Bernd Brunner: „Die Kunst des Liegens – Handbuch der horizontalen Lebensform“

Etwa ein Drittel unseres Lebens verbringen wir schlafend. Wenn wir dann noch jene vor allem im Liegen möglichen Aktivitäten mitrechnen, deren Spektrum vom entspannten Dösen und Tagträumen bis zu körperlichen Höchstleistungen des Geschlechtsverkehrs reicht, so wird klar, dass wir einen nicht unerheblichen Teil unseres Lebens im Liegen verbringen.

Bernd Brunner ist Journalist und Autor einiger sehr schöner Sachbücher zu solch unterschiedlichen Themen wie dem Mond, dem Weihnachtsbaum, dem Verhältnis von Mensch und Wolf oder einer Kulturgeschichte des Aquariums. So verwundert es nicht, dass auch seine „Kunst des Liegens“ ein wunderschönes, lehrreiches und gut zu lesendes Sachbuch geworden ist.

Der Titel „Die Kunst des Liegens“ wird die älteren Leser leicht an Erich Fromms Bestseller „Die Kunst des Liebens“ erinnern – eine Ähnlichkeit, die der Autor bewusst gewählt hat, wenngleich seinem Buch zum Glück die Schwere und wissenschaftssprachliche Trockenheit des Frommschen Werkes fehlt. Im Gegenteil ist die Lektüre von Brunners Buch über die Kunst der horizontalen Lebensweise ein sowohl ästhetisches Vergnügen als auch eine unterhaltsame und das Wissen erweiternde Beschäftigung, der man natürlich am besten im Liegen nachkommen sollte.

Wie man sich bettet, so ruht man“ lautet eine Redensart, deren eigentlicher Sinn sich dem Autor entzieht, wie er in seinem Gespräch mit Kulturbuchtipps auf der Frankfurter Buchmesse 2012 sagt. Vielleicht in einer Würdigung des rationalen Denkens und vorausschauenden Handelns liegen mag: Wer sein Bettchen gut und bequem gemacht hat, wird besser schlafen als jener, der sich einfach unkontrolliert in seine Koje fallen lässt.

Brunner hat viele interessante Fundstücke über die Kunst des Liegens zusammen getragen. So lernen wir in seinem Buch nicht nur eine Menge über die verschiedenen Liegevariationen (in der Natur, auf Reisen, auf dem Krankenlager, beim Essen), sondern erhalten natürlich auf zahlreiche Einblicke in die Geschichte des Liegens, die Kulturgeschichte des Bettes usw.

Wir machen Bekanntschaft mit solch skurrilen Erfindungen wie Dittmanns patentierter Schaukelwanne oder der „Mitchell-Playfair’schen Mastkur“, die man Kranken noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts angedeihen ließ, die zum Zwecke ihrer Gesundung mehrere Wochen in einen liegenden Ruhezustand versetzt und mit Milch, Suppe, Malzextrakt usw. – nun ja, gemästet wurden. Wer das überlebte, wurde wahrscheinlich irgendwann auch wieder gesund.

Es war vor allem die allgegenwärtige Rede vom Burnout-Syndrom, von der Erschöpfung und dem uns alle im Alltag mitreißenden Tempo unserer Zeit, die Bernd Brunner auf die Idee kommen ließ, ein bewusstes Gegengewicht zu suchen und sich mit dem Liegen zu beschäftigen. Wer liegt wann, wo, wie, mit wem und warum? Die klassischen Fragen, die uns alle beschäftigen oder beschäftigen sollten.

Die Idee zu diesem Buchprojekt formte sich auch durch Brunners Auseinandersetzung mit französischen Sachbüchern wie der fünfbändigen „Geschichte des privaten Lebens“ von Philippe Aries und Georges Duby oder der „Kulturgeschichte des Bettes“ von Pascal Dibie. Ausgehend von diesen Anstößen, begann der Autor, seine Idee zu einer Kulturgeschichte des Liegens zu entwickeln.

Wenn man plant, ein Sachbuch zu schreiben, so beginnt man meist, indem man Informationen zu dem betreffenden Thema sammelt. So verfuhr auch Bernd Brunner bei der Konzeption seiner kleinen Kulturgeschichte der horizontalen Lebensform. Am Ende hat an mehr Material als Platz zur Verfügung. Alles kann man nicht unterbringen.

Auf die Frage, welche Anekdote ihm einfiele, die mit dem Liegen zusammen hänge, jedoch nicht in sein Buch aufgenommen wurde, nannte der Autor in unserem Gespräch einerseits ein Bonmot von Truman Capote, der sich selbst als „horizontalen Autor“ bezeichnete, weil er viele Texte im Liegen geschrieben hatte, und andererseits die interessante Praxis der Bewohner der Osttürkei, während der heißen Sommermonate ihre Betten einfach nach draußen auf die Dächer ihrer Häuser zu verlegen, weil es in den Häuser auch nachts viel zu heiß sei.

Brunner, der eigentlich aus Berlin stammt, hält sich zurzeit oft und länger in Istanbul und in der Türkei auf und schreibt gerade an seinem neuen Sachbuch. Worum es darin geht, möchte er nicht verraten. Das muss er auch nicht, denn mittlerweile hat er sich als hervorragender Sachbuchautor einen Namen gemacht, so dass man zurecht vermuten darf, dass auch der „nächste Brunner“ wieder ein faszinierendes Sachbuch sein wird, das zu lesen ein intellektuelles Vergnügen sein wird.

Wenn Sie „Die Kunst des Liegens“ für ein spannendes und lohnenswertes Thema halten, liegen Sie richtig. Lesen Sie es – am besten im Liegen!

Das vollständige Interview mit Bernd Brunner auf der Frankfurter Buchmesse 2012 können Sie hier lesen.

Autor: Bernd Brunner
Titel: „Die Kunst des Liegens – Handbuch der horizontalen Lebensform“
Gebundene Ausgabe: 167 Seiten
Verlag: Galiani, Berlin
ISBN-10: 3869710519
ISBN-13: 978-3869710518