Christopher Isherwood lebte von 1929 bis 1933 in Berlin. Er folgte seinem Freund W. H. Auden nach Berlin, das seinerzeit nicht nur die angesagteste Metropole Europas, sondern auch einer der weltweit wichtigsten schwul-lesbischen Hotspots war. Berlin war modern, mondän, abgefuckt, billig und permanent in Feierlaune. — Eigentlich so wie heute, nur ein bisschen doller.
Isherwood wechselte immer wieder die Wohnungen, bewohnte meistens nur ein Zimmer zur Untermiete und bewegte sich im glitzernden Schein des Berliner Nachtlebens ebenso wie in den zwielichtigen und verruchten Ecken der Stadt. Es fand sich schnell eine englische Community aus Künstlern, Schriftstellern und vor allem Lebenskünstlern zusammen, die der spießigen Enge der britischen Gesellschaft entkommen wollten. In Berlin war´n se da richtig! Hier konnte man was erleben, konnte die Elektrizität in der Luft spüren, die vom berüchtigten „Tempo! Tempo! Tempo!“ der Großstadt, von ihrem großen Gefälle zwischen Arm und Reich und den politischen Spannungen zwischen Kommunisten und Nazis herrührte.
Isherwood war mittendrin, lebte diesen Tanz auf dem Vulkan mit und machte sich seine Notizen. Diese Aufzeichnungen versuchte er zunächst in einem Roman mit dem Arbeitstitel „Die Verlorenen“ zu verarbeiten, was jedoch misslang. Der hier besprochene Roman „Goodbye to Berlin“ („Leb wohl, Berlin“) ist dann aus mehreren Teilen zusammengesetzt, ohne dass sich jedoch für den Leser der Eindruck einer fragmentarischen Sammlung von Unfertigem ergibt. Der Roman liest sich flüssig und gibt einen hautnahen Einblick in die Spätphase der Weimarer Republik und ihrer Gesellschaft.
Es sind vor allem die Menschen, die der Autor hier mit wenigen Strichen so stark zu charakterisieren vermag, die dem Leser schnell ans Herz wachsen – oder eben auch nicht. Einer der Protagonistinnen in diesem Buch ist Sally Bowles, eine junge Engländerin mit einem Hang zu reichen Männer und einer Abneigung gegenüber allen körperlichen Anstrengungen.
Der Traum von einer Karriere beim Film bleibt stets in seiner Vorstufe stecken: Sie tanz in einer eindeutig zweideutigen Revue für betuchte Männer. Der Rest ist Geschichte. — Jeder kennt diesen Abschnitt des Romans, denn er war die Vorlage für „Cabaret“, jenes seit Jahrzehnten erfolgreiche Theaterstück, das später kongenial verfilmt wurde und mit Liza Minelli in der Rolle der Sally Bowles Unsterblichkeit erlangte.
Die bei Hoffmann & Campe erschienene Übersetzung von Kathrin Passig und Gerhard Henschel ist jüngst auch als Taschenbuch-Ausgabe erschienen, so dass es nun wirklich gar keine Ausrede mehr gibt, diesen hervorragenden Roman nicht zu kaufen! Man muss Isherwood gelesen haben, wenn man verstehen will, wie es im Berlin der Zwanziger Jahre wirklich zuging! Und nachdem man ihn gelesen hat, wird man Lust auf mehr verspüren: mehr Isherwood, mehr Berlin, mehr Roaring Twenties… — Viel Spaß beim Lesen!
Autor: Christopher Isherwood
Titel: „Leb wohl, Berlin“
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN-10: 3455405002
ISBN-13: 978-3455405002