Paul Lafargue: „Das Recht auf Faulheit“

Auch heute noch kennen wir das Recht auf Arbeit als eines der wichtigsten Grundrechte. Es ist im Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert und garantiert das Recht auf Selbstverwirklichung. Im deutschen Grundgesetz gibt es kein Recht auf Arbeit, wohl aber ein Recht auf freie Berufswahl, was natürlich nicht dasselbe ist.

Der vorliegende Text Das Recht auf Faulheit von Paul Lafargue erschien erstmals 1883 im französischen Original (La droit à la paresse). In deutscher Übersetzung wurde der Text erst 1913 durch den SPD-Politiker Eduard Bernstein veröffentlicht, wobei das französische „Personal“ durch ein deutsches ersetzt und der Text Lafargues durch weitere Kommentare und Marx-Zitate angereichert und stark verändert wurde. Erst jetzt erscheint in einem kleinen Reclam-Bändchen aus der Reihe Was bedeutet das alles? der Originaltext Lafargues in einer Neuübersetzung von Ute Kruse-Ebeling.

Lafargue war gebürtiger Kubaner, geboren 1842; seine Familie siedelte 1851 nach Frankreich um. Lafargue wird 1864 Mitglied der Ersten Internationalen und ist nach seinem Umzug nach London oft bei Karl Marx und dessen Familie zu Gast. 1868 heiratet er Marx´ Tochter Laura. 1870 war er an der Gründung der Pariser Sektion der Ersten Internationalen beteiligt.

Paul Lafargue setzte sich früh gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus ein. Die Beseitigung des Elends der Arbeiterklasse in Zeiten der Industrialisierung und das Ende der Ausbeutung waren jedoch seine Hauptanliegen. Das Proletariat hat sich „durch das Dogma der Arbeit verderben lassen“, meinte Lafargue.

„Die kapitalistische Moral, diese jämmerliche Karikatur der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Bann; ihr Ideal ist es, den Produzenten auf ein absolutes Minimum an Bedürfnissen zu reduzieren, seine Vergnügungen und seine Leidenschaften zu unterdrücken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, die ohne Rast und ohne Dank Arbeit ausführt.“

Die Arbeit macht die Leute kaputt. Die Männer sind keine Männer mehr und — viel wichtiger — die proletarischen Frauen keine echten Frauen mehr: „Wo sind die Waschweiber mit kecker Rede, freier Schnauze und der Liebe zum göttlichen Wein, von denen unsere alten Geschichten und Märchen erzählen?“ Was uns da aus den Fabriken entgegentaumelt, sind „kümmerliche, blasse Blumen mit farblosem Blut, ruiniertem Magen, ermatteten Gliedern!“

Die christliche Arbeitsmoral sei von den Proletariern so sehr verinnerlicht worden, dass ein Recht auf Arbeit für sie, die von der Bourgeoisie Korrumpierten, zu einem elementaren Existenzrecht geworden ist, das sie nun einforderten. Die Selbstzucht der Arbeiterklasse sei in diesem Ausbeutungsprozess zu einem idealen Druckmittel und die „modernen Fabriken […] zu idealen Zuchthäusern geworden“.

Lafargues Text ist nicht nur leidenschaftlich, sondern auch mit viel Ironie geschrieben. Sein Adressat sind sicherlich nicht die arbeitenden Klassen selbst, die seinerzeit meist Analphabeten waren, sondern die intellektuellen Mitstreiter der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) und deren Sympathisanten.
„Die Enthaltsamkeit, zu der sich die produktive Klasse verdammt, zwingt die Bourgeoisie dazu, sich dem übermäßigen Konsum der Produkte hinzugeben, die sie zügellos herstellt.“ Das ist allerdings eine interessante Sichtweise, und spätestens hier beginnt das Pamphlet Lafargues sich in eine Groteske zu verwandeln.

Aufgrund der starken Überproduktion durch die verblendete und arbeitswütige produktive Klasse sind die Bourgeois gezwungen, das ganze Zeug selbst zu konsumieren und sich dabei die Bäuche zu füllen „mit getrüffelten Kapaunen und erlesenem Lafite“.

Der Fabrikant „lässt produzieren, ohne darüber nachzudenken, dass der Markt überschwemmt wird“. Wenn es zu viel wird und der Absatz stagniert, werden einfach Fabriken geschlossen, und „der Hunger geißelt die Arbeiterbevölkerung mit seiner tausendriemigen Peitsche“.

Wenn viel mehr produziert als konsumiert wird, müssen neue Absatzmärkte gefunden werden. Im 19. Jahrhundert bedeutet das internationalen Handel und Kolonialismus. Wenn es dann aufgrund einer immer besseren Technologie und eines Millionenheeres an Arbeitskräften immer noch einen Überschuss gibt, lassen sich die schlauen Fabrikanten noch etwas einfallen, und hier klingt dieser Text von 1883 plötzlich ganz aktuell: „All unsere Produkte sind verfälscht, um ihren Absatz zu erleichtern und ihre Lebensdauer zu verkürzen.“

Das kommt einem bekannt vor. – Geplante Obsoleszenz wurde schon damals praktiziert, indem man beispielsweise die weichen Seidenfasern mit mineralischen Salzen brüchig machte. Wenn die Produkte schneller kaputtgehen, muss man eben neue Waren kaufen.

