Interview mit Thomas Suddendorf auf der Frankfurter Buchmesse 2014 zu seinem Buch „Der Unterschied“

Thomas Suddendorf (C) 2014 Ralph Krüger | kulturbuchtipps.deKULTURBUCHTIPPS: Herr Suddendorf, Sie haben ein Buch geschrieben über den Unterschied zwischen dem Mensch und anderen Tieren. Warum Sie das gemacht haben, kann man sich fast denken: Sie sind Entwicklungspsychologie und primatenforscher in Australien; Sie lehren und forschen an der Universität von Queensland. Und trotzdem muss es ja einen letzten Anstoß gegeben haben, dieses Buchprojekt zu beginnen.

THOMAS SUDDENDORF: Eigentlich hat mich die Frage nach dem Unterschied schon immer fasziniert. Selbst als Jugendlicher hatte ich mir die Frage gestellt, was uns zu diesem seltsamen Wesen macht. Warum sind wir nicht so wie andere Affen? Diese Frage hat mich schon immer gereizt, und deshalb habe ich auch damals Entwicklungspsychologie und Vergleichende Psychologie studiert. Ich denke nämlich, dass der Unterschied zwischen uns und den anderen Affen nicht so sehr in unserem Körper zu finden ist (der nicht so deutlich voneinander unterscheidet), sondern in den geistigen Fähigkeiten. Deshalb habe ich mir sehr lange angeschaut, wie sich Kleinkinder entwickeln; denn auch wir fangen unser Leben ja nicht gleich damit an, dass wir einen voll entwickelten Geist haben. Diese graduelle Entwicklung kann man bei Kindern sehr gut messen; und die Messverfahren kann man auch sehr gut bei anderen Tieren anwenden. Das habe ich dann auch in den ersten zwanzig Jahren meiner beruflichen Laufbahn gemacht. Das Buch selbst habe ich vor etwa zehn Jahren angefangen zu schreiben. Das war doch deutlich länger, als gedacht. Aber ich habe versucht, alle Bereiche systematisch abzugrasen, die sich mit diesem Thema beschäftigen – also menschliche Sprache, Intelligenz, Voraussicht, Kultur, Moral – und in jedem dieser Bereiche sind die Zusammenhänge viel komplexer, als man es sich im Voraus überlegt. Denn viele Arten von Tieren haben eine Menge recht komplexer Fähigkeiten in diesen Bereichen, insbesondere unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen. Von daher habe ich versucht in meinem Buch darzustellen, dass  in der Natur eine viel größere Vielfalt von Fähigkeiten existiert, als Menschen das annehmen. Dennoch ist es auch wahr, dass es dann noch einen großen Unterschied gibt.

KULTURBUCHTIPPS: An dieser Frage tüfteln die Philosophen ja seit über 2000 Jahren, was denn nun das eigentlich Menschliche ist, das uns von den Tieren unterscheidet. Entsprechend der Entwicklungsgeschichte unserer Kulturen kamen sie zu immer neuen Ergebnissen. Zunächst war es die Seele, dann der Geist, dann die Vernunft… Und entsprechend musste das Menschenbild immer wieder auf ein neues Fundament gestellt werden.

THOMAS SUDDENDORF: Insbesondere wussten die Menschen ja lange Zeit nichts über unsere nächsten Verwandten, die Großen Menschenaffen. Dieses Wissen ist ja in den Wissenschaften erst in den letzten hundert Jahren entstanden, und selbst da wurde systematische Forschung an und mit Menschenaffen erst in den letzten zwanzig, dreißig Jahren betrieben. Das hat uns klar gemacht, was die Großen Menschenaffen wirklich alles können. Und die können Einiges: Probleme lösen, Einsicht zeigen, Werkzeuge anfertigen, sogar Traditionen weitergeben. An der Elfenbeinküste gibt es einen Wald, in dem Schimpansen die Nüsse mit Steinen aufklopfen. Eine neuere archäologische Studie konnte jetzt zeigen, dass dies auch schon vor 4000 Jahren so gemacht wurde. Also schon in der Schimpansen-Steinzeit haben die das so gemacht. Gut, sie machen zwar die Werkzeuge nicht selber, sondern benutzen nur die herumliegenden Steine, aber trotzdem sind das Fähigkeiten, die wirklich beeindruckend sind. In diesen Dingen haben wir mittlerweile ein viel klareres Bild als früher und wissen, dass da eine ganze Reihe von Fähigkeiten existiert, von denen man vorher noch nichts wusste.

