Dieser Roman wird in den Feuilletons als die Wiederentdeckung des Jahres 2017 gefeiert, in jenem denkwürdigen Jahr, das durch die Wahl eines Donald Trump zum US-Präsidenten überschattet wird. So einen wie Trump hätte man sich nie im Weißen Haus vorstellen können: einen skrupellosen Machtmenschen und Populisten, der auch nicht davor zurückschreckt, in die Mikrofone zu lügen, was das Zeug hält — ja, mehr noch: der das Instrument der „Fake News“ so schamlos für die Verfolgung der eigenen Ziele einsetzt und gleichzeitig alle anderen seriösen Medien eben als „Fake“ bezeichnet.
„Das ist bei uns nicht möglich“, dachten viele US-Amerikaner noch vor und während der Wahl, doch dann wurde über Nacht das Unfassbare Wirklichkeit: ein fanatischer Verführer der Massen und nur von den eigenen Machtinteressen geleiteter Populist wird Präsident der Vereinigten Staaten.
Was so unfassbar und ohne historische Vorbilder zu sein scheint, wurde bereits in den 1930er Jahren literarisch verarbeitet: in Sinclair Lewis´ Roman „It can´t happen here“ von 1935. Es wäre zwar naheliegend, aber grundfalsch, die reale Vorlage für diesen Roman in Hitlers Machtergreifung 1933 zu suchen; Lewis wurde vielmehr (und darauf weist auch der Klappentext hin) durch die politische Krise der Vereinigten Staaten zu Beginn der 1930er Jahre angeregt.
Durch seine Frau Dorothy Thompson, die als Auslandskorrespondentin in Berlin den Aufstieg der Nazis beobachte und kommentierte, wusste auch Sinclair Lewis genauestens über die Hintergründe jener politischen Krise Bescheid; doch auch daheim in den USA sah Lewis, wie auch die amerikanischen Populisten und Sozialreformer des New Deal die Wirtschaftskrise für ihre Zwecke nutzten.
Besonders der Fall des radikalen Senators Huey Long, der Präsident Roosevelt aus dem Amt drängen wollte und letztlich einem Attentat zum Opfer fiel, gab den letzten Anstoß zu diesem Roman. Dessen Protagonist, der Populist und Präsidentschaftskandidat Buzz Windrip, war für seine demokratischen Gegner einfach nur ein „ungebildeter Lügner mit einer idiotischen Weltanschauung“, die er aber umso vehementer vertrat, je stärker der Widerstand wurde.
Irgendwie klingt das alles sehr vertraut, wenn man die täglichen Nachrichten verfolgt. Donald Trump wird nachgesagt, dass sich seine Liebe zu Büchern in Grenzen halten soll; doch vielleicht hat er diesen Roman gelesen und sich selbst darin wiedergefunden? Wir lesen ja am liebsten Geschichten, die unserer eigenen Lebensgeschichte ähneln, und hoffen, durch die Lektüre zu neuen (Selbst-)Erkenntnissen zu gelangen.
So etwas funktioniert natürlich auch mit Geschichten, die zunächst keinerlei Bezug zu unserer eigenen Lebenssituation haben (historische Romane sind hier ein gutes Beispiel); doch im Akt des Lesens verbinden wir automatisch die fiktiven Abläufe mit unserer vertrauten Lebenswelt, wir lesen also dasjenige aus den Geschichten heraus, was uns im eigenen Leben weiterbringt.
Vielleicht hat Donald Trump dieses Buch gelesen? Falls nicht, sollte er einen erhellenden Blick hineinwerfen. Doch für Narzissten ist es nicht leicht, objektiv in den Spiegel zu schauen. Aber er könnte eine Menge über sich selbst lernen, wenn er sich Sinclair Lewis´ Buch vornehmen würde.
Buzz Windrip will Präsidentschaftskandidat werden. Natürlich gibt er vor, sich für die kleinen Leute einzusetzen, und verspricht, „aus Amerika wieder ein stolzes Land zu machen“. Klingt ziemlich genau nach Trumps Slogan „America first“, oder? Die Geschichte im Roman geht ähnlich erfolgreich weiter, wie Trumps Wahl zum US-Präsidenten in diesem Jahr:
Auch der Antiheld Windrip zieht ins Weiße Haus ein und führt sich dort schnell so auf, wie ein Trump im Oval Office. Er beschneidet die Freiheiten von Minderheiten, geht gegen Mexiko vor, macht die gegnerische Presse mundtot. Wer hier keine parallele Entwicklung zur realen US-Politik sieht, hat offenbar lange keine Nachrichten mehr gelesen.
Sinclair Lewis ist (und war seinerzeit) bekannt für seinen packenden und temporeichen Erzählstil. Seine Romane sind Zeitbilder der amerikanischen Lebenswelten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch sein Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ liefert ein solches Zeitbild sowie eine „unheimliche Vorwegnahme der aktuellen Ereignisse“, wie der Guardian schreibt.
Das vorliegende Buch basiert auf der deutschen Übersetzung von Hans Meisel, die 1936 im Amsterdamer Exil-Verlag Querido erschienen ist. Ein Nachwort von Jan Brandt schlägt den Bogen zur aktuellen Tagespolitik und den politischen Zuständen in den USA. Er schreibt: „Das Thema des Buches ist weniger Machtmissbrauch oder Revolution als vielmehr die Krise des Liberalismus, die Hilflosigkeit eines sich als aufgeklärt, gebildet und gut informiert verstehenden Bürgertums angesichts einer sich stetig steigernden und immer aggressiver auftretenden allgemeinen Idiotie der Massen.“
„Das ist bei uns nicht möglich“ war Sinclair Lewis´ letzter großer literarischer Erfolg. In Deutschland erschien es erst 1984 im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Hans Meisels Übersetzung von 1936 trifft nicht nur den Sound des Originals, sondern es ist für den heutigen Leser eine zeitgenössische Übersetzung mit manchen Wendungen und Formulierungen, die uns heute ungewohnt erscheinen, doch eben genau in jene Zeit passen. Dies macht zusammen mit Lewis´ detaillierten Milieuschilderungen diesen Roman zu einem verdichteten Zeitdokument der amerikanischen Verhältnisse in den 1930er Jahren.
Autor: Sinclair Lewis
Titel: „Das ist bei uns nicht möglich“
Gebundene Ausgabe: 442 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN-10: 3351036965
ISBN-13: 978-3351036966