zur Seite zu legen und rauszugehen an die frische Luft — und das ab sofort regelmäßig! —, um einen flotten Spaziergang zu machen.
Am Schreibtisch sitzend verblöden wir langsam, aber sicher: „Dein Hippocampus ist bestimmt schon vollkommen im Eimer“, sagte eine Kollegin zu der Autorin, als dieser das Denken im Büro während eines intensiven Forschungsprojekts immer schwerer fiel. Das Gehirn braucht Sauerstoff, und selbst die alten Römer wussten schon, dass ein gesunder Geist einen gesunden (sprich: fitten) Körper braucht, um richtig zu funktionieren. Heutzutage ist das durch viele Studien bestätigt.
Der Hippocampus ist nicht nur für unser Kurzzeitgedächtnis oder das räumliche Gedächtnis zuständig, sondern auch für die Neurogenese, die Neubildung von Neuronen. Bereits 1965 entdeckten Altman und seine Kollegen den Zusammenhang von Sport und Neurogenese. Doch für diese Erkenntnis war die zeit noch nicht gekommen. Altmans Artikel wurden von der Forschergemeinschaft schlichtweg ignoriert. Ähnlich erging es auch dem Wissenschaftler Kaplan 1977. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts wurde dieser Zusammenhang durch die Arbeiten von Elisabeth Gould und Peter Eriksson erneut bestätigt und auch zur Kenntnis genommen.
Bewegung ist also wichtig für das Gehirn und im Besonderen für den Hippocampus. Wie hält man also seinen Hippocampus auf Trab? „Wenn Ihnen jemand erzählt, dass die Pille für Ihren Hippocampus erfunden worden ist, glauben Sie es nicht. Aber es gibt wohl ein Wundermittel dafür: aerobe Ausdauerbewegung.“
Das sollte schon in frühen Jahren eingeübt werden, am besten schon im Kindesalter: „Bewegen sich Kinder regelmäßig, führt dies zu längerfristigen Veränderungen in der Blutzufuhr, auch Vaskularisierung genannt, des Hippocampus: Die Blutgefäße werden stärker, und neue wachsen hinzu.“
Eigentlich haben wir es schon immer gewusst: Wenn man im Denken feststeckt, was hilft dann besser, als einfach vom Schreibtisch aufzustehen und einen kleinen Spaziergang zu machen? Doch das Tolle daran ist, dass ein Spaziergang nicht nur dem Denken auf die Sprünge hilft, sondern dass man auf diesem Weg gleich dem ganzen Gehirn einen guten Dienst erweist: „Wir ziehen bequeme Schuhe an, gehen einfach ins Freie und legen eine Strecke zurück, so weit wie wir wollen.“
Aber man darf es nicht übertreiben! Diese wissenschaftliche Erkenntnis wird vor allem die Sportmuffel unter den Lesern begeistern: Wissenschaftler konnten keinen positiven Effekt bei Intervalltraining und dem Dauerlauf feststellen! Sogenanntes „anaerobes“ Training, bei dem man so richtig ins Schwitzen und Japsen kommt, ist also gar nicht nötig! Ganz im Gegenteil: Der positive Effekt, den ein aerobes Training für unser Gehirn hat, wird durch ein zu intensives und übertriebenes Sporteln aufgehoben und schadet eher dem Körper! „Wenn wir für unser Gehirn gehen, walken oder laufen, brauchen wir kein Wettkampf-Tempo an den Tag zu legen.“
„Sport macht also nachweislich den Kopf wieder frei.“ Man kann also seinen Alltagssorgen regelrecht davonspazieren und den Geist für neue Geistesblitze öffnen. „Man wird während der Bewegung kreativer.“ Auch in der Bewegung wird unser Gehirn nach einer Weile in einen angenehmen Ruhestandsmodus versetzt. „Ausgerechnet im Ruhezustandsmodus sind – entgegen unserer Vorstellung – all diese Regionen [unseres Gehirns] aber hochaktiv.“
Gerade im höheren Alter hat „regelmäßige Bewegung eine positive Auswirkung auf die kognitive Kontrolle.“ „Dass im Alter die geistige Leistung der meisten Menschen abnimmt, ist bekannt. Das ist aber nicht damit gleichzusetzen, dass alte Menschen an Demenz leiden. Ihr Gedächtnis lässt einfach nach.“
„Auch bei Menschen, deren kognitive Kontrolle in die Jahre gekommen ist, kann Bewegung die Switching-Fähigkeiten verbessern.“ Man kann dann besser zwischen mehreren gleichzeitigen Aufgaben „switchen“.
