Es gibt Bücher, die machen es einem nicht leicht. Ich meine das durchaus im ganz physischen, materiellen Sinne. Es gibt Bücher, die sich mir, dem Puristen, widersetzen und einen inneren Widerstand auslösen, der im ersten Moment schwer zu erklären ist.
Im zweiten Moment wird klar, dass der Leser ein Buch in den Händen hält, das nicht nur durch seine Geschichten, sondern auch schon durch seine Aufmachung darauf hinweisen will, dass wir es hier mit zauberhaften kleinen Geschichten zu tun haben, welche das Leben feiern und die Schönheit der Welt betonen möchten.
Nimmt man dieses Buch in die Hand, durchblättert man seinen Inhalt, so sieht man den unterschied. Der Text ist durchgehen in einem Himmelblau gesetzt, welches die luftige Leichtigkeit des himmlischen Inhalts unterstreichen soll; die Buchseiten selbst changieren von einem cremefarbenen Weiß zu einem Babyblau und wieder zurück. Es fällt schwer, hier nicht die Nerven zu verlieren.
Vielleicht ist der Literatur- und Kulturwissenschaftler nicht die eigentliche Zielgruppe dieser Kurzgeschichten über das Mädchen aus Nr. 12? Vielleicht haben wir es mit Jugendliteratur zu tun, deren Leserschaft die junge Dame von 12 bis 15 umfasst? Was soll diese Pilcherisierung der Buchgestaltung? Worauf soll sie verweisen? Wozu ist sie gedacht?
Die in diesem Buch versammelten Kurzgeschichten von Jean-Paul Didierlaurent sind so gar nicht mädchenhaft, luftig und leicht zu nennen. Es geht um Erinnerungen, Träume, Enttäuschungen, natürlich um die Liebe, immer wieder, aber auch um Schmerz, Angst und den Wunsch vergessen zu können, was geschehen ist. Es öffnet sich also eine seltsame Schere zwischen der äußeren Erscheinung dieses Sammelbandes und seinem ernsten Inhalt.
Jean-Paul Didierlaurent wurde in Deutschland bekannt durch seinen Roman Die Sehnsucht des Vorlesers, erschienen 2015 bei dtv. Auch hier wurde bei der Buchgestaltung bereits mit mehreren Farben gearbeitet; das Vorgelesene wird farblich abgesetzt von der diegetischen Erzählebene des Romans. Vielleicht soll ja die Buchgestaltung von „Macadam“ daran erinnern und anschließen.
Die Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017 empfängt das Gastland Frankreich. Die hier versammelten Kurzgeschichten könnten in ihrer Form französischer nicht sein. Insofern ist „Macadam“ für viele Leser ein guter Einstieg in die Lesewelt der zeitgenössischen französischen Literatur. Und es ist eine gute Wahl, um mit Didierlaurent Bekanntschaft zu machen, dessen Fabulierlust ihn zu einer der interessantesten neuen Stimmen Frankreichs macht.
Didierlaurent zeigt uns mit einer beispiellosen Leichtigkeit, dass die größten Träumen und die stärksten Gefühle gerade im scheinbar Alltäglichen auf uns warten. Wir brauchen bloß unsere Augen und unsere Herzen zu öffnen, um ihnen zu begegnen.
Autor: Jean-Paul Didierlaurent
Titel: „Macadam oder Das Mädchen von Nr. 12“
Broschiert: 160 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423261455
ISBN-13: 978-3423261456