Es ist doch eigentlich schön, dass das Internet so unglaublich viele Informationen für jeden bereit hält; dass man jederzeit und überall die neuesten Nachrichten, lexikalische Inhalte, Fotos, Videos, Musik, wissenschaftliche Daten bis hin zu ganzen Büchern einfach online abrufen, downloaden und konsumieren kann – ohne dafür auch nur einen Cent zu bezahlen.
Natürlich ist das schön, und es ist im Grunde auch wünschenswert, das Internet als ein wirklich basis-demokratisches Medium zu erhalten – kostenlos und für alle zugänglich. Aber haben wir nicht alle längst diese „Geiz ist geil“-Mentalität so sehr verinnerlicht, dass wir gar nicht mehr bereit sind, Leistungen anzuerkennen und mit einem realen Gegenwert (Geld) zu honorieren?
Wenn wir aber einmal darüber nachdenken, wie all diese Informationen ins Netz gelangen, wer sie einstellt, pflegt und aktualisiert; wenn wir dann noch überlegen, wer wie davon leben kann, diese Daten einzuspeisen und einer weltweiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, dann wird schnell klar, dass hier eine Diskrepanz zwischen den Interessen des Urhebers und den Interessen des Verbrauchers herrscht – eine Diskrepanz, die noch ihrer globalen Lösung harrt.
Es geht ein Gespenst um in der Welt; es ist das Gespenst des Medien-Prekariats, das Gespenst der globalen Enteignung der Urheber medialer Inhalte und ihrer fehlenden oder prekären Entlohnung.
Sehen wir uns einmal genau an, wer – einmal abgesehen von den großen multinationalen Medienkonzernen und den vielen Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Interessen Informationen und Leistungen ins Internet stellen – an der Erstellung von Online-Inhalten aus welchen Motiven beteiligt ist.
Gisela Schmalz ist Professorin für Medienökonomie und erforscht am Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) die Strategien internationaler Medien- und Online-Konzerne (www.medienpolitik.eu). Die Frau weiß also, wovon sie spricht, und sie fasst in ihrem neu erschienenen Buch „No Economy“ die Motive der Inhalte-Lieferanten zu folgenden Gruppen zusammen:
- Geschenkökonomie: „Ich schenke der Welt etwas (Inhalte) und möchte dafür geliebt werden.“
- Aufmerksamkeitsökonomie: „Seht her, ich bin toll!“
- Hobbyökonomie: „Das ist mein Hobby, und Ihr sollt alle etwas davon haben.“
- Tauschökonomie: „Wenn ich Dir das hier gebe, dann möchte ich auch jenes dafür haben.“
- Wissensallmende: „Ich bin ja so schlau. Dieser Lexikonbeitrag ist von mir!“
Man kann unschwer erkennen, dass Eitelkeit, Selbstdarstellungsdrang und Gier – also menschliche Schwächen – hier ihre Ausformung und ihr Plätzchen im multimedialen Netz gefunden haben. Zu jedem Topf findet sich eben auch irgendwann ein Deckel.
Aber alle Motive, kostenlos Inhalte ins Netz zu stellen, haben eines gemeinsam: Sie haben nichts mit Ökonomie im eigentlichen Sinn zu tun.
Wie sieht es aber nun mit all denen aus, die als Selbständige und Freiberufler, als Journalisten, Texter, Grafiker, Musiker, Schriftsteller usw. von ihrer Arbeit leben müssen?
Genau hier sieht die Autorin das Hauptproblem. Das Internet in seiner heutigen Form ist unwirtschaftlich und damit für Freiberufler, kleine und mittlere Unternehmen als Medium für die Vermarktung völlig ungeeignet. Hier ist nicht die Rede von Online-Shopping und dem Internet als Vertriebsweg für Waren aller Art. Gisela Schmalz legt in ihrer umfassenden Betrachtung den Fokus auf digitale Inhalte und deren freie Verfügbarkeit.
Der Normal-Surfer ist nicht bereit, für eine Sache Geld zu bezahlen, die er gleich an der nächsten Ecke (sprich: URL) kostenlos haben kann. Diesen Effekt kennt jeder aus eigener Erfahrung. Ja selbst der kleine Klick in die Illegalität wird nicht gescheut, wenn man den aktuellen Song, anstatt ihn im Online-Store zu kaufen, doch eben mal schnell in einer illegalen Tauschbörse bequem und kostenfrei downloaden kann.
