Wladimir Kaminer: „Das Leben ist (k)eine Kunst“

Wladimir Kaminer: "Das Leben ist (k)eine Kunst"Kaminer mal wieder… Die Geschichten scheinen aus ihm herauszusprudeln wie aus einem niemals versiegenden Brunnen. Wie er in einer seiner neuesten Geschichten erzählt, war das eigentlich schon immer so. Schon im Kindergarten hatte das Geschichtenerzählen sein Leben gerettet. Es gab damals nämlich einen absolut ungenießbaren Grießbrei, den er einfach nicht essen wollte.

Doch er konnte andere Kinder dazu überreden, seinen Brei aufzuessen, indem er ihnen Geschichten erzählte. Hierzu fabulierte er ganze Fortsetzungsgeschichten, die sich aus Bruchstücken von Actionfilmen zusammensetzten, die der kleine Wladimir im Kino sah.

Später ging das in der Schule weiter, was seine Lehrer an den Rand des Wahnsinns brachte und ihn fast von der Schule fliegen ließ. Im Militärdienst wurde er zum Hieromanten und Wahrsager für seine Kollegen. Das Geschichtenerzählen liegt ihm also im Blut. Und trotzdem ließ sich Kaminer zunächst zum Toningenieur ausbilden. Heute legt er immer noch regelmäßig für die „Russendisko“ Platten auf – für „betrunkene Teenager“, wie sein Vater mürrisch anmerkt.

Es gibt eine Parallele zwischen dem Geschichtenerzählen und der Arbeit eines Toningenieurs: Wie der Toningenieur die einzelnen Tonspuren eines Songs zusammenmischt, den einen Track etwas lauter, den anderen etwas leiser in den Sound mischt, dann die einzelnen Tonspuren durch die unterschiedlichsten Filter laufen lässt – Hochpass-Filter, Delay, Compressor, Flanger, EQ usw. – so saugt auch Kaminer scheinbar permanent die verschiedensten Geschichten und Fragmente auf, die er aus seiner Umwelt empfängt, mischt jene Tracks zusammen, verstärkt hier den einen Erzählstrang und gibt dort einem anderen wieder einen echohaften Fernklang, bis am Ende eine lustige und mehr oder weniger übersteuerte Klangcollage entsteht, die den Zuhörern gefällt. Der einzige wirkliche Unterschied besteht in dem Medium – hier ein Lied, ein Song, und dort eine Geschichte, ein Text.

„Das Leben ist (k)eine Kunst“ ist wieder ein prallgefülltes Säckchen (aber)witziger Geschichten, die einerseits mitten aus dem Leben entnommen und andererseits so abgerundet und im wahrsten Sinne „fabelhaft“ sind, dass sie genau so eigentlich nicht geschehen sein können. Aber das macht nichts. Denn beim Lesen hat man automatisch diesen humorigen Unterton von Kaminers Stimme im Ohr, diesen charmanten und auch nach über zwanzig Jahren immer noch leicht holprigen russischen Akzent, diese gemütliche Kehligkeit in seiner Stimme, die selbst einen Auszug aus dem Berliner Telefonbuch zu einer gelungenen Lesung machen könnte.

Was soll man also schon über dieses neue Geschichtenbuch von Kaminer sagen? Wer ihn kennt, wird blind und auch ohne diese Besprechung automatisch zu diesem Buch greifen. Und wer ihn immer noch nicht kennt, sollte sich was schämen! Also lesen und erfreuen Sie sich an diesem scheinbar niemals müde werdenden Geschichtenerzähler und lassen Sie sich in eine Welt entführen, die gleich um die Ecke existiert und dennoch so fern aller deutschen Vernünftigkeit und Ordnung ist: die Welt der russischen Emigranten und ihrer Freunde!

 

Autor: Wladimir Kaminer
Titel: „Das Leben ist (k)eine Kunst“
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Manhattan
ISBN-10: 344254730X
ISBN-13: 978-3442547302