Florence Ehnuel – Interview im Institut Francais am 30.11.09

Florence Ehnuel / (c) John Foley / Agency OpaleFlorence Ehnuel – Interview im Institut Francais am 30.11.09 anlässlich ihres neuen Buchs „Das schöne Geschlecht der Männer“ (Freie Übersetzung aus dem Englischen)

KULTURBUCHTIPPS: Florence, wie würden Sie Ihr neues Buch beschreiben?

FLORENCE EHNUEL: Das ist nicht ganz einfach. Es ist nicht Literatur im klassischen Sinne und auch kein Roman. Ich möchte es gern als einen philosophischen Essay bezeichnen. Jedoch handelt es sich nicht um einen rein theoretischen Essay, zum Beispiel einen Essay über die Menschheit, sondern ein Essay, der auf meinen eigenen Erfahrungen basiert. Es gibt einen Philosophen, den ich sehr verehre: Montaigne. Auch er entwickelte seine Philosophie basierend auf seinen Erfahrungen, und das liebe ich sehr.

KULTURBUCHTIPPS: Montaigne hat seine alltäglichen Erfahrungen zur Grundlage seiner Philosophie gemacht. – Ist das denn auch Ihre Motivation für das Schreiben dieses Textes?

FLORENCE EHNUEL: Ja, dies ist mein drittes Buch, das ich in diesem Geiste geschrieben habe. Mein erstes Buch trug den Untertitel „Essay“ und war eine philosophische Betrachtung über Ehe und Ehebruch. Es war meine Intention zu zeigen, wie Philosophie mir dabei half, mit der Situation umzugehen, dass sich mein Mann in eine andere Frau verliebt hatte. Es ist diese Mischform zwischen Philosophie und Lebenserfahrung, die mir beim Schreiben besonders gefällt.

KULTURBUCHTIPPS: Philosophie ist ja nicht nur ein Hobby von Ihnen, sondern Sie lehren doch Philosophie an der Universität von Bordeaux.

FLORENCE EHNUEL: Oh nein, das ist nicht ganz richtig, was Sie auf dem Klappentext des Buches finden. Ich bin eine Philosophie-Lehrerin in der Oberstufe eines Lyzeums. Ich unterrichte dort Philosophie.

KULTURBUCHTIPPS: Das macht ja nichts. Auf diese Weise haben Sie vom Verlag ein kleines berufliches „Upgrade“ erhalten, und das ist immer noch besser als anders herum…

FLORENCE EHNUEL: Ja, vielen Dank.

KULTURBUCHTIPPS: Kommen wir aber zurück zu Ihrem Buch: Bei meiner Lektüre Ihres Buches hatte ich wohl zum ersten Mal ein Gefühl, das sonst wohl nur Frauen beim Lesen erotischer Literatur haben, die in der gewohnten Form von Männern und Frauen geschrieben wurde. Aber Sie beschreiten genau den entgegen gesetzten Weg und schreiben eine Liebeserklärung an das männliche Geschlecht. Und das fand ich auf eine Art richtig attraktiv und neu; es war wie ein Kompliment an den männlichen Körper, und ich denke, dass Ihr Buch ein Erfolg werden wird. – Wie war denn die Rezeption bei den Lesern in Frankreich, wo Ihr Buch ja bereits 2007 erschienen ist?

FLORENCE EHNUEL: Die Reaktion der Leser war ein bisschen enttäuschend für mich. Das Buch wurde in fünf Sprachen übersetzt, und so hoffte ich, dass es ein Erfolg werden könnte. Aber leider war dies nicht der Fall.

KULTURBUCHTIPPS: Woran könnte das gelegen haben? Was meinen Sie? War es vielleicht der falsche Verlag oder hat das Marketing nicht gestimmt?

FLORENCE EHNUEL: Wissen Sie, das kann man gar nicht sagen. Es gibt doch so viele Parameter, die darüber entscheiden, ob ein Buch erfolgreich ist oder nicht. Aber insgesamt erhielt ich nicht so viel Resonanz, wie ich mir beim Schreiben erhofft hatte. Vielleicht lesen die Leute lieber erotische Romane als meinen Weg der Darstellung zu gehen.

