Julia Ebner: „Wut — Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“

Wenn man Julia Ebner im Fernsehen sieht oder als Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion, so käme man zunächst nicht im Traum darauf, was sie beruflich macht: Julia Ebner ist eine zierliche und hübsche junge Frau, und sie ist Extremismus- und Terrorismusforscherin am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). Sie ist jung, unglaublich qualifiziert und gehört ohne Frage zu den führenden internationalen Experten in Sachen Extremismusforschung.

Dass man ihr freundliches und jugendliches Äußeres nicht sofort mit diesem fachlichen Hintergrund in Verbindung bringt, ist gut. Denn Julia Ebner forscht keineswegs nur im sicheren universitären Umfeld, sondern begibt sich auch gerne mal undercover direkt in die Nähe ihres Forschungsgegenstands.

Mit anderen Worten: Sie sucht die Nähe zu Islamisten und Rechtsextremen, um jene Gruppen zu studieren sowie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Strukturen zu erkunden. Dass solche Feldstudien höchst gefährlich werden könnten, kann man sich denken. Wer von uns Lesern würde schon gerne in die Höhle des Löwen spazieren, um „einfach mal zu gucken, was hier so abgeht“…

Nun ist ein Buch von Julia Ebner im Verlag wbg|Theiss erschienen, in dem sie uns mit ihren Forschungsergebnissen vertraut macht. Es trägt den bezeichnenden Titel Wut, und hier findet sich bereits das erste verbindende Element: jene Wut auf die bestehenden Verhältnisse, das Islamisten und Rechtsextreme gleichermaßen spüren. Es ist die Wut auf das System, auf die links-liberalen Kräfte oder auch auf die Ungläubigen — eben die Wut auf alle, die den extremen Kräften die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben versagen.

Diese Abgrenzung ist natürlich ein wechselseitiger Prozess: Extremisten werden von der Gesellschaft ausgeschlossen, wollen aber andererseits auch gar nicht in dieser Gesellschaft leben und/oder von ihr anerkannt werden. So schaukeln sich die Feindbilder hoch, werden genährt vom beidseitigen Wegschauen und Nicht-verstehen-Wollen.

Ebners Studie der rechtsradikalen wie der fundamentalistischen Strömungen ist erhellend und aufschlussreich. Der Hass (als Steigerungsform der im Buchtitel genannten Wut), der Hass auf die Andersdenkenden vereint die beiden so gegensätzlichen Lager. Beiden geht es in ihren Aktivitäten vor allem um eines: die Destabilisierung der Verhältnisse.

Das Schüren von Angst durch Terror-Akte, die Nutzung der sozialen Medien für Fake News und zum Zwecke der Propaganda, die Schaffung von Parallelgesellschaften, Abgrenzung statt Austausch und Dialog — all dies sind probate Mittel der Extremisten, um die liberale, pluralistische und demokratische Gesellschaft in ihren Fundamenten zu erschüttern.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Diese simple Logik greift letztlich auch hier: Islamisten und Rechtsextreme sind Verbündete im Kampf gegen die westlichen Gesellschaften. Doch nicht nur die Mittel ihres Kampfes gegen die Demokratie und den Liberalismus sind ähnlich, auch ihre ideologischen Strukturen weisen zum Teil frappierende Ähnlichkeiten auf.

So sind in beiden Organisationen streng hierarchische Strukturen zu finden. Es gibt ein Oberhaupt und eine pyramidale Struktur von Unterabteilungen. Selbst der IS, jene als extremste Variante des islamistischen Fundamentalismus geltende Terrortruppe, gleicht struktural eher einer pseudostaatlichen Organisationsform denn einem chaotischen Haufen suizidaler Kämpfer.

Am Londoner Institute for Strategic Dialogue, an dem Julia Ebner arbeitet, wird ausdrücklich der Dialog mit jenen extremen Gruppen gesucht. Aussteiger aus den jeweiligen Terrororganisationen finden hier Gehör und werden wissenschaftlich befragt, um die subjektiven Hintergründe für ihre Entscheidung, sich den extremistischen Gruppen anzuschließen, zu erfahren. Es geht ausdrücklich nicht um strategische Informationen, die im Kampf gegen den Terror verwendet werden könnten, sondern um wissenschaftliche Erkenntnis. — Selbstverständlich geht es auch um individuelle Unterstützung beim und nach dem Ausstieg.

Längst sind sowohl die sogenannten identitären Bewegungen als auch die islamistischen Fundamentalisten keine national begrenzten Phänomene mehr, sondern existieren und wirken überall in Europa und außerhalb. Julia Ebners Buch ist auf Englisch geschrieben, obwohl sie Österreicherin ist. Dies liegt zum einen an ihrem Wirkungsort (London) und an der schlichten Tatsache, dass sie sich nicht explizit (aber eben auch) an ein deutsches Publikum wendet, sondern ihre Forschungsergebnisse einer internationalen Leserschaft präsentieren möchte.

Also kommen wir in den seltsamen Genuss, den (englischen) Text der Studie einer deutschen Forscherin zu lesen, der nachträglich ins Deutsche übersetzt wurde (von Thomas Bertram). Der deutsche Leser findet in diesem Buch viele Hinweise und detailreiche Beschreibungen zur Terrorszene in Deutschland.

Der große Charme dieses packend geschriebenen Buches ist sein flüssiger Erzählstil, der niemals trotz der immensen Faktenfülle in die Knie geht, sondern stets in einem leichten und flüssigen Ton weitererzählt. Julia Ebner schreibt somit ganz in der anglo-amerikanischen Tradition eines flüssigen und leicht verständlichen Wissenschaftsjournalismus.

Dieses Buch zeigt sehr deutlich, dass unsere westlichen Demokratien seit einiger Zeit (mindestens) von zwei Seiten bedroht werden, deren Ziele zwar grundverschieden sind, deren kämpferische Mittel und organisatorische Strukturen sich jedoch sehr ähneln.

Ein spannendes, wichtiges und hochaktuelles politisches Buch!

 

 

Autor: Julia Ebner
Titel: „Wut — Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Verlag: wbg|Theiss
ISBN-10: 3806237018
ISBN-13: 978-3806237016