KULTURBUCHTIPPS: Aber was macht denn nun den Unterschied aus? In Ihrem Buch nennen Sie ja zwei Aspekte, die hervorstechen und den Menschen von den anderen Tieren unterscheidet. Das ist zum einen seine Fähigkeit zum abstrakten Denken in sehr komplexen Zusammenhängen, und zum anderen sein grundlegendes Bedürfnis nach Kommunikation und Austausch.

THOMAS SUDDENDORF: Völlig richtig, aber ich würde gern den ersten Aspekt noch etwas qualifizieren. Ich würde es nicht einfach als abstraktes Denken bezeichnen wollen, sondern ich nenne das „Bewerten von verschachtelten Szenarien“. Das hört sich zunächst etwas komplizierter an, ist jedoch gar nicht abstrakt, sondern sehr konkret: dass man sich vorstellen kann, was in der Vergangenheit passiert ist; dass man sich vorstellen kann, wie die Perspektive eines anderen oder wie ein Morgen aussehen wird; dass wir uns einbetten und verschachteln können in größere Zusammenhänge; dass wir Geschichten erzählen können; dass wir das Heutige durch das Vergangene  erklären können; dass wir das Zukünftige durch jetzige Aktionen gestalten können. Das alles ist die eine Fähigkeit; und die andere ist unser unheimlicher Drang und unser Bedürfnis, uns über diese Gedanken auszutauschen, über die Szenarien, die wir uns denken, und welche Schlüsse wir daraus ziehen. Ich glaube, diese beiden Fähigkeiten hängen auch ganz eng zusammen. Wenn man sich beispielsweise über die Zukunft Gedanken macht, kann man sich ja mehrere Versionen der Situation vorstellen. Man kann sich für eine Version entscheiden, ist dann aber auch verantwortlich für diese Entscheidung in einer Art und Weise, wie wir es bei anderen Tieren nicht finden. Natürlich sind wir keine Hellseher, und unsere Vorhersagen liegen oftmals meilenweit daneben. Daher glaube ich, dass es nur dadurch ein effektives System werden konnte, dass wir lernten, uns über unsere Vorhaben auszutauschen. Die beste Art und Weise, etwas vorherzusagen, ist, jemanden zu fragen, der schon mal da war! Wenn man sich fragt, wo man im nächsten Monat Urlaub machen will, so ist es das Beste, jemanden zu fragen, der dort schon mal Urlaub gemacht hat. Denn der weiß, wie es da ist. Oder wenn man sich fragt, welche Karriere man einschlagen möchte, dann ist es am besten, sich mit jemandem zu unterhalten, der diese Karriere schon gemacht hat. In diesem Sinne stellen wir uns gegenseitig Fragen, geben uns Ratschläge und lernen dann voneinander, ohne selbst erst all diese Erfahrungen machen zu müssen. Und im Grunde bilden wir auf diese Weise auch Kultur, indem wir nicht nur richtige Vorhersagen im Austausch mit anderen treffen, sondern auch Dinge koordinieren sowie die Werkzeuge, mit denen wir die Welt gestalten, und die Gedanken von anderen aufnehmen können. Und meistens sind das auch Sachen, die diese Leute nicht selbst erfahren haben, sondern die sie von anderen erfahren haben, die diese wiederum von anderen erfahren haben. Das kann man beliebig akkumulieren über Generationen. Um dies alles zusammen zu fassen, dominieren wir wohl die Welt durch unseren kollektiven Verstand.

KULTURBUCHTIPPS: Als ich mir selbst die Frage nach dem Unterschied stellte, dachte ich spontan an den Personenbegriff, wie ihn John Locke oder Immanuel Kant vor über 200 Jahren formulierte, nämlich als die Fähigkeit, sich selbst als sich selbst an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten zu denken. Und dazu kommt natürlich auch der Aspekt der menschlichen Kommunikation mittels einer  offenen Sprache, die nicht situationsgebunden ist und über rein emotive Inhalte hinaus zum Austausch komplexer Informationen dient.