KULTURBUCHTIPPS: Ich halte Ihr Buch für eine nahezu perfekte Mischung aus beidem: Sie haben auf der einen Seite sehr lyrische und elegische Passagen in Ihrem Buch, und auf der anderen Seite liest es sich teilweise fast wie ein Manifest für sexuelle Freiheit und für „Polyfidélité“. Für diesen Begriff gibt es im Deutschen noch kein Pendant. Vielleicht können Sie unseren Lesern kurz erklären, was damit gemeint ist.

FLORENCE EHNUEL: Es ist eine Lebensform, die ich mit meinem Mann nicht ausleben konnte, bis er sich in eine andere Frau verliebte. Dann beschlossen wir, auch wegen der Kinder weiter zusammen zu leben und uns zu arrangieren. Auf diese Weise lebten wir noch neun Jahre zusammen. Dann jedoch ging es nicht mehr, weil er mich nicht mehr liebte. Ich hätte es mir sehr gewünscht, aber er wollte es nicht mehr. Dann hatte ich einen neuen Freund und war ihm nicht treu. Jedoch war ich ehrlich zu ihm und sagte ihm gleich, dass ich ihm nicht treu sein werde. Ich sagte ihm, dass ich nicht nur mit ihm zusammen wollte, sondern auch mit anderen Männern. Und das war gewiss nicht einfach, denn er mochte es überhaupt nicht. Diese Beziehung ging auch bald wieder zu Ende, aber nicht aus diesem Grunde. Danach hatte ich viele Beziehungen und probierte diese Lebensform aus mit Männern, die auch so lebten. Doch nun bin ich etwas konfus, denn ich habe mich in einen Mann verliebt und möchte ihm treu sein und bin auch nicht mehr so an anderen Männern interessiert… – Aber es ist eine schöne Erfahrung, solch eine Form der Liebe auszuprobieren, und vielleicht ist sie ja auch eine Lösung für so manche Probleme in einer Partnerschaft.

KULTURBUCHTIPPS: Und es ist ein neues Lebensmodell, um Emotionen und Liebe miteinander zu teilen.

FLORENCE EHNUEL: Ich war auch sehr froh, auf diesem Weg eine Scheidung mit meinem Mann zu vermeiden und zusammen mit ihm eine gemeinsame Familie für unsere Kinder zu bleiben, auch wenn es nicht sehr traditionell war. Es klappte immerhin neun Jahre lang und war eine sehr interessante Zeit.

KULTURBUCHTIPPS: Sehr interessant war auch die Passage über die „Ausschließlichkeit“ in Ihrem Buch. Es gab dann eben keine Exklusivität mehr für den Liebhaber als einzigen Mann für Sie. Aber wie gehen Sie selbst damit um? Bestehen Sie selbst darauf, die einzige Frau für Ihren Liebhaber zu sein? Oder geben Sie ihm die Freiheit, auch weitere Beziehungen zu anderen Frauen zu haben?

FLORENCE EHNUEL: Zu Beginn der Beziehung mit Raphael bemerkte ich, dass sie mein Gefallen an Treffen mit anderen Männern nicht unterdrückte. Also sagte ich ihm, dass ich ihm nicht treu sein wollte, sondern völlig frei zu tun, was ich wollte. Er stimmte dem Vorschlag zu, aber er litt sehr unter dieser Entscheidung.

KULTURBUCHTIPPS: Raphael selbst war Ihnen also treu?

FLORENCE EHNUEL: Ja, er wollte keine anderen Frauen haben. In der folgenden Zeit dachte ich, dass es mir wirklich gut tut, auf diese Weise zu lieben und dass es immer so weiter gehen könnte. Und von dieser Zeit an sagte ich jedem weiteren Mann, dass ich eine Beziehung mit ihm haben, aber ihm nicht treu sein möchte, und wenn er selbst auch nicht treu ist, dann sei das okay. Jetzt ist dies anders, aber so lebte ich für zehn Jahre lang.

KULTURBUCHTIPPS: Sie waren als von Anfang an sehr offen.

FLORENCE EHNUEL: Ja.

