Die Autoren haben eine Meisterleistung vollbracht. In jahrelanger Kleinarbeit haben sie hunderte von Zeitzeugen befragt und deren Geschichten zusammengetragen. Der gelernte Psychologe Yury Winterberg arbeitet als Redakteur und freier Journalist und ist Mitbegründer der LE Vision Film- und Fernsehproduktion. Diese Produktionsfirma befasst sich mit Dokumentarfilmen und arbeitet seit 1993 für Film und Fernsehen. So wurde auch die vierteilige Dokumentar-Reihe „Kriegskinder“ mit der Beteiligung der LE-Vision produziert. Sonya Winterberg lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin und Finnland.
Sowohl in der vierteiligen Doku-Reihe (Erstausstrahlung im Frühjahr 2009 in der ARD) als auch im vorliegenden Begleitbuch ist den Autoren ein packendes Zeitdokument gelungen, das ein bislang nicht ausreichend behandeltes Thema anpackt: die traumatisierenden Kindheitserlebnisse der Kriegskinder-Generation.
„Kriegskinder – Einnerungen einer Generation“ gibt nun jener altgewordenen Generation die Gelegenheit, die eigene Stimme zu erheben und als letzte Überlebende noch Auskunft zu geben über die traumatischen Erlebnisse während und am Ende des Zweiten Weltkriegs. Was sehen Kinderaugen, wenn die Stadt nach einem Bombenangriff in Trümmern liegt? Was fühlt ein Kinderherz, wenn es mit Tod, Trauer, Wut und Verzweiflung hautnah konfrontiert wird?
Das hier vorgestellte Buch ist weit mehr als nur ein „Begleitbuch“ zur Filmreihe. Seine Lektüre macht betroffen und gibt uns „Nachgeborenen“ erstmals umfassend Einblick in eine Zeit, die wir meist nur aus Schwarzweiß-Aufnahmen kennen, die ihrerseits den Schrecken des Krieges zu beschreiben versuchten. Solche alten Filme und Berichte blieben aber immer seltsam abstrakt und rein dokumentarisch. Ganz anders jedoch dieses Buch: Plötzlich wird alles greifbar, nachvollziehbar, mitfühlbar. „Oral History“ – erzählte Geschichte also – ist der Schlüssel zum wahren Verständnis. In „Kriegskinder“ kommen hochbetragte Menschen zu Wort (im Buch wie in dem ausgezeichneten Dokumentarfilm) und erfüllen die blassen Schwarzweißbilder mit Leben und bringen Farbe hinein.
Man kennt das Phänomen, wenn man alte Menschen bittet: „Erzähl‘ doch mal, wie es in Deiner Kindheit war…“: Plastischer noch, greifbarer und sicherlich / sichtbar schmerzhafter als „glückliche Kindheitserinnerungen“ sind jedoch jene hier unisono und in Tausend Facetten beschriebenen, traumatischen Erlebnisse der Kriegskinder. Sie geben ein glasklares, in vielen Aspekten neues Bild dieser bleiernen Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Herrschaft und lassen den Leser Teil haben an den gefühlen der Hilflosigkeit, der Angst und der Ungewissheit der Kinder jener Tage.
Nicht nur eröffnet die Lektüre dem wachen Leser Türen zu Hunderten von Parallel-Geschichten, sondern schärft auch den Blick für ganz gegenwärtiges Leid in den aktuellen Kriegs- und Krisengebitenen der Welt. Auch heute noch wie damals gibt es für die Kriegskinder kaum und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen eine psychologische post-traumatische Betreuung; die große Mehrheit der Kinder wird auch heute noch ihrem Schicksal selbