Kai Diekmann: „Der große Selbstbetrug“

Kai Diekmann: "Der große Selbstbetrug"Was will uns der Autor sagen? – Diese Frage des Deutschlehrers haben wir alle noch gut in Erinnerung. Wenn man dieses Buch von Kai Diekmann gelesen hat, stellt man sich dieselbe Frage.

Kai Diekmann ist ja kein Unbekannter. Als Chef-Redakteur der BILD-Zeitung weiß Diekmann genau, was die Leute umtreibt, was sie denken – und was sie lesen wollen. Genau so liest sich sein Buch, in dem uns der Autor sagen will, „wie wir um unsere Zukunft gebracht werden“ (Untertitel).

Der Klappentext gibt ja schon eine Anleitung zum richtigen Lesen. O-Ton Diekmann: „Dieses Buch ist mit heißem Herzen geschrieben, weniger mit kühlem Kopf. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auf Ausgewogenheit oder Objektivität. Meine Worte sind nicht mit der Goldwaage gewogen, meine Sätze nicht abgestimmt mit den politisch Korrekten im Land. Es ist eine Attacke ohne Rücksichten – auch ohne Rücksichten auf mich selber.

Das klingt fast wie eine perfekte Beschreibung des redaktionellen Stils der BILD-Zeitung selbst: immer sehr knapp und plakativ, oft pauschalisierend, manchmal auch provokativ und doch immer der politisch indifferenten Masse direkt aus dem Herzen gesprochen. BILD-Zeitungssprache ist Mehrheitssprache und Meinungsbild(ner) der Mehrheit in unserem Land. Schön ist das nicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Wenn man das Buch von Diekmann liest, dann fühlt man sich mit ihm wie beim Stammtisch. Ein frisch gezapftes Bierchen oder Glas Rotwein vor der Nase und eine politische Schwarz-Weiß-Diskussion an der Backe.

Diekmann hat zu allem eine klare Meinung, und das ist schade. Man wünschte ihm ein wenig mehr Reflektion und Nachdenklichkeit. Es liegt nämlich in der Natur der Sache, dass die meisten Probleme in unserer Welt eben nicht nur eine sondern meist mehrere Ursachen haben und dass es genau so auch nicht immer nur eine sondern mehrere mögliche Lösungswege gibt.

Aber vielleicht ist es ja auch gar nicht Diekmanns Absicht, den Leser zur Diskussion zu ermutigen. Womöglich geht es eher um die Selbstdarstellung eines wichtigen Mannes, der an einer wichtigen Schaltstelle der Macht in unserem Land sitzt.

Sicherlich besitzt Diekmann genug Distanz zu diesen Themen, um ihre Komplexität zu erkennen, und gewiss ist er auch diskursfähig. Aber vielleicht möchte er ja auch einfach nur seinen Frust über die Missstände in unserer Gesellschaft, über die Schieflage des sozialen Systems, über die Fehlentscheidungen in Politik und Wirtschaft im Allgemeinen und in der Toleranzpolitik gegenüber Fundamentalisten im Besonderen los werden. Damit wäre er heutzutage in guter Gesellschaft.

Wenn man sein Buch genau unter diesem Gesichtspunkt liest, dass da Einer endlich mal auf den Tisch hauen und aufschreiben will, wie es denn wirklich zugeht in unserem Land, dann ist Kai Diekmanns Buch „Der große Selbstbetrug“ eine wundervolle und kathartische Lektüre, die dem Leser oft genug dazu Gelegenheit gibt, selbst Dampf abzulassen und zustimmend mit dem Kopf zu nicken.

Was Diekmanns wütender Rundumschlag jedoch leider vermissen lässt, sind Vorschläge für eine weiterführende Diskussion. Der Fotograf lässt Diekmann auf dem Cover des Buches zornig und mit vor der Brust verschränkten Armen direkt in die Kamera blicken. Wer so dasteht, hat einen Standpunkt, aber er handelt nicht. Er sagt nur: „Man müsste mal…“, lässt jedoch den Lösungsweg zu einer besseren, gerechteren und wertebewussteren Gesellschaft offen. Schade eigentlich.

Autor: Kai Diekmann
Titel: „Der große Selbstbetrug“
Broschiert: 253 Seiten
Verlag: Piper
ISBN: 3492253938
EAN: 978-3492253932

Bei AMAZON kaufen


Bei LIBRI kaufen