„Es geht nicht ausschließlich darum, sich zu bewegen, damit man Angiogenese, Neurogenese und Synaptogenese anregt, die wir in diesem Buch bereits besprochen haben. Bewegung verdichtet zwar die grauen Zellen im präfrontalen Bereich und die weiße Substanz, aber wir müssen die neuen Zellen auch beschäftigen, damit sie uns bleiben und unsere Kognition tragen.“ Und das nicht erst im Alter, sondern ein Leben lang.
Wie anschaulich und praxisnah die Neurowissenschaftlerin schreibt, zeigt sich besonders schön an einem zentralen Kapitel etwa in der Mitte des Buches. Um die komplexen Zusammenhänge und Prozesse zu veranschaulichen, die im Gehirn ablaufen, erzählt die Autorin in vielen Schritten die „lange Reise einer Semmel ins Belohnungsnetzwerk“: wunderbar zu lesen!
Natürlich ist Bewegung nur ein Baustein von vielen, die unser Gehirn fit halten. Gesunde Ernährung, ein harmonisches Lebensumfeld und vor allem auch die regelmäßige Stimulation und Forderung des Gehirns gehören ebenso dazu. Denn wozu brauchen wir ein gesundes Gehirn, wenn wir es dann durch zu wenig Ansprache wieder verkümmern lassen?! Doch so weit werden wir Leser es sicherlich nicht mehr kommen lassen.
Die Autorin weiß genau, wie ansteckend ihre Begeisterung ist. So schreibt sie in dem Abschnitt über Ernährung: „Ich freue mich, dass Sie, sobald Sie dieses Buch gelesen haben, auch hinausgehen werden, selbst wenn der Wind frostig pfeift: Es geht ja um unser Dopamin und um unseren Genuss: Nach der Bewegung haben wir uns auch das verdient, was uns so richtig gut schmeckt!“
Die negativen „Auswirkungen von Fettleibigkeit auf das Gehirn“ sind lange bekannt; aber wenn man die Zusammenhänge so anschaulich erklärt bekommt wie in diesem Buch, dann kann man eigentlich nicht mehr zur Chipstüte greifen. Eine fettreiche Diät machte die Labormäuse in einer Studie „nicht nur übergewichtig, sondern rief auch Entzündungen im (Klein-)Hirn hervor“. Na, schönen Dank auch! Man kann sich also auch blödessen …
Weniger ist demnach auch im Fall der Ernährung mehr. Laboruntersuchungen mit Tieren haben gezeigt, dass Tiere „mit kalorienreduzierter Kost länger [lebten; sie] erkrankten mindestens um die Hälfte weniger an diversen Krebsarten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. An Diabetes starb kein einziger Affe mehr“. Was die Affen können, sollten wir doch auch schaffen!
Natürlich ist Sport auch schon bei Kindern und Jugendlichen wichtig und hilft bei der Entwicklung des Gehirns. Trotzdem werden an den Schulen die Sportstunden immer weiter gekürzt; eine fatale Fehlentscheidung mit Langzeitfolgen! „Die Hartnäckigkeit unserer Gesellschaft im Nicht-Anerkennen evidenzbasierter Forschung ist hier besonders auffällig.“ Dabei haben es zahlreiche Studien belegt und es besteht kein Zweifel mehr, dass Bewegung die kognitiven Fähigkeiten steigert.
