Jane Austen: „Lady Susan“

Im vierten Jahr nach der Französischen Revolution von 1789, während in Deutschland der Klassizismus durch Goethe und Schiller in voller Blüte steht, sitzt eine 18jährige Engländerin im Pfarrhaus eines kleinen Dorfes in der südenglischen Grafschaft Hampshire und schreibt einen Briefroman.

Angeregt durch „Pamela“ und „Clarissa“, die ungemein erfolgreichen Briefromane Samuel Richardsons, die bereits vor einem halben Jahrhundert erschienen waren, und vielleicht auch ausgelöst durch die eigene Lektüre der vor wenigen Jahren in englischer Übersetzung erschienenen „Gefährlichen Liebschaften“ des Franzosen Choderlos de Laclos, schreibt die junge Autorin ihren ersten und einzigen Briefroman – zu einer Zeit, in der diese Form des Romans längst durch neue Formen abgelöst worden war.

„Lady Susan“ ist Jane Austens erster Roman, und er war vielleicht niemals für eine Veröffentlichung vorgesehen. Doch wir verdanken es den unermüdlichen Anstrengungen der Austen-Forschung, dass wir nun diesen kleinen Briefroman auch in einer neuen deutschen Übersetzung in den Händen halten dürfen.

Die Arbeit des Übersetzers ist von dem Vorsatz getragen, dem Original in seiner künstlerischen Form gerecht zu werden und gleichzeitig den Inhalt möglichst nahe bei der erzählten Geschichte zu belassen. Entscheidend ist die Einfühlung des Übersetzers in den Text sowie sein Vermögen, sich in den Autor hinein zu versetzen und seiner ursprünglichen Schreibintention nachzuspüren. Übersetzen ist ein hermeneutischer Prozess mit ungewissem Ausgang. Dass dieser Übersetzungsprozess im Fall von „Lady Susan“ gelungen ist, ist der Übersetzerin Ilse Leisi zu verdanken und darf den deutschen Leser erleichtert aufatmen lassen.

Es ist eine nette kleine Geschichte, die durch die Fokussierung auf die intriganten Züge und die Doppelbödigkeit der Kommunikation dieser wenigen Charaktere unterhält und auch in der eher schwierigen und steifen Vorgaben unterliegenden Form des Briefromans bereits jene distanzierte Erzählinstanz mit dem ironischen Unterton erkennen lässt, die Jane Austen für ihr literarisches Werk weltweit berühmt gemacht hat.

Der Briefroman gibt eine Struktur vor, in der die Geschichte erzählt und die Handlung vorangetrieben werden muss. Schwierige formale Hürden, wie zum Beispiel die Einführung in die Erzählwelt zu Beginn der Geschichte, meistert Jane Austen ohne erkennbare Mühen.

Auch die Geschichte von „Lady Susan“ spielt in jener hermetischen Abgeschlossenheit des englischen Bürgertums, die einerseits durch feste Moralvorschriften und andererseits durch eine über die verfeinerte Kommunikation transportierte sexuelle und erotische Freizügigkeit der Frauen geprägt ist.

Jane Austen ist neben den Bronte-Schwestern und George Eliot die wichtigste Autorin des frühen 19. Jahrhunderts, die für die literarische Ausformung dieses neuen Frauenbildes verantwortlich zeichnet. Ihre Liebesromane werden zu Recht ein fester Bestandteil der Weltliteratur, und „Lady Susan“ lässt bereits die ersten Ansätze ihres erzählerischen Talents erkennen.

„Lady Susan“ ist für Jane-Austen-Fans ein Muss und eine unterhaltsame Lektüre für die Freunde der klassischen englischen Literatur. Jane Austens „Erstling“ von 1793/94 in deutscher Übersetzung von Ilse Leisi.

Autor: Jane Austen
Titel: „Lady Susan“
Taschenbuch: 176 Seiten
Verlag: btb Verlag
ISBN-10: 3442743834
ISBN-13: 978-3442743834