„Setz’ dich anständig hin! Hör’ auf, in der Nase zu popeln und mit dem Stuhl zu kippeln! Hände auf den Tisch! Spiel’ nicht mit dem Essen!“ – Mit diesen Regeln sind wir aufgewachsen, und natürlich wissen wir, wie man anständig mit Messer und Gabel isst. Aber reicht das wirklich aus?
In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zum Credo einer ganzen Generation geworden ist, die es endlich geschafft hat, sich Schritt für Schritt aus der fleischfressenden Bewusstlosigkeit der schlemmenden Nachkriegsjahre zu befreien und bewusster mit der eigenen Ernährung und den Ressourcen der Umwelt umzugehen, ist es einfach nicht mehr anständig, weiter auf dem täglichen Fleischkonsum zu bestehen.
Wir können nicht weiterhin nur essen, was auf den Teller kommt, ohne zu fragen, woher das Fleisch stammt und welche ökologischen und ethischen Schäden es auf Seiten der Umwelt und des Fleischlieferanten erzeugt. Wir sollten uns ernsthaft mit den Aufzuchtsbedingungen der Tiere und mit der Ökobilanz der Erzeugung von Fleischprodukten beschäftigen, bevor wir herzhaft in ein Schnitzel beißen. Alles Andere wäre nicht anständig.
Anstand ist ein altes, ziemlich aus der Mode gekommenes Wort. In Grimms Wörterbuch wird Anstand vom althochdeutschen Wort „anastantida“ hergeleitet, was auf die lateinische „constantia“ zurückgeht. Anstand hat also auch mit Beständigkeit – neudeutsch: Nachhaltigkeit – zu tun und ist also etwas, das einem „gut ansteht“.
Die aus Hamburg stammende Schriftstellerin Karen Duve lebt (laut Klappentext des vorliegenden Buches) mit einem Maultier, einem Pferd, einem Esel, zwei dicken Katzen und mehreren Hühnern auf dem Lande in der Märkischen Schweiz. Unter ihren Mitbewohnern sind also eine ganze Reihe von Kandidaten, die durchaus auch (ganz oder teilweise) auf dem Teller landen könnten. Das sensibilisiert für die Problematik der Tierproduktion.
Ausschlaggebend für den Selbstversuch der Autorin, sich „anständig“ zu ernähren, war jedoch Kerstin, die Mitbewohnerin ihres Hauses in Brandenburg. Kerstin hat den Spitznamen Jiminy Grille bekommen – nach der kleinen Grille in Disneys Pinocchio-Verfilmung, die ständig Pinocchio ins Gewissen redet. Kerstin hat die Angewohnheit, Karen Duves Essgewohnheiten zu kommentieren. Als Kreuzbergerin isst Kerstin natürlich überwiegend vegetarisch und bio, während die Autorin gerne mal eine Hähnchenpfanne in der Aluschale goutiert.
Aus der regelmäßigen nervenden Diskussion über das Essen erwächst im Rewe-Supermarkt der Entschluss der Autorin, ein besseres Leben zu führen, indem sie versucht, auf die eigene Ernährung zu achten. So beginnt im Dezember 2009 eine einjährige kulinarische Odyssee, bei der es eine Menge scharfer Klippen zu umschiffen und den lockenden Gesängen der Fleischproduzenten zu entsagen galt.
Der Bericht dieses Selbstversuches ist sehr unterhaltsam und mit einer großen Prise Selbstironie geschrieben. Karen Duve gehört seit vielen Jahren zur Riege der erfolgreichen Schriftstellerinnen unserer Zeit; ihre Bücher haben ihr mehrere Preise eingebracht. Das bedeutet zwar noch lange nicht automatisch, dass jemand gut schreiben muss, um solche Preise zu erhalten, aber bei Karen Duve ist dies zum Glück der Fall.
So ist „Anständig essen“ nicht nur ein sehr lehrreiches Buch, das dem Leser helfen wird, das eigene Ess- und Kaufverhalten genauer zu betrachten, sondern auch eine spannende und schnell lesbare Lektüre. – Seit kurzem gibt es „Anständig essen“ auch als Goldmann-Taschenbuch, und so steht einer preisgünstigen und nachhaltigen Lektüre nun wirklich nichts mehr im Wege.
Autor: Karen Duve
Titel: „Anständig essen – Ein Selbstversuch“
Taschenbuch: 336 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (18. Juni 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 344247647X
ISBN-13: 978-3442476473