Jetzt haben wir so ganz nebenbei schon eine Menge über unser Gehirn gelernt, aber es kommt noch besser: „Bewegung führt zur Ausschüttung einer Star-Substanz, des Nervenwachstumsfaktors“ BDNF. „BDNF stärkt das Wachstum und die Differenzierung der Zelle, begünstigt aber auch die Synapsenbildung und die Arborisierung“ (die Verzweigung und Bildung der Dendriten). Mit anderen Worten werden unsere Neuronen durch eine ausdauernde aerobe Bewegung obendrein noch feiner verästelt, es werden mehr Synapsen gebildet und sie können schneller und besser miteinander kommunizieren.
„Ist genug BDNF im System „Gehirn“ vorhanden, sind die Zellen stark und kommunizieren bestens miteinander.“ Umgekehrt gibt es eine ganze Reihe von Erkrankungen, die (nicht ausschließlich, aber) auf einen BDNF-Mangel zurückzuführen sind: Depression, Alzheimer oder Essstörungen wie Bulimie oder Anorexie.
Es geht um das perfekte Zusammenspiel von BDNF und Serotonin. Die Autorin treibt selbst seit Jahren regelmäßig Sport, fährt Rad und macht ein gemäßigtes aerobes Lauftraining. Hierdurch will sie „lediglich das Zusammenspiel zwischen Nervenwachstumsfaktor und dem Botenstoff, der uns in der Balance hält, Serotonin, anregen.“ Serotonin beeinflusst viele Gehirnfunktionen, nicht zuletzt auch unsere Stimmung.
Kaum zu glauben, aber ganz ohne Nebenwirkungen lässt sich mit moderater aerober Bewegung der eigene Körper und mit ihm unser Gehirn wieder auf Trab bringen und dauerhaft gesund erhalten. Noch einmal Dr. Macedonia: „Unsere Zufriedenheit und unser Glücksempfinden hängen mit den zwei Botenstoffen Serotonin und Dopamin zusammen und werden vom Nervenwachstumsfaktor gefördert und gesteuert. Wir müssen um jeden Preis dafür sorgen, dass wir genug BDNF haben, und das geht am besten mit ausreichend Bewegung.“
Okay, das haben jetzt wohl alle verstanden. Doch wie sieht das eigentlich im fortgeschrittenen Alter aus? Wie wir wissen, verringert sich das Gehirnvolumen ab dem 40. Lebensjahr; es schrumpft in etwa 5 % pro Lebensjahrzehnt. Kann man auch diesen Verfall durch Sport oder vielleicht sogar nur durch moderate Bewegung aufhalten? — Die gute Antwort ist: ja! Die positiven Effekte von moderatem Sport und regelmäßiger Bewegung sind vom Alter unabhängig. Allerdings sollte man sich, je älter man wird, umso regelmäßiger bewegen.
Fazit des Buches: „Kein Weg führt an der Bewegung vorbei. Sie ist die einzige Therapiemaßnahme ganz ohne Nebeneffekte, die systemisch wirkt und nicht nur die eine oder andere Schraube versucht anzuziehen.“ Hat man erst einmal begriffen, wie leicht man sein Gehirn durch eine moderate Bewegung unterstützen kann, baut man gerne einen längeren Spaziergang pro Tag in seinen Alltag ein. Mehr braucht es nicht! Am besten fahren auch Sie jetzt gleich den Rechner runter und machen sich auf den Weg!
Autor: Dr. Manuela Macedonia
Titel: „Beweg Dich und Dein Gehirn sagt Danke —Wie wir schlauer werden, besser denken und uns vor Demenz schützen“
Gebundene Ausgabe: 182 Seiten
Verlag: Brandstätter Verlag
ISBN-10: 3710602602
ISBN-13: 978-3710602603