Der Schotte James Webb lebte nur von 1946 bis 1980. Er studierte am Trinity College in Edinburgh und erwarb sich umfassende Kenntnisse in europäischen Sprachen und neuer Geschichte. Webb war Ideenhistoriker.
In seinem Buch „Das Zeitalter des Irrationalen“ (The Occult Establishment) untersucht er die Geschichte und die kulturellen Hintergründe von Leitideen der modernen Gesellschaft. Dabei ist sein Thema durchgehend das Irrationale, die Neigung zum Okkulten und Mystischen in Kultur, Literatur, Politik und Wissenschaft, die er seit der Mitte des 19. Jahrhunderts am Werk sieht und als im Grunde obskurantistische Gegenbewegung zur Aufklärung versteht.
Webb hatte begriffen, dass Okkultismus substantiell eine Befreiungsbewegung ist. Seine Wirkung auf Politik und Gesellschaft wurde niemals zuvor so eingehend erforscht wie durch den Autor. – Webb: „Ich entdeckte bald, dass trotz der ungeheuren Fülle an Material über dieses Thema bisher niemand die Mühe auf sich genommen hat herauszufinden, was „das Okkulte“ in Wirklichkeit ist.“
Bemerkenswert ist hierbei, dass Webb in seiner Untersuchung des Okkulten den Blick von der Ideengeschichte auf die Sozialgeschichte lenkt. Ihn interessieren nicht allein die Ideen und Überzeugungen als solche, sondern als Ausdruck der Lebenswirklichkeit bestimmter Menschen. Seine Forschungen belegen einen sozialen Zusammenhang zwischen der Bohème-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts und dem aufstrebenden Okkultismus in Kunst und Literatur.
Webb kommt zu der Erkenntnis, dass es sich beim Wirkungsbereich des Okkulten letztlich um einen Dreiklang aus Politik, Kunst und Gesellschaft handelt. Innerhalb dieses Spannngsfeldes existiert das Okkulte.
Einen weiteren Schwerpunkt dieses Buches nimmt der Zusammenhang zwischen russischen und baltischen Exilanten, die nach 1917 nach Westeuropa kommen, und dem aufkeimenden Antisemitismus und Nationalsozialismus zu jener Zeit auf.
Webbs Analyse und Epistemologie des Okkulten im 20. Jahrhundert ist eine unglaublich vielschichtige Studie mit einer beeindruckenden Quellenvielfalt und –kenntnis. Das Sachregister am Ende des Buches ist 17 Seiten lang.
Der Autor gibt einen kulturhistorischen Einblick in die verschiedenen okkulten und spiritistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts und zeigt auch ihre internationale Verflechtung. Die Anthroposophie um Rudolf Steiner und ihre Verzahnung mit anderen esoterischen und naturalistischen Bewegungen wird ebenso analysiert wie die okkulten Wurzeln des aufkeimenden Nationalsozialismus.
Zentraler Punkt des 600 Seiten starken Buches sind die obskurantistischen und okkultistischen Strömungen im Deutschland der 1920er Jahre und ihr Einfluss auf den erstarkenden Nationalsozialismus. Eine weitere, sehr interessante Studie zu den Verflechtungen von Okkultismus und Nationalsozialismus hat übrigens Nicholas Goddrick-Clarke in seinem Buch „Im Schatten der schwarzen Sonne“ vorgelegt, dessen Rezension Sie hier lesen können.
Mit dieser Buchausgabe wird zum ersten Mal eines der wichtigsten Bücher zur Erforschung des Okkulten und seine Bedeutung für Politik, Kultur und Gesellschaft in deutscher Sprache zugänglich gemacht.
Hinweis: In Kürze wird im Marixverlag auch das zweite Hauptwerk von James Webb erscheinen: „The Occult Underground“, das sich mit den okkulten Strömungen des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Mehr dazu demnächst.
Wer sich für die Zusammenhänge und den Einfluss interessiert, den die obskurantistischen und okkultistischen Bewegungen auf die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Strömungen des 20. Jahrhunderts ausübten, der wird dieses Buch mit Gewinn lesen.
Autor: James Webb
Titel: „Das Zeitalter des Irrationalen“
Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
Verlag: Marixverlag
ISBN: 3865391524
EAN: 978-3865391520