Julia Cagé: „Rettet die Medien – Wie wir die vierte Gewalt gegen den Kapitalismus verteidigen“

Julia Cagé: „Rettet die Medien – Wie wir die vierte Gewalt gegen den Kapitalismus verteidigen“Wenn wir uns die Situation der Medien vergegenwärtigen, so scheint der scharfe Wind zurzeit von einer anderen Seite zu kommen: „Lügenpresse! Lügenpresse!“ skandiert der Mob in Deutschlands Straßen — wohl wissend, dass man sich hierbei nationalsozialistischen Vokabulars bedient, was die Sache nicht besser, sondern nur noch trauriger bzw. alarmierender macht.

Doch über diese vorübergehenden Vorfälle am Rande der intelligenten Gesellschaft legt sich seit Jahren eine ganz andere Ebene fundamentaler und existentieller Bedrohung der freien Presse: Es ist der Kapitalismus selbst, der hier in seiner perfektionierten und reinsten Form auch vor den Medien Halt macht in seiner Umstrukturierungs-, Zentralisierungs- und Effektivierungs-Wut.

Die französische Wissenschaftlerin hat ihre Forschungsergebnisse über diesen globalen Trend im Rahmen ihrer Tätigkeit als „Assistant Professeur d´Économie am Institut d´Études Politiques“ in Paris zu einem Buch verdichtet, das auf Französisch den aussagekräftigeren Titel trägt: „Sauver les médias. Capitalisme, financement participatif et démocratie“. Aha, es geht also auch um die verschiedenen möglichen Rechts- und Finanzierungsformen der Medien, auch abseits von Werbung und der Finanzierung durch interessierte Sponsoren.

Schon lange schien der Stellenabbau in den Redaktionen für die Zeitungsverleger das probateste Mittel der Kosteneinsparung gewesen zu sein. Der ökonomische Druck des Wettbewerbs bot auch nur wenige Alternativen zu diesem am Ende selbstzerstörerischen Schrumpfungsprozess. Lange Zeit schien es ja auch irgendwie zu funktionieren, doch irgendwann kam der Punkt, an dem die Zeitungsinhalte sich immer mehr ähnelten. Aus einem einfachen Grund: Die Inhalte wurden nur noch von wenigen Großredaktionen generiert, die ihre Nachrichten wiederum nur noch von wenigen Agenturen bezogen.

So gibt es heute nur noch ganz wenige überregionale Zeitungen (und noch viel seltener eine regionale Zeitung), die sich den Luxus einer eigenen Meinung und Berichterstattung leisten können. In der Folge ist ein allgemeiner Niedergang des täglich gedruckten Nachrichtengewerbes zu beobachten und zu bejammern.

Eine scharfe Konkurrenz bekamen die Zeitungsmedien bereits vor Jahren durch die verschiedenen Formen des Online-Journalismus. Das Internet war bunter, multimedialer und vor allem deutlich schneller als die schnellste Zeitung. Ja, manche Nachrichteninhalte werden mit Hilfe von Live-Streams sogar ohne Verzögerungen gesendet und gelesen, gesehen und gehört.

Was einerseits zur Faszination und zum Erfolg der Online-Medien beigeträgt, wird andererseits auf den zweiten Blick zu ihrem größten Problem: Es fehlt die zeitliche Distanz, welche erst eine fundierte Recherche und eine sinnvolle mediale Aufbereitung der Inhalte ermöglicht. Nicht zuletzt ist es genau dieser Punkt, der neben der fehlenden oder fragwürdigen fachlichen Kompetenz der „Content-Produzenten“ im Online-Journalismus zweifeln lässt.

Man muss kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um dem marktwirtschaftlichen Interesse einer gewinnoptimierten Medien-Industrie vorzuwerfen, dass es möglichst leicht verdauliche, dafür jedoch umso attraktiver aufpolierte Nachrichtenhäppchen anbietet, um den Umsatz zu steigern. Was zu kompliziert und intellektuell daherkommt, zu viel Zeit kostet oder einfach zu lang ist, wird auf Häppchengröße gekürzt oder fällt der Schere im Kopf zum Opfer.

Der Kapitalismus ist die Lehre vom Kapital. In der kapitalistischen Warenwirtschaft geht es um den Austausch von Waren und Geldwerten. So komplex diese systemischen Zusammenhänge mitunter im Einzelnen sind, so simpel ist ihr Grundprinzip: Wir arbeiten, um Geld zu verdienen, das wir dann für Dinge ausgeben, die wir uns nicht selbst herstellen können, sondern Andere dafür bezahlen, dass sie diese Dinge für uns herstellen. Zwischen uns und den Dingen steht das Geld als Transaktionsmittel.

