Ayelet Waldman, Michael Chabon (Hg.): „Oliven und Asche — Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung in Palästina“

In den vergangenen Jahren haben der Bürgerkrieg in Syrien und die aus ihm resultierenden Migrationsbewegungen in Richtung Deutschland einen anderen Krisenherd der Region in den Hintergrund gerückt: die Spannungen zwischen Israel und seinen Nachbarn — und ganz besonders die Problematik der israelischen Besatzung Palästinas.

Dieser seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen Israel und seinen Anrainern ist für Außenstehende schwer zu fassen. Wie lebt man unter einer fremden Besatzung? Wie kann man sich mit einer Besatzungsmacht arrangieren, die in den Bürgern des besetzten Landes keine Menschen, sondern immer nur Andersgläubige sieht?

Im Verlag Kiepenheuer & Witsch ist nun ein Sammelband mit kurzen Texten erschienen, die sich auf die eine oder andere Weise mit dieser palästinensischen Realität auseinandersetzen und ihre jeweilige Sichtweisen auf diesen permanenten Konflikt in eine fiktive Diskussion des Problems einbringen.

Es ist eine internationale Autorenschaft; die Autorinnen und Autoren stammen aus den USA, dem Iran, Deutschland, Großbritannien, Irland, den Niederlanden oder aus Südamerika. Es sind namhafte Autoren dabei von Michael Chabon über Arnon Grünberg, Colm Tóibín und Colum McCann bis zu Dave Eggers, Eva Menasse und Mario Vargas Llosa.

Allen Texten gemeinsam ist die Außensicht des (mehr oder weniger) distanzierten Beobachters: eine Haltung, welche für den Autor dem analytischen Schreiben zuträglich, einem intensiven Kontakt mit den Verhältnissen jedoch eher abträglich ist. Sprechen wir vom literarischen Schreiben als einem Eintauchen in die Welt des Sujets, so bleiben alle Autoren zu ihrer fiktiven Welt auf Abstand, der tägliche Wahnsinn eines Lebens im Ausnahmezustand muss dem Autor aus dieser privilegierten Position eines Außenstehenden fremd bleiben.

So weit die Theorie. Doch die meisten Schriftsteller dieser Anthologie haben ihrerseits einiges unternommen, um ihrem Gegenstand so nahe wie möglich zu kommen: Sie sind in das Land gereist, haben mit Menschen gesprochen, beobachtet und Notizen gemacht; sie beschreiben, was sie gesehen und erlebt haben, und aus dieser Nähe ziehen sie ihre realistische Beschreibung der Verhältnisse, und diese Nähe verleiht ihren Texten jene Intensität, die es braucht, um den westlichen Leser zu packen und für dieses eigentlich so ferne und uns scheinbar nicht betreffende Thema zu interessieren.

Diese Reisen in das Land wurden organisiert von Breaking the Silence, einer NGO, die den Dialog fördern und für Verständigung werben will. Breaking the Silence — das Schweigen brechen, darum geht es den Organisatoren, und darum geht es natürlich auch den hier versammelten Schriftstellern, die mit ihren Erzählungen einen Beitrag zu leisten versuchen für die Überwindung der Widerstände auf beiden Seiten. So verstanden, ist dieser Sammelband ein Friedensangebot und die Einladung zu einer Diskussion von den und über die Menschen in diesem besetzten Land. Im Juni 2017 wurde der 50. Jahrestag der Besatzung der palästinensischen Gebiete durch die Israelis begangen; ein guter Grund, sich auf literarische Weise mit diesem jahrzehntealten Konflikt auseinander zu setzen.

Man kann diese Anthologie von vorne bis hinten lesen, je eine Geschichte am Abend. Ob man danach gut schlafen wird, ist eine andere Frage. Nicht selten wühlen die Erzählungen auf, zeugen vom Unrecht und vom täglichen Kampf um Normalität, von einem Kampf, der von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein scheint, weil die politischen Verhältnisse so unnatürlich sind. Man kann diese Anthologie aber auch selektiv lesen und sich von den Titeln der Geschichten inspirieren lassen. So oder so wird man einen spannenden Einblick in eine Welt bekommen, die so fern und fremd ist, deren Probleme am Ende des Tages aber ganz menschlich sind und damit gar nicht so fern und fremd.

Die internationale Besetzung des Autorenteams verspricht eine hohe literarische Qualität der Texte, und diese Erwartung wird nicht enttäuscht. Niemals wird die Lektüre langweilig oder ein Text zu lang. Im Gegenteil lässt sich hier ein unabgeschlossenes Kapitel der kriegerischen Auseinandersetzungen des Nahen Ostens auf spannende Weise nachlesen und somit auch eine Leerstelle des Geschichtsunterrichts nachholen.

 

 

Autor: Ayelet Waldman, Michael Chabon (Hg.)
Titel: „Oliven und Asche — Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung in Palästina“
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN-10: 346204978X
ISBN-13: 978-3462049787