Hans-Peter Föhrding, Heinz Verfürth: „Als die Juden nach Deutschland flohen — Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“

Zunächst stutzt man. Glaubt, den Titel nicht richtig gelesen zu haben. Doch dann packt einen die Neugier, und man schlägt das Buch auf, blättert ein wenig darin herum — und ist gefangen. Das Buch lässt einen nicht mehr los, denn es zieht den Leser mitten hinein in die unmittelbare Nachkriegszeit, als in Deutschland und in halb Europa (und nicht nur hier) die Welt in Trümmern lag.

Es sind zunächst die bekannten Bilder: Die Flüchtlingswellen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ziehen über Deutschland hinweg; meistens geht es nur in eine Richtung: nach Westen. Aus den zunächst von den Deutschen und dann von den heranstürmenden Sowjettruppen verwüsteten Ostgebieten strömen die Menschen nach Westen, dorthin, wo es nicht ganz so schlimm zuging im Krieg: Deutsche, Deutschstämmige, aber auch Juden sind unter diesen Flüchtlingen. Juden, die sich während des Krieges verstecken und der sicheren Vernichtung durch die deutschen Besatzer entgegen konnten, aber auch Juden, die den nächsten antisemitischen Aggressionen vonseiten der neuen Besatzer und der durch jene angesiedelten Zivilbevölkerung in jenen Ostgebieten entgehen wollten.

Juden fliehen nach Deutschland? Zunächst unvorstellbar nach all den Gräueln des Krieges und mit dem Wissen um die systematische und grausame Vernichtungsindustrie der Nationalsozialisten. Und doch: Juden flohen nach Deutschland kurz nach Kriegsende, auf der Suche nach Sicherheit und Schutz in den westlichen Besatzungszonen, aus Furcht vor dem Zugriff der Sowjets.

Die beiden Autoren sind Journalisten, haben Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Beide befassen sich vor allem mit gesellschaftlichen und geschichtlichen Themen. Zusammen haben sie mit diesem Buch ein bislang unbeachtetes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte erforscht und ihre Ergebnisse in diesem Buch zusammengetragen. Das Buch liest sich sehr flüssig, doch diese Studie genügt auch wissenschaftlichen Ansprüchen: Ein 30-seitiger Anhang mit Literaturverzeichnis und Register bietet auch dem wissenschaftlich arbeitenden Leser ausreichendes Studienmaterial.

„Als die Juden nach Deutschland flohen“ ist packend geschrieben, detailreich und mit zahlreichen Abbildungen versehen. Was die Lektüre jedoch besonders anregend macht, ist die Alltagsperspektive, die beide Autoren einnehmen. So wird anhand von mehreren Fallbeispielen das Schicksal jüdischer Flüchtlinge beschrieben, ihr Alltag fernab der Weltpolitik (doch die kommt natürlich auch vor). Wie erlebten jene Menschen die Flucht? Was mussten sie erleiden? Woher nahmen sie ihren Mut? Was speiste ihre Hoffnung? Was fürchteten sie?

Fünfzehn exemplarische Schicksalsgeschichten jüdischer Flüchtlinge machen dieses Buch zu einer einzigartigen und faszinierenden Lektüre. Viele Beschreibungen ähneln jenen Flüchtlingsprotokollen der späten Kriegs- und der frühen Nachkriegszeit, und doch sind es noch einmal ganz besondere Schicksale, die die beiden Autoren hier vorstellen, eben weil es sich um die Lebensgeschichten jüdischer Flüchtlinge handelt, die sich kurz nach Kriegsende gerade im Land der besiegten Feinde ein neues Leben in Frieden erhofften.

Dieses Buch bewegt und packt; es schreibt endlich ein bislang ungeschriebenes Kapitel der Nachkriegszeit und bewahrt so die Erinnerung an einen ganz besonderen Teil jüdischer Geschichte in Deutschland.

 

 

Autor: Hans-Peter Föhrding, Heinz Verfürth
Titel: „Als die Juden nach Deutschland flohen — Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 346204866X
ISBN-13: 978-3462048667