Es gibt Freundschaften, vor allem zwischen Künstlern und Intellektuellen, die nicht allein im vertraulichen und intimen Umgang miteinander ihren Sinn finden, sondern darüber hinaus auch das intellektuelle Gespräch, ja, die Konfrontation suchen — um der Sache willen und nicht aus persönlichen Motiven der gegenseitigen Anerkennung heraus.
Eine solche Freundschaft muss es zwischen Walter Benjamin und Bertolt Brecht gegeben haben. Sie war sowohl von persönlicher Sympathie geprägt, als auch von einer vorsichtigen Reserviertheit dem Anderen gegenüber, der eine jeweils andere Position in politischen und intellektuellen Fragen vertrat. Beide verband schon früh eine grundsätzliche Abneigung gegenüber den nationalsozialistischen Machtbestrebungen; schon bald wurde aus Abneigung Ekel, und aus der Warnung vor dem Feind von rechts wurde offener Widerstand. Nach der Machtergreifung 1933 und der danach einsetzenden systematischen und brutalen Verfolgung politisch Andersdenkender durch die Nazis wurde aus beiden Intellektuellen Verfolgte des Regimes. Für beide wurde das Exil der einzig mögliche Ausweg, sich einer Verhaftung zu entziehen.
Während Bertolt Brecht vor allem wegen seiner Nähe zu den Kommunisten verfolgt wurde, stand Walter Benjamin als jüdischer Intellektueller ganz oben auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten. Brecht ging nach Schweden, Benjamin nach Paris. Man traf sich auf neutralem Boden, sprach über die Entwicklungen in Deutschland, aber vor allem über die jeweiligen Projekte, an denen gearbeitet wurde.
Das erste Mal begegneten sich beide etwa 1924 in Berlin, doch es sollte weitere fünf Jahre dauern, bis so etwas wie eine zarte Freundschaft zwischen beiden begann. Hannah Arendt wies 1968 in einem Vortrag auf die große Bedeutung dieser Freundschaft hin, als sie sagte: „Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammenkam. Und es spricht für beide, dass sie es wussten.“
Ihre gegenseitige Kritik bezog sich nicht zuletzt auf die unterschiedliche Einschätzung der geeigneten Mittel im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Brecht war hier deutlich radikaler und auch extremer als Benjamin, wenngleich Brecht das Wort „extrem“ nur selten verwendete. Benjamin hingegen wollte den intellektuellen Kampf nicht durch die Mobilisierung der Massen führen, sondern durch eine Überführung und Bloßstellung der durch die Nationalsozialisten korrumpierten Medien.
Seinen Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in dem Benjamin letztlich die Ablösung der faschistischen Ästhetisierung des Politischen durch eine linke Politisierung der Ästhetik fordert, besprach Benjamin in allen Stadien mit Brecht. Dessen Kritik vor allem an dem mystisch-diffusen Begriff der „Aura“ akzeptierte Benjamin jedoch nicht.
Es gab auch gemeinsame Projekte, wie den Kriminalroman Der Mord im Fahrstuhlschacht oder das bereits in seinen Anfängen gescheiterte Zeitschriftenprojekt Krise und Kritik; aber die allermeiste Zeit verbrachten die beiden im intellektuellen Gespräch und im offenen und kritischen Austausch über ihre jeweiligen Arbeiten. Der vorliegende Band versucht entlang von Fundstücken aus den Nachlässen die Spuren dieser freundschaftlichen Begegnungen nachzuverfolgen. Hier Brechts Exemplar von Kafkas Roman Der Prozess, dort auf einem Kellner-Schreibblock Benjamins Notizen zum Begriff der Aura, hier einige handschriftliche Aufzeichnungen zu einer Typologie des Wohnens oder dort Benjamins Tagebuch von 1938.
Zurzeit sind diese und weitere Materialien im Rahmen der gleichnamigen Ausstellungen in Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen. Was die Ausstellung dem Betrachter mit der Hilfe multimedialer Präsentationen zu vermitteln versucht, kann in diesem Begleitband (der natürlich auch als Solitär ohne die Ausstellung zu verstehen ist) in Ruhe nachgelesen und vertieft werden.
Entlang von 16 Begriffen, die ihr beider Denken und Arbeiten verband, wird nach Spuren dieser Durchdringung jener intellektuellen und künstlerischen Welten gesucht. Ob das Schachspiel, das Wohnen, die Aura, der Rundfunk, Gracián, Baudelaire oder Laotse, Kafka, Marx, der Faschismus oder das Institut für Sozialforschung: Die Berührungspunkte waren zahlreich und die Zusammenarbeit und der gegenseitige Austausch immer fruchtbar.
Was sowohl durch den Besuch der Ausstellung als auch erst recht nach der Lektüre des Buches deutlich wird, ist die Intensität und die beiderseitige Beherztheit, mit der um die Beantwortung politischer, intellektueller und künstlerischer Fragen gerungen wird. Brecht und Benjamin nehmen kein Blatt vor den Mund, es wird mit offenen Visieren und fair gekämpft, denn es geht beiden nicht um die Selbstdarstellung oder um das Recht-Behalten, sondern immer um die Sache selbst. Dieser fruchtbare intellektuelle Austausch brach im September 1940 ab, nachdem Walter Benjamin auf der Flucht über die Pyrenäen aus Angst vor einer Inhaftierung in den Freitod ging.
Autor: Erdmut Wizisla (Hg.)
Titel: „Benjamin und Brecht — Denken in Extremen“
Broschiert: 284 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag
ISBN-10: 3518420836
ISBN-13: 978-3518420836