Walter Jens, Hans Küng: „Menschenwürdig sterben. – Ein Plädoyer für Selbstverantwortung.“

Walter Jens, Hans Küng: "Menschenwürdig sterben.  - Ein Plädoyer für Selbstverantwortung"Das Buch „Menschenwürdig sterben“ von Walter Jens und Hans Küng, das erstmals 1994 veröffentlicht wurde, ist in einer aktualisierten Neuauflage im Piper Verlag erschienen.

Sterbehilfe ist seit Jahren ein wichtiges Thema, das sowohl in der Öffentlichkeit und in den Medien als auch in vielen Familien heiß und kontrovers diskutiert wird. Die Grenzen des Machbaren werden bei der Versorgung Schwerstkranker oft überschritten und selbst die in Patientenverfügungen geäußerten Patientenwünsche nach einem humanen Sterben ohne lebenserhaltende Maschinen immer noch von vielen Ärzten nicht zuletzt aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen ignoriert oder abgelehnt.

Es gibt aber auch einen weiteren traurigen Anlass, der die Aktualität dieses Buches noch verstärkt: Walter Jens, einer der beiden Autoren, langjähriger Inhaber des Rhetorik-Lehrstuhls an der Universität Tübingen, Schriftsteller und Philologe, ist seit einigen Jahren schwer an Demenz erkrankt. Er lebt, wie es Hans Küng ausdrückt, „noch unter uns und mit uns, aber eingeschlossen in seine eigene Welt“.

Die vorliegende Neuausgabe wird ergänzt durch einen Text seiner Frau, Inge Jens, der das Leben mit ihrem Mann unter den Zeichen seiner schweren Erkrankung beschreibt. Ihr Bericht ist das starke Zeugnis einer tapferen Frau und Lebensbegleiterin dieses emeritierten Gelehrten.

Beide hatten Jahre zuvor gegenseitige Patienten-Verfügungen verfasst und sich versprochen, im Falle der Hilflosigkeit dem Anderen zu helfen und auch dafür zu sorgen, dass das Sterben in einem menschenwürdigen Rahmen stattfinden kann.

Inge Jens zeigt jedoch in ihrem bewegenden Bericht, dass eine klare Entscheidung für oder gegen eine Unterstützung ihres Mannes bei seinem Todeswunsch gar nicht zu treffen ist. Schließlich ist Walter Jens nur schwer dement, aber ansonsten nicht physisch krank. Immer wieder gibt es von ihm Zeichen, die als Zufriedenheit, ja als Glücksmomente zu interpretieren sind, gefolgt jedoch von plötzlichen Rückfällen in die unzugängliche Welt des Demenzkranken und seinen Abstürzen in tiefe Depressionen.

„Menschenwürdig sterben“, das Plädoyer für Selbstverantwortung bei der Planung des eigenen Leben und Todes, macht klar, dass wir bei diesem Thema mit einem Schwarzweiß-Denken nicht weiter kommen.

Statt von „Sterbehilfe“ zu sprechen, schlägt Hans Küng vor, lieber den Begriff der „Lebenshilfe“ zu verwenden – mit dem Wissen, dass auch dieser letzte Abschnitt des Lebens, das Sterben, immer noch ein Teil des Lebens eines Menschen ist. Das Leben auch im Sterbeprozess noch annehmbar und menschenwürdig zu gestalten, ist die Aufgabe einer richtig verstandenen Sterbehilfe als Lebenshilfe.

Der subjektive Blick auf die Sterbehilfe wird auch bestimmt durch die Antwort, die sich ein jeder selbst auf die Frage nach dem eigenen Tod gibt: Ist der Tod wirklich das Ende allen Lebens und der Sturz ins absolute Nichts, in die Nicht-Existenz, dann werden die Fragen nach dem Sinn, den Möglichkeiten und Verantwortungsbereichen der Sterbehilfe ebenfalls anders beantwortet werden, als wenn ein Mensch im Glauben steht und nach dem Tod das Ewige Leben als eine neue Existenzform erhofft.

Hans Küng sagt als Theologe mit Blick auf das Leben, dass es „eine Gabe des Schöpfergottes“ ist. Gleichzeitig sei das Leben jedoch auch „eine gottgegebene Aufgabe des Menschen, die er möglichst bis zur letzten Phase seines Lebens selbstverantwortlich wahrzunehmen hat“.

Im Zeitalter eines durch Fortschritte von Medizin und Hygiene oft um Jahrzehnte verlängerbaren Lebens erhält die Frage des menschenwürdigen Sterbens eine besondere Brisanz.

