Michael Bienert: „Döblins Berlin — Literarische Schauplätze“

Wenn ein neues Buch von Michael Bienert erscheint, so darf man sicher sein, dass es sich um eine hochinteressante Lektüre handelt, die sich auf irgendeine Weise mit seinem Leib-und-Magen-Thema Berlin beschäftigt. So ist es auch diesmal. Bienert hat sich intensiv mit dem Leben und Werk von Alfred Döblin beschäftigt, der viele Jahre in Berlin gelebt und gearbeitet hat.

Döblins Berlin erinnert nicht von ungefähr an die sehr erfolgreichen Vorgänger-Bände über Kästners Berlin und E. T. A. Hoffmanns Berlin aus dem Verlag in Berlin Brandenburg (VBB). Diese kleine, aber feine Buchreihe hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Spuren dieser Berliner Schriftsteller und ihrer Werke nachzugehen und zu erforschen, was für uns Nachgeborene von diesen Spuren heute noch sichtbar ist.

Berlin ist die Stadt, die nach Karl Scheffler seit jeher dazu verdammt ist, „immer zu werden und niemals zu sein“. In Berlin bleibt – mit oder ohne Krieg – kein Stein lange auf dem anderen. Immer ist die Stadt in Bewegung, um nicht zu sagen: im Umbruch. Daher ist es für den Stadtforscher keine leichte Aufgabe, sich im heutigen Stadtbild zurecht zu finden und hierbei gleichzeitig offen zu bleiben für historische Straßenverläufe, Bebauungen und größeren und kleineren stadtplanerischen Veränderungen.

Doch ausgerüstet mit einem scharfen historischen Blick, schafft es Michael Bienert immer wieder, zu den Original-Schauplätzen vorzudringen, Straßennamen und Hausnummer zu rekonstruieren, auf alten Fotos und Karten Perspektiven, Fensterblicke und andere Details zu erschließen, die für seine umfangreichen Recherchen mitunter kleinste Hinweise liefern, die sich nach mühevoller und oft jahrelanger Kleinarbeit am Ende zu einem Mosaik zusammensetzen lassen, das einen neuen und faszinierenden Blick auf Teilgeschichten der Berliner Vergangenheit eröffnen.

Michael Bienert macht seit über 25 Jahren Stadtführungen zu Döblins Berlin, und so war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis er auch ein eigenes Buch diesem Thema widmen würde. Der Erfolg von Kästners Berlin mag den letzten Anstoß zu diesem Projekt gegeben haben.

Für seine Recherchen bedient sich der erfahrene Stadtführer und Kulturwissenschaftler der unterschiedlichsten Quellen. Natürlich sind die in den Archiven vorhandenen Materialien aus dem Döblin-Nachlass, Fotos und andere persönliche und öffentliche Dokumente aus dem Deutschen Literaturarchiv genauso wichtig wie die zahlreichen historischen Quellen zur Stadtgeschichte Berlins. Für die Erschließung der literarischen Schauplätze ist ein „close reading“ der einschlägigen Werke, bei Döblin natürlich vor allem der Berlin Alexanderplatz, entscheidend.

So nimmt uns der Autor mit auf eine Reise in den Berliner Osten, zunächst zum Nordbahnhof, dann in die Ackerstraße und weiter nach Moabit. Schon sind wir mittendrin im Berlin Alexanderplatz, und wir verlassen mit Franz Biberkopf den Knast und fahren in Richtung Rosenthaler Platz mit der Elektrischen.

Wie auch in seinen anderen Berlin-Büchern aus dieser Reihe hat auch der Autor für diesen Band wieder tief in den Archiven gegraben und präsentiert uns eine wirklich wundervolle Auswahl zeitgenössischer Fotografien, die seine detailreichen und sehr informativen Texte ergänzen.

Bienert ist ein Flaneur alter Schule, und er kennt sein Berlin aus dem Effeff. Auf der Suche nach den Spuren Döblins und seiner Werke geht es überwiegend durch den Berliner Osten, und unsere literarische Reise führt und kreuz und quer durch viele Bezirke: Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Lichtenberg, sogar bis raus nach Buch.

Apropos Buch: Der vorliegende Band ist solide und sehr schön verarbeitet; Hardcover mit Schutzumschlag, sehr gute und hochauflösende Foto-Reproduktionen und ein angenehmes und gut lesbares Schriftbild. Es ist ein Buch, das man sich gerne ins Regal stellt, das man aber auch guten Gewissens und in Erwartung eines großen „o-ha“ verschenken kann.

Wer sich für Berlin interessiert und eine romantisch verklärende Schwäche für die Literatur der 1920er und frühen 1930er Jahre hat, kommt an diesem Band nicht vorbei. Ebenso wie den Kästner-Band muss er diesen Döblin-Band einfach haben. Punkt.

Die Lektüre dieses wunderschön gemachten und spannenden Berlin-Führers könnte allerdings auch die eine oder andere Nebenwirkung beim Leser hervorrufen. Zum einen ist es nicht unwahrscheinlich, dass er nach (oder besser noch während) dieser Lektüre wieder zu den Romanen und Erzählungen Döblins greifen wird; zum anderen ist ebenso nicht ausgeschlossen, dass er sich auf eine persönliche Spurensuche begibt und die Schauplätze und Tatorte selbst besuchen wird.

Diese Nebenwirkungen sind sicherlich ganz im Sinne des Autors. Die Lektüre von Bienerts Büchern macht süchtig: nach noch mehr Berliner Geschichten in dieser persönlichen und anregenden Form, welche die historische Stadt und das Leben in ihr auf so anschauliche Weise nacherlebbar und vorstellbar machen!

 

Autor: Michael Bienert
Titel: „Döblins Berlin – Literarische Schauplätze“
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
Verlag: Verlag für Berlin-Brandenburg
ISBN-10: 394525695X
ISBN-13: 978-3945256954