Rayk Anders: „Eure Dummheit kotzt mich an — Wie Bullshit unser Land vergiftet“

Rayk Anders: "Eure Dummheit kotzt mich an — Wie Bullshit unser Land vergiftet"Wenn man die Leute erreichen möchte, so ist es durchaus verständlich und notwendig, laut zu werden und verbal ordentlich auf den Tisch zu hauen. Anders geht es nicht, obwohl man es sich anders wünschte.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass Rayk Anders einen ziemlich rauen Ton anschlägt, um seine Leserschaft zu erreichen. Und doch ist diese Art der Kommunikation für Leser jenseits der 50 – wie den Rezensenten – zumindest ungewohnt.

Jedoch der mediale Erfolg, den Rayk Anders mit seiner Variante des Haha-Journalismus hat, gibt ihm Recht: Pro Woche erreichen seine Beiträge auf Facebook und YouTube – laut Klappentext – bis zu vier Millionen Leser. Solche Zahlen können nicht nur neidisch machen, sondern sie sind ein eindeutiges Indiz für die mediale und somit auch gesellschaftliche Relevanz dieser Stimme!

Die Themen, die Anders in seinen Blog-Artikeln und Videos – und eben auch in dem vorliegenden Buch – anspricht, behandeln das Tagesgeschäft der deutschen Politik, alle Problemfelder von Rechtspopulismus über Flüchtlinge, IS-Terror bis hin zu Ökologie, Ökonomie und Verbraucherfragen. Als Meta-Thema zieht sich aber durch alle Beiträge die Sorge um die Demokratie, die völlige Abkoppelung der Politik von den Menschen und die Gefahr, die von rechts droht, wenn die Politikverdrossenheit zu einem Massenproblem wird.

Rayk Anders ist Journalist, Jahrgang 1987, somit Ende 20, und lebt in Berlin. Damit sind nicht nur die Eckdaten klar, sondern man hat eine Ahnung davon, was einen als Leser erwartet. Die Erwartungen werden auch nicht enttäuscht, im Gegenteil. Früher nannte man solch einen Slang eine „hippe“ Sprache, die vor allem von Mitte-Männer gepflegt wurde, um sich sowohl intellektuell als auch verbal vom Rest der Republik zu distanzieren – nach dem Motto: Wir haben als Einzige den vollen Durchblick, und die Anderen peilen es einfach nicht…

Auf dem Cover seines Buches schaut uns der Autor leicht verzweifelt an und hält sich zwei Finger, die eine Pistole symbolisieren sollen, an die Schläfe. Haha, sehr witzig. Genauso gut könnte er auch dem Leser einen Vogel zeigen. Brav gekleidet in einem Sakko, Hemd und Deutschland-Krawatte, kommt er ein bisschen daher wie der neue „Anchor-Man“ der Tagesschau. Aber wenigstens trägt Anders keinen Rauschebart à la Max-Weber, wie er in Berlin-Mitte immer noch in jedem zweiten Latte Macchiato hängt.

In seinem Buch geht es zu wie in der „Heute-Show“. Diese Form des satirischen Journalismus ist zurzeit schwer in Mode und scheint vor allem junge Menschen (wie Anders) anzusprechen. Wer unter 30 ist und sich für Politik interessiert oder sich über sie aufregt, findet in solchen Böhmermännern die geeignete mediale Ausdrucksform. Lange vorbei sind die Zeiten des Qualitäts-Kabaretts und der politischen Satire von Hildebrandt, Schramm und Priol.

Doch ist das wirklich Satire? Handelt es sich um Protest? Um politische Kommentare? Um eine Kampfschrift? Um eine Suada gegen die allgegenwärtige Lethargie? – Wohl eher haben wir es hier mit der Kanalisierung einer latenten Unzufriedenheit junger Leute zu tun, die ihren politischen Standpunkt formulieren, indem sie die Kanäle von Rayk Anders abonnieren. Das ist zwar nett, hilft auch dem Autor, ändert aber leider gar nichts am politischen System.

Eine solche Forderung nach Protest und Veränderung der gesellschaftlichen Zustände schießt aber weit über das Ziel hinaus und überfordert nicht nur diesen Autor und sein Buch, sondern blendet auch die schlichte Tatsache aus, dass es an diesem System grundsätzlich nichts mehr zu ändern gibt, weil die Voraussetzungen für eine solche Veränderung nicht mehr gegeben sind: Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche ist so weit fortgeschritten, dass jede Form der politischen Einflussnahme automatisch auch einer solchen Ökonomisierung unterworfen ist und zu einem weiteren Produkt in der Wertschöpfungskette wird. Und genau hier landen wir bei solchen Medienformaten wie „Neo-Royale“, „Heute-Show“ oder Rayk Anders´ „Armes Deutschland“!