Die „philanthropische Genialität der Bourgeoisie“ paart sich mit der „schrecklichen Pervertiertheit der Arbeiter“ und so wird das „Dogma der Arbeit“ von beiden Seiten hochgehalten: Die Fabrikanten können sich als Gutmenschen feiern, wenn sie immer mehr Arbeiter zu immer geringeren Lähnen einstellen und sie unter erbärmlichen Bedingungen ihre Waren produzieren lassen. Die Arbeiter hingegen haben nichts Besseres zu tun, als die christlichen Phrasen von der Enthaltsamkeit und dem Fleiß des Tüchtigen nachzuplappern und darum zu betteln, noch mehr arbeiten zu dürfen.

Natürlich wird den Arbeitern diese entfremdete Maloche in den Fabriken nicht zum Selbstzweck, so schön sind die Arbeitsbedingungen in den 1880er Jahren nun auch nicht gewesen, doch Lafargue stellt das in seinem sarkastischen Pamphlet zum Zweck einer bewussten Überzeichnung so dar. Was er natürlich verschweigt, ist die Tatsache, dass das eigentliche Problem natürlich noch woanders liegt: nämlich in den niedrigen Hungerlöhnen, die aufgrund eines Überangebots an Arbeitern (oder an Humankapital, wie man heute sagen würde) immer weiter sinken.

Was Lafargue in seinem kurzen streitbaren Text beschreibt, ist ein nahezu perfekter, sich selbst verstärkender Regelkreis aus Ausbeutung und Unterwerfung sowie aus Überproduktion und Hyperkonsum. Ach, wären die Arbeiter doch vernünftig und würden nicht zusammen mit den albernen Menschenrechten auch ein Recht auf Arbeit einfordern, sondern lieber sich beschränken und weniger arbeiten, damit auch andere Arbeit finden und jeder sein Auskommen hat! Aber nein, sie wollen immer mehr, mehr, mehr!

Für Lafargue sind die ökonomischen, christlichen und freidenkerischen Moralvorstellungen für die Verblendung und Pervertierung der Arbeiterklasse verantwortlich. Ihnen wurde immer wieder Enthaltsamkeit und Fleiß gepredigt, eine teuflische Kombination, die dazu führte, dass die Forderung nach einem Recht auf Arbeit überhaupt in der produktiven Klasse aufkommen konnte.

Doch was ist der Sinn eines solchen Rechts auf Arbeit? Ist es nicht gleichbedeutend mit einem „Recht auf Elend“? Wer lieber 14 statt 12 Stunden am Tag arbeitet, macht sich nicht nur schneller kaputt, physisch wie psychisch, sondern er ist auch noch schuld an einer Steigerung der Überproduktion. Je mehr jedoch produziert wird, desto billiger wird die Ware — und umso geringer wird der Lohn der einzelnen ausgebeuteten Arbeitskraft. Von dem Überangebot an Arbeitskräften mal ganz abgesehen, welches diese prekäre Schieflage noch verschärft.

Es gäbe aber, zumindest theoretisch, auch noch eine andere Lösung für das gesellschaftliche Problem: „Verdummt durch ihr Laster [der Arbeitswut], sind die Arbeiter nicht bis zur Einsicht der Tatsache gelangt, dass man, um Arbeit für alle zu haben, sie rationieren muss wie das Wasser auf einem Schiff in Not.“ — Auch hier wieder ein schönes Bild: die Wirtschaft als ein „Schiff in Not“. Nun, das war sie keinesfalls in jenen Zeiten der zweiten Industrialisierung in Frankreich, Deutschland und anderswo in Europa; wirklich in Not waren jedoch die Arbeiter selbst, die von dem Hungerlohn, den sie in den Fabriken bekamen, kaum überleben konnten.

Anstatt für ihr Recht auf Arbeit zu kämpfen, sollten die Proletarier lieber zurückkehren zu jenen idyllischen vorindustriellen Strukturen der Subsistenzwirtschaft, als nur so viel produziert wurde, wie man brauchte, und den Rest des Tages gefaulenzt wurde. Jeder Mensch hat doch ein „Recht auf Faulheit“, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen und seine Lebenszeit nach eigenen Wünschen zu gestalten!

Lafargue plädiert daher eindringlich dafür, dass die Arbeiterklasse sich nicht weiter darum bemüht, die Menschenrechte für sich einzufordern, „die nichts weiter sind als die Rechte der kapitalistischen Ausbeutung“; auch das „Recht auf Arbeit“ sei, so Lafargue, „nichts weiter als das Recht auf Elend“. Vielmehr sollte die Arbeiterklasse alle Kraft darauf verwenden, ein „ehernes Gesetz zu schmieden, das jedem Menschen verbietet, mehr als drei Stunden am Tag zu arbeiten“. Die restliche Zeit des Tages könne man doch viel sinnvoller als mit Arbeit nutzen, beispielsweise um „zu faulenzen und zu feiern“.

Das klingt ziemlich sympathisch. Leider klingt es aber unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen eines real existierenden globalisierten Hyperkapitalismus auch ziemlich unrealistisch. Trotzdem macht Lafargues feurige Apologie der Faulheit Spaß, ist (dank der zahlreichen Anmerkungen) leicht zu lesen und lässt auch den heutigen Leser von seiner Leidenschaft nicht unberührt.

Ein kurzer und kämpferischer Text: endlich in einer unverfälschten Neuübersetzung des französischen Originals nun auch auf Deutsch zu lesen!

 

 

Autor: Paul Lafargue
Titel: „Das Recht auf Faulheit“
Gebundene Ausgabe: 80 Seiten
Verlag: Reclam, Philipp, jun. GmbH
ISBN-10: 3150194873
ISBN-13: 978-3150194874