Der Geist des Kapitalismus besteht nun darin, dass wir möglichst viel Geld anhäufen, um uns immer mehr leisten zu können. Genau das machen diejenigen, die die Medien besitzen. Sie machen es nicht anders als die Kohleproduzenten, die Autohersteller, die Gemüsehändler oder der Bäcker an der Ecke. Der Gewinn ist derjenige Teil, jenes Surplus, das dem Unternehmer zugutekommt, wenn er erfolgreich wirtschaftet. Um erfolgreich wirtschaften zu können, muss er stets auf eine Minimierung der Ausgaben bedacht sein. Die Gewinnmaximierung ist letztlich das oberste Ziel jedes unternehmerischen Handelns.

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht dem Effizienz-Gedanken unterwerfen sollte: Liebe, Fürsorge, Information und Bildung, Nahrung und jede Form ideeller oder auch medizinischer Dienstleistungen sollte nicht danach bewertet werden, ob sie möglichst viel Kohle bringen. Leider sehen das nicht alle so. Die Globalisierung der Märkte hat auch in den Köpfen zu einem Umdenken geführt. Warum sollte man nicht Schulen, Krankenhäuser, Kirchen, Altersheime, Universitäten und Medien privatisieren und sie dem rauen Wind des kapitalistischen Wettbewerbs aussetzen?! Wettbewerb bedeutet Verbesserung, Zwang zur Optimierung! Was der Staat nicht kann, können private Unternehmer doch viel besser leisten… — So der Tenor der privatwirtschaftlichen Kreuzritter.

Was in den 1990er Jahren noch in einer weltweiten Aufbruchsstimmung zur Privatisierung vieler Staatsunternehmen und zu rein auf Profitabilität ausgerichteten Umstrukturierungen geführt hatte, zeigte schon bald seine negativen Auswirkungen. Doch der Trend zur Verschlankung von Unternehmens-Hierarchien und zur Ausdünnung breit aufgestellter Administrationen scheint nach wie vor die „ultima ratio“ der Global-Kapitalisten zu sein. Die Umstrukturierung der Medien bildet hier keine Ausnahme.

Das vorliegende Buch von Julia Cagé liest sich leicht und in einem Rutsch — trotz oder vielleicht gerade wegen seiner politischen Brisanz. Den Medien kommt seit jeher als „vierte Gewalt“ im Staate eine Schlüsselfunktion zu. Es ist die Aufgabe der Medien, uns politisch zu informieren. Ohne die Medien stünden wir einfach nur im Wald und hätten keinen blassen Dunst davon, was in unserem Land und weltweit vor sich geht. — Aber vielleicht sollen wir das alles auch gar nicht so genau wissen?

Es wäre durchaus im Interesse vieler finanz- und globalkapitalistischen Player, wenn die Öffentlichkeit nicht so viel von ihren Machenschaften erführe. Hier sind sich Wirtschaft und Politik sehr ähnlich: Auch die Regierung hat kein Interesse an der Aufdeckung von Fehltritten und zweifelhaften Aktivitäten. Beiden Gruppen (Politik und Wirtschaft) liegt jedoch sehr viel daran, sich in ein schönes Licht zu stellen und die eigene Ware zum besten Preis zu verkaufen. Das hat jedoch nichts mit Information und journalistischer Arbeit zu tun, sondern ist Werbung in ihrer reinsten Form.

Julia Cagé hält in ihrem Aufsatz ein flammendes Plädoyer für den Qualitäts-Journalismus. Ohne Qualität wird es nichts werden mit der Rettung der Medien. Das kapitalistische Effizienz-Denken ist an dieser Stelle so unangebracht, wie Werbung in den Nachrichten. — Okay, das ist jetzt kein toller Vergleich, aber die Wichtigkeit einer qualitativ hochwertigen journalistischen Arbeit für die Bedeutung des jeweiligen Mediums kann nicht hoch genug geschätzt werden. Wenn der neue Götze des Journalismus nur noch Tempo heißt, bleibt die Qualität zwangsläufig auf der Strecke. Wenn alle ihre Informationen nur noch an denselben wenigen Quellen schöpfen, wird aus der Recherche von Neuigkeiten bald nur noch ein Nachplappern des allzu Bekannten. Das kann es und das darf es nicht sein!

Dieses Buch ist nicht nur für Journalisten geschrieben, sondern für uns alle, die wir noch Zeiten erlebt haben, in denen es jedem Medium darum ging, ein eigenes Gesicht, eine eigene Farbe und Meinung zu haben und damit einzigartig zu sein. Damals ging es nicht um Layout-Fragen oder um den günstigsten Preis, sondern um Qualität und Authentizität, auch wenn man es damals noch nicht so nannte. Wie sich beides wiederherstellen und wie sich die Medien retten lassen, beschreibt die Autorin in ihrer faszinierenden Tour de Force durch die internationale Medienlandschaft. Ein lesenswertes Buch zu einem brandaktuellen Thema!

 

Autor: Julia Cagé
Titel: „Rettet die Medien – Wie wir die vierte Gewalt gegen den Kapitalismus verteidigen“
Taschenbuch: 134 Seiten
Verlag: C.H.Beck
ISBN-10: 3406689388
ISBN-13: 978-3406689383