Sinn und Zweck, ja gesellschaftliche Aufgabe solcher Magazine und Shows ist die Katharsis der Zuschauer von ihrer politischen Unzufriedenheit. Indem sie solche Sendungen und Formate konsumieren, äußern die Zuschauer ihren Protest und signalisieren ihren politischen Standpunkt. Die politische Aktion beschränkt sich auf den Konsum dieser Formate, und die gesellschaftliche Relevanz dieses Protests wird anhand der Einschaltquoten gemessen. Das ist die neue Form der digitalen Demokratie und der politischen Mitbestimmung.

In dieses digitale Raster einer Demokratie des Zuschauens passen das Buch von Rayk Anders genauso wie seine anderen digitalen Formate wie die Faust auf die Stirn der Dumpfdeutschen. Das kann man kritisieren, aber man kann es auch einfach als ein Zeichen unserer Zeit begreifen, in der sich die Demokratie in jener Form, wie wir sie kannten, mehr und mehr auflöst.

Interessant ist an dieser Stelle, dass der Titel seines Buches scheinbar die Leser anspricht, deren Dummheit den Autor, wie er so anschaulich schreibt, „ankotzt“. Doch dumm sind natürlich vor allem die Anderen, die den ganzen Schlamassel verursachen oder einfach mitlaufen, ohne sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Mit anderen Worten: die dumpfe Mehrheit.

Diese dumpfe Mehrheit wird jedoch dieses Buch nicht lesen. Schade eigentlich, denn gerade sie könnten aus diesem Buch eine Menge lernen! Natürlich sind es die jungen Menschen in den Städten, die sich auf dieses Buch freuen, weil sie Rayk Anders schon längst aus dem Internet kennen. Somit ist dieses Buch aber einfach nur ein weiteres Produkt in der schönen neuen Konsumwelt unserer Empörungsgesellschaft.

Das Buch ist flott geschrieben, sehr flott. Es bedient sich jener Hau-Ruck-Sprache, die man auch aus dem Fernsehen kennt: plakativ, mit Knalleffekt und sehr fäkal. Doch Fäkal-Deutsch wird auch aus jungem Munde nicht hübscher. Es ist die freiwillige Orientierung nach unten, an der Sprache der unteren Schichten oder an medialen Vorbildern wie Mario Barth. Echt kacke und voll daneben, sozusagen. Vielleicht will man auf diese Weise auch die bildungsfernen Leserschichten erreichen? Oder soll die Kraftsprache nur die Intensität der eigenen Betroffenheit ausrücken? Im Sinne von: Mich regt diese ganze Dummheit so auf, dass ich gar nicht anders kann, als emotional und frei von der Leber zu schreiben… – Vielleicht ist es das, vielleicht auch nicht, mit echter politischer Satire hat es jedenfalls wenig zu tun.

Aber man sollte die Messlatte nicht zu hoch hängen. Dieses Buch ist eine nette, unterhaltsame Lektüre – leichte Kost, allerdings mit einem todernsten Hintergrund! Die in ihr angesprochenen Themen sind beinhart, und die Fakten sollten jeden alarmieren, der noch einen Rest von politischem Bewusstsein hat. Das Buch von Rayk Anders darf man also durchaus in die Kategorie Unterhaltung einordnen, auch wenn die Themen alles Andere als witzig sind.

Die eigentlich interessante Frage stellt sich jedoch den Politikern da draußen im Lande: Wenn vier Millionen jungen Menschen jede Woche diese Art von politischer Satire konsumieren und das darin Gesagte gut und richtig finden, dann sollte sich die Politik schleunigst fragen, wie sie diese Menschen abholen und wieder in den politischen Diskurs zurückholen kann. Damit nicht aus all diesen politikverdrossenen Noch-Demokraten eines Tages potenzielles Stimmvolk für Rechtspopulisten und andere Bauernfänger wird!

 

Autor: Rayk Anders
Titel: „Eure Dummheit kotzt mich an — Wie Bullshit unser Land vergiftet“
Broschiert: 208 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423261366
ISBN-13: 978-3423261364