KULTURBUCHTIPPS: Während ich Ihr Buch las, dachte ich die ganze Zeit darüber nach, was der eigentliche Kern und das genaue Objekt Ihrer Liebe ist. Sind Sie vielleicht in die Liebe verliebt? Oder ins Verliebtsein?

FLORENCE EHNUEL: Das könnte schon sein…

KULTURBUCHTIPPS: Was hat denn Ihre Mutter zu dem Buch gesagt? Schließlich beginnt die erste Passage Ihres Buches mit der Mutter, die die kleine Florence in der Badewanne wäscht.

FLORENCE EHNUEL: Als ich mein erstes Buch schrieb, hatte ich nicht viel Vertrauen in meine Mutter, und so beschloss ich, ihr nichts davon zu erzählen. Und ich betete, dass sie nichts davon erfahren möge. – Sie erfuhr nichts vom ersten Buch, sie erfuhr auch nichts vom zweiten Buch, aber vom dritten Buch. Daraufhin schrieb sie mir einen Brief und sagte, dass sie mich nicht mehr sehen wolle.

KULTURBUCHTIPPS: Das ist eine sehr schroffe Reaktion.

FLORENCE EHNUEL: Die ich jedoch auf eine Art verstehen kann. Sie wusste nicht, dass ich schreibe. Und als sie las, was ich geschrieben habe, dann kamen plötzlich Dinge zutage, von denen sie nichts wusste: dass ich frustriert war, als ich jung war, und das war sicherlich sehr hart für sie. Auf eine Art ist es jetzt leichter für mich, damit umzugehen. Und doch macht es mich traurig.

KULTURBUCHTIPPS: Das ist sicherlich traurig, aber diese Gefahr besteht bei allem autobiographischen Schreiben. – Apropos Schreiben: Wie vollzieht sich bei Ihnen der Schreibprozess?

FLORENCE EHNUEL: Ich schreibe ausschließlich am Computer. Ganz selten mache ich handschriftliche Notizen, wenn ich unterwegs bin, plötzlich eine Idee habe und nicht in der Nähe meines Computers bin. Dieses Buch habe ich geschrieben, während ich ein Stipendium von der Académie Francaise hatte. Nachdem ich beschlossen hatte, das Buch zu schreiben, habe ich es sehr schnell in nur zwei Monaten geschrieben. – Während ich schreibe, befinde ich mich in einem anderen Bewusstseinszustand. Es ist, als ob ich ein bisschen benebelt bin. Aber ich trinke kein Alkohol oder nehmen irgendwelche anderen Substanzen. Diese Art von Trance entsteht allein beim Schreibprozess, und da passiert etwas, das nicht allein mit dem Verstand zu erklären ist. Wenn ich an einem Text schreibe, dann kann ich manchmal den ganzen Tag immer wieder um diese Passage kreisen und wie besessen von ihr sein. So ging es mir zum Beispiel bei den Abschnitten über Iouri oder am Ende des Buches. Hier habe ich immer und immer wieder die Wörter ersetzt und and den Formulierungen gefeilt.

KULTURBUCHTIPPS: „Das schöne Geschlecht der Männer“ ist Ihr erstes Buch, das in deutscher Übersetzug erschienen ist. Was sind Ihre nächsten Projekte?

FLORENCE EHNUEL: Ich habe im vergangenen Jahr ein weiteres Buch veröffentlicht: „Saisons russes“. Dieses Buch ist mehr Fiktion, mehr Roman als „Das schöne Geschlecht der Männer“. Es ist die Geschichte von Iouri. Das ganze Buch handelt von Iouri, dem Russischlehrer, und seiner Schülerin, und es handelt von der Liebe. – Und aktuell versuche ich, mehr und mehr in die Welt der Fiktionen vorzudringen. Jetzt möchte ich etwas schreiben über den Körper schreiben und über die Körperrundungen. Aber das ist ganz schön schwierig.

KULTURBUCHTIPPS: Das klingt wirklich spannend. Wollen wir hoffen, dass der Goldman-Verlag auch diese beiden Bücher übersetzen und verlegen wird!

FLORENCE EHNUEL: Oh ja, bitte!

KULTURBUCHTIPPS: Vielen Dank für dieses Gespräch.

FLORENCE EHNUEL: Ich danke Ihnen.