THOMAS SUDDENDORF: Das stimmt. Die Sprache der Tiere besteht meistens aus einer Handvoll von Signalen, mit denen sie umgehen. Das sehen wir auch, wenn wir versuchen, den Tieren Teile oder Funktionen unserer Sprache beizubringen, beispielsweise in der Affensprache durch Gestiken. Diese Gebärdensprache ist einerseits sehr erfolgreich mit Hunderten von Symbolen; andererseits stellen die Tiere uns keine Fragen. Dieses Phänomen, das für den Menschen ja fundamental wichtig ist, ist bei den Tieren offenbar nicht vorhanden. Das Interesse sich auszutauschen ist einfach nicht da. Die meisten Aussagen, die Tiere treffen, sind im Imperativ formuliert – etwa „Gib´ mir Banane!“. Es gibt also sehr wenige Anzeichen dafür, dass sich die Tiere fragen, was in Deinem Kopf vorgeht. Was mir Menschen natürlich permanent machen. Was auch wir beide gerade hier machen und was natürlich auch fundamental für unser Sozialleben ist. Wir tauschen Erfahrungen aus und stärken dadurch unsere sozialen Bindungen, so wie andere Primaten dies durch gegenseitige Fellpflege machen.

KULTURBUCHTIPPS: Spannend fand ich in diesem Zusammenhang auch Ihren Gedankengang, was Quantität und Qualität betrifft: Darwin war ja davon überzeugt, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier im Grunde nur ein gradueller ist. Sie meinen hingegen, dass auch graduelle, also quantitative Unterschiede an einen bestimmten Punkt gelangen können, wo sie in qualitative Unterschiede umspringen, so dass man von einem kategorischen Unterschied sprechen muss.

THOMAS SUDDENDORF: Ja, das kann man auch überall beobachten. Das Beispiel, das ich in meinem Buch nenne, ist der Zusammenhang von Wasser und Temperatur. Ab einem gewissen Temperaturstand ändert sich der Aggregatzustand des Wassers und es entsteht Wasserdampf oder Eis. Bezogen auf den Geist kann man sich auch vorstellen, dass die evolutionäre Vergrößerung des Arbeitsgedächtnisses ab einem bestimmten Punkt die Möglichkeit eröffnet, sich beispielsweise auch Gedanken über die Stimmungen des Anderen zu machen oder auch Verschachtelungen, also Zusammenhänge von Zusammenhängen kognitiv zu erfassen.

KULTURBUCHTIPPS: Ein Begriff, der mir völlig neu wahr, habe ich auch aus Ihrem Buch gelernt: Hominini. Bislang kannte ich nur die Hominiden, aber was ist der Unterschied zwischen beiden Begriffen?

THOMAS SUDDENDORF: Heutzutage sagt man Hominini zu den Tierarten, die unsere Vorfahren und Vettern sind seit dem letzten Verwandten, den wir mit dem Schimpansen teilen. Hominiden sind hingegen alle lebenden Großen Menschenaffen und die Hominini. Das klingt ein bisschen kompliziert, hat aber mit den neuesten Erkenntnissen der genetischen Übereinstimmungen zu tun.

KULTURBUCHTIPPS: Die Wissenschaft war ja lange Zeit auf der Suche nach dem „missing link“, dem fehlenden Verbindungsglied zwischen Menschen und Affen gewesen. Im Laufe der Forschung hat man immer mehrere Zwischenformen gefunden, den Australopithecus, den Homo floresiensis und so weiter. Es gab also im Laufe der Evolution eine ganze Reihe von Menschenarten und auch Mischformen, die man archäologisch nachweisen konnte und die nahelegen, dass sich diese Menschenarten tatsächlich auch zeitweilig getroffen haben. Wenn es aber zur gleichen Zeit mehrere Menschenarten gegeben hat, muss man sich fragen, was damals passiert sein könnte. Warum sind heute die Großen Menschenaffen unsere nächsten Verwandten und wie entstand diese Kluft zwischen Mensch und Tier?

THOMAS SUDDENDORF: Die Kluft ist so groß, weil die anderen Hominiden ausgestorben sind.

KULTURBUCHTIPPS: Ja, das ist ja klar.

THOMAS SUDDENDORF: Aber die Leute sind sich dessen gar nicht so bewusst, denn die meisten Menschen stellen sich die Menschwerdung wie eine lineare Entwicklung vom gebeugt laufenden Affen bis zum aufrechten Gang des Homo sapiens vor. Wenn man sich darüber klar wird, dass das Gedankenbild vielmehr ein Baum mit ganz vielen Ästen ist und wir zu jeder Zeit eine Reihe anderer Hominiden zur Seite hatten, dann sieht das plötzlich ganz anders aus. Hätten Sie einen Menschen vor 40000 Jahren gefragt, was ihn von seinem Nächsten unterscheidet, dann wäre ihm das nicht klar gewesen, denn sein Nächster könnte ein Neandertaler oder ein florensiensis gewesen sein oder vielleicht sogar einer der letzten fluarexus. – Warum sind die ausgestorben, das ist natürlich eine komplizierte Frage. Die meisten Lebewesen auf der Welt sind ausgestorben. Die Gründe haben oft mit radikalen Klimaveränderungen oder Vulkanausbrüchen und so weiter zu tun. Aber im Falle der Hominiden müssen wir natürlich auch nach anderen Tätern und nach weiteren Gründen suchen. Wenn wir uns beispielsweise den heutigen Menschen anschauen, so wissen wir, dass er dafür verantwortlich ist, dass sehr viele Tiere aussterben bzw. ausgestorben sind. Darüber hinaus haben wir eine schreckliche Geschichte von Völkermorden, auf die wir verweisen können, und es mag in der Tat so sein, dass wir dies auch schon früher praktiziert haben. Die einzige Tierart, die sich zusammentut, um Mitglieder ihrer eigenen Rasse zu töten, sind die Schimpansen, unsere nächsten Verwandten. Aber letztlich ist das alles nur Spekulation; wir haben keine klare Beweislage, dass wir den Neandertaler ermordet haben. Bei den Neandertalern wissen wir sogar inzwischen, dass wir uns mit ihm vermischt haben. Also ich selbst bin beispielsweise noch zu ungefähr 3 % Neandertaler. Von daher haben wir die Neandertaler vielleicht nicht ganz ausgerottet, sondern vielmehr absorbiert. Wahrscheinlich wird es keine einfache Antwort auf die Frage nach dem Verschwinden der anderen Hominiden geben.

KULTURBUCHTIPPS: Okay, aber wir sind ja Menschen und somit in der Lage, uns verschachtelte Szenarien vorzustellen. Vielleicht wäre es ja denkbar, dass uns das Stichwort Ressourcen einen Hinweis gibt, woran es liegen könnte. In Zeiten oder Territorien mit ausreichenden Ressourcen waren eine friedliche Koexistenz und sogar eine Vermischung von Hominiden denkbar, während es bei knappen Ressourcen zu einem existenziellen Verdrängungsprozess mit tödlichem Ausgang kommen würde. In solchen Konflikten würde eben der besser angepasste, stärkere, intelligentere oder technisch versiertere Menschenschlag überleben und die anderen verdrängen, verjagen oder auch umbringen.

THOMAS SUDDENDORF: Das ist eine sehr realistische Art, dieses Szenario zu beschreiben. Ich denke auch, dass mit Sicherheit über Hunderte oder Tausende von Jahren diese Menschenarten Seite an Seite gelebt haben. Ich war vor drei Jahren in Israel. Dort hat man bei Haifa Höhlen entdeckt, wo Neandertaler und Menschen über 10000 Jahre zusammengelebt haben oder zumindest gekommen und gegangen sind, und wahrscheinlich haben sie sich dort auch vermischt. Ich denke auch, dass unsere Vorfahren lange Zeit die Möglichkeit hatten voneinander zu lernen und zusammen zu leben. Erst als irgendwann die Ressourcen knapp wurden, blieb jeder bei seiner eigenen Gruppe. Und dann kann man sich schon ausmalen, was passiert sein könnte. Aber das sind, wie gesagt, nur Spekulationen, wenngleich mit einer hohen Plausibilität.

KULTURBUCHTIPPS: Auch heute erleben wir den Menschen als den globalen Verdränger. Sie selbst sprechen das ja auch am Ende Ihres Buches noch einmal ganz konkret an, was die Großen Menschenaffen betrifft, die akut vom Aussterben – oder besser: von der Ausrottung durch den Menschen bedroht sind. Es ist wichtig, dass man die Kluft zwischen Mensch und Tier nicht noch weiter vergrößert, sondern endlich beginnt umzudenken. Doch die Gefahr, die vom Menschen ausgeht, betrifft ja leider nicht nur die Menschenaffen, sondern die Natur unseres gesamten Planeten.

THOMAS SUDDENDORF: Die Menschenaffen hebe ich auch hauptsächlich wegen dem Thema meines Buches heraus. Aber natürlich ist es klar, dass wir das leider auch mit anderen Tieren und Ökosystemen genauso machen. Große Fähigkeiten bringen auch große Verantwortung mit sich. Wir haben als Menschen die Möglichkeit, uns Gedanken über unser Handeln zu machen. Wir werden uns immer mehr im Klaren darüber, dass wir die Welt verändern und gefährden. Die positive Wendung davon ist aber auch, dass wir uns bewusst entscheiden können, anders zu handeln. Wir können uns entscheiden, unser Verhalten zu ändern und beispielsweise kein Elfenbein mehr zu kaufen. Solche Aktionen sind natürlich notwendig, um falsche Entwicklungen zu stoppen. Ob das klappt, ist natürlich eine andere Frage; aber es war mir wichtig, darauf hinzuweisen und mein Buch mit einer positiven Note zu beenden, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass wir in der Lage sind, etwas zu ändern und es besser zu machen, als wir es in der Vergangenheit gemacht haben.

KULTURBUCHTIPPS: Ich finde Ihr Buch insgesamt wirklich sehr horizonterweiternd, weil es die Kluft zwischen Mensch und Tier bewusst macht und die Frage zu beantworten versucht, wie diese Kluft entstanden sein könnte. Man stellt sich ja schon diese Frage, es sei denn, man kommt aus dem kreationistischen Lager, aber da stellt man ja sowieso keine Fragen. Wir sehen die Gemeinsamkeiten von Menschen und Menschenaffen, und trotzdem geht die Sicht auf die Kluft zwischen beiden normalerweise verloren. Hier hilft ihr Buch, sich mit der Frage nach den möglichen Ursachen für diese Kluft zu beschäftigen und einzusehen, dass es wahrscheinlich durchaus menschliche Gründe für die Entstehung dieser Kluft geben könnte.

THOMAS SUDDENDORF: Ich hoffe auch, dass mein Buch einigen Leuten die Augen öffnen kann. Es geht ja letztlich um unseren Platz in der Natur. Ich möchte ja auch meinen Kindern unsere Welt erklären, ohne auf Wunder, Götter oder Außerirdische zurückgreifen zu müssen. Ich denke, wir kommen dem schon ein gutes Stück näher, wenn wir das rational betrachten und plausibel argumentieren können.

KULTURBUCHTIPPS: Diese Perspektive betont ja letzten Endes auch unsere menschliche Verantwortung gegenüber unserer eigenen Spezies und dem gesamten Planeten. Die Geschichte des Menschen ist ja ein Prozess, der immer noch weitergeht.

THOMAS SUDDENDORF: Genau. Diese beiden Merkmale, die ich als typisch menschliche Fähigkeiten identifiziert habe, entwickeln sich ja ebenfalls weiter. Wir werden ja immer besser darin, die Zukunft vorherzusagen, wir machen mathematische Modelle und können Prognosen abgeben, wann natürliche Ressourcen ausgehen werden und so weiter; und wir tauschen uns natürlich immer besser darüber aus: Wir kommunizieren über den gesamten Planeten mit Hilfe des Internets in Sekundenschnelle, was noch vor einer Generation völlig unmöglich gewesen ist. Wir haben also heute die Möglichkeiten uns auszutauschen; wenn wir feststellen, dass ein Verhalten negative Konsequenzen für alle hat, können wir dies kommunizieren und entsprechend anders handeln. Wir können andere darüber sehr schnell in Kenntnis setzen und dann gemeinsam an einem Strang ziehen; das ist schon eine technische Möglichkeit, die wir so früher nicht hatten. Somit besteht auch Grund zur Hoffnung, dass wir dies dann vielleicht auch tun.

KULTURBUCHTIPPS: Wir Menschen sind zu viele und haben alle technologischen Möglichkeiten, sowohl Gutes als auch Schlechtes zu tun. Deshalb sind wir genötigt, vernünftig zu handeln. Somit kommen wir am Ende doch wieder zu Kant zurück und enden mit der menschlichen Vernunft, die ihre Menschlichkeit darin beweist, dass sie aus Pflicht und somit moralisch handelt. – Herr Suddendorf, ich bedanke mich für dieses interessante Gespräch!

THOMAS SUDDENDORF: Ich danke Ihnen!