Das Internet hat sich sein Image als kostenloses Schlaraffenland schwer erarbeitet und bewahrt. Immer wieder gab und gibt es Bestrebungen, mit Hilfe von Micropayment-Systemen wenigstens Kleinstbeträge für geschützte Inhalte vom Leser/Hörer/Käufer zu erbitten – bis auf wenige Nischenbeispiele bislang erfolglos.
Wenn wir nun diese prekäre Lage zu Ende denken, dann wird schnell klar, dass sich eigentlich nur die ganz Großen das kostenlose Einstellen und Verfügbarmachen hochwertiger digitaler Inhalte leisten können. Oft sind diese Inhalte nur Digital-Versionen und andere Aggregat-Zustände bereits existenter Informationen: Das Internet wird so zur Plattform der Selbstdarstellung und Werbung großer Unternehmen.
Am anderen Ende der Skala sind die Laien, die Hobby-Blogger, -Musiker, -Maler, -Videokünstler. Die von ihnen produzierten Inhalte sind interessant, unterhaltsam, oftmals sogar richtig gut und kompetent. Aber es sind keine Profis, die hier Inhalte ins Netz stellen.
Nach 20 Jahren World Wide Web besitzen etwa 1,5 Milliarden Menschen einen Internetzugang. Immer mehr Normalbürger vernetzen sich über das Internet, konsumieren Informations- oder Unterhaltungsinhalte und wickeln zunehmend Geschäfte mit digitalen oder physischen Gütern sowie Dienstleistungen ab.
Während der Handel mit Waren, DVDs oder Reisen über das Web für viele Unternehmen profitabel ist, hat sich noch kein nennenswerter Markt für „digitale Leistungen“ gebildet.
Musik, Nachrichten, Blogs, Computerprogramme, Fotos, Online-Spiele – kreative Leistungen werden vor allem gratis und zum Nutzen der „Global Player“ wie Google nachgefragt.
Der Aufbau von fairen Mikromärkten, in denen sich Anbieter und Nutzer mit Qualitätsinhalten versorgen und entlohnen, ist der einzige Weg, um das Internet nicht vollends den Monopolisten als Spielwiese und globalen Absatzkanal zu überlassen.
Die Vielfalt der kreativen Leistungen muss erhalten bleiben. Dies kann auf Dauer nur funktionieren, wenn die Medienarbeiter und Inhalte-Produzenten für ihre Arbeit einen Gegenwert erhalten. Niemand kann auf Dauer ohne Vergütung arbeiten, und die Honorierung der „Freien“ durch die Medien ist mehr als bescheiden. Davon kann man nicht leben, und ohne finanzielle Grundsicherung stirbt letztlich auch die Kreativität.
Wenn es gelänge, das Internet auch für Kreative wirtschaftlich attraktiv zu machen, könnte dieses „Wundervolle Weltweite Web“ zu einem globalen Wirtschaftsgebiet werden, in dem Kreativität und Vielfalt herrschen. Auf diese Weise wird aus dem Internet – ganz im demokratischen Sinne des Web-2.0-Gedankens – nicht nur ein interaktives Abbild unserer Gesellschaft, sondern auch ein virtueller Wirtschaftsraum, der Millionen von Klein-Anbietern eine reale Existenzgrundlage bieten könnte.
Wenn es nicht gelingt, diesen Paradigmenwechsel im Verständnis von Leistung und Gegenwert zu vollziehen, dann werden die Monopolbestrebungen der Großkonzerne wie Google, Microsoft & Co. weiter erfolgreich sein, bis das Internet eines nicht mehr allzu fernen Tages in der Hand weniger Medienkonzerne liegt, die dann mit diesem Netz machen können, was ihnen gefällt.
Die Autorin hebt in „No Economy“ nicht nur warnend den Zeigefinger sondern zeigt auch alternative Lösungswege auf und regt mit ihrem ausführlichen Report zur Lage des Internets zu einer öffentlichen Diskussion an. Noch ist es Zeit, sich Gedanken über ein neues Verständnis von „Fair Trade“ in der Online-Welt zu machen. Das Buch „No Economy“ von Gisela Schmalz liefert eine solide Grundlage für einen solchen Gedankenaustausch.
Autor: Gisela Schmalz
Titel: „No Economy – Wie der Gratiswahn das Internet zerstört.“
Broschiert: 224 Seiten
Verlag: Eichborn Verlag
ISBN: 3821857072
EAN: 978-3821857077