Aus der Sicht ihrer jeweiligen Fachgebiete verfassen Hans Küng und Walter Jens ein Plädoyer einer Selbstverantwortung des Menschen, die auch und gerade die letzte Lebensphase betreffen muss:

Hans Küng ist Theologe, einer der wirklich universalen Denker unserer Zeit und Präsident der Stiftung Weltethos. Sein Text behandelt die Themen Sterben und Sterbehilfe aus theologischer Sicht. Er gibt vor allem dem christlichen Leser wertvolle Anregungen und Denkanstöße für seine weiteren Überlegungen und Diskussionen.

Walter Jens ist Philologe, Schriftsteller und Universitätsprofessor, beschäftigt sich in seiner Abhandlung „Si vis vitam para mortem“ (Wenn man das Leben gegenüber dem Tod betrachtet) vor allem mit den literarischen Reflektionen des Lebens und Sterbens, des menschenwürdigen und unwürdigen Todes: Jesus, Alkestis, Iwan Iljitsch und das Leben und Sterben in der zeitgenössischen Literatur werfen ein anderes Licht auf das hier behandelte Thema.

Gerade dieses scheinbare Heraustreten aus der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Debatte um die Sterbehilfe mit Hilfe der Literatur wird manchem Leser die Annäherung an dieses schwierige und oft tabuisierte Thema womöglich erleichtern.

Diese Haupttexte von Küng und Jens werden ergänzt durch zwei weitere Aufsätze eines Juristen und eines Arztes, die die verschiedenen Aspekte der Sterbehilfe aus ihrer jeweiligen fachlichen Sicht erläutern. Daran schließt sich die Transkription einer Podiumsdiskussion an, die jene beiden Experten zusammen mit Hans Küng und Walter Jens 1996 an der Universität Tübingen geführt haben.

Bei aller Brillanz dieser theologischen und literaturwissenschaftlichen Texte liegt der Schwerpunkt dieses Buches auf dem Versuch einer intellektuellen Erfassung der Sterbehilfe-Problematik. Diese Beschränkung darf allerdings nicht als Nachteil dieses Buches verstanden werden, zumal Hans Küng in einem weiteren Abschnitt am Ende des Buches recht konkret wird.

In dieser ausführlichen Form und fachlichen Fundiertheit wurde das Thema Sterbehilfe, das ja ansonsten so oft in den Medien rauf unter runter diskutiert wird, wohl noch nie behandelt. Selbst die Handreichungen der christlichen Kirchen zur Patienten-Verfügung und Sterbehilfe wirken dagegen wie oberflächliche Kurzanleitungen.

Hans Küng wird am Ende des Buches noch einmal ganz konkret, wenn er „20 Thesen zur Klärung“ der Frage nach Sterbehilfe gibt. Dieser Text schlägt die Brücke zwischen intellektuellem Verständnis, christlicher Glaubensgrundlage und literarisch-künstlerischer Einordnung der Lebensaspekte vom Sterben und vom Tod.

Herr, lehre uns, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90) – Jeder Mensch sollte ein Recht darauf haben, seine eigene Gewissensentscheidung respektiert zu sehen, auch wenn er zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, selbst über den Fortgang oder das Ende seines eigenen Lebens zu entscheiden.

Walter Jens und Hans Küng sind seit über 30 Jahren Kollegen und seit mehr als 20 Jahren miteinander befreundet. Das Nachdenken über den eigene Tod und das eigene Sterben war nichts, was sie aufs letzte „Sterbestündlein“ verschieben wollten, sondern es war tägliche Praxis, die „mitten aus unserem oft hektischen, geistig anstrengenden und kämpferischen Leben heraus“ geübt wurde.

Wenn man sich rechtzeitig mit diesen letzten Fragen auseinander setzt, dann trifft es einen selbst und auch die Angehörigen nicht unvorbereitet, falls es so weit ist. Und wenn vom Gesetzesgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, den Sterbenden während der letzten Phase des Lebens mildtätig zu begleiten und ihn in Würde sterben zu lassen, dann sind wir in der Lage, dem Sterbenskranken und Sterbenden endlich wieder ihre Selbstverantwortung zurück zu geben und ihnen so zu einem humanen Sterben zu verhelfen.

Lesen Sie dieses Buch. Die hier behandelten Themen könnten auch Ihr persönliches Leben und Sterben betreffen. Eine bessere, tiefgründigere und aktuelle Lektüre zur Vorbereitung auf die Abfassung einer eigenen Patienten-Verfügung gibt es nicht.

 

Autor: Walter Jens, Hans Küng
Titel: „Menschenwürdig sterben“
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: Piper
ISBN: 3492052762
EAN: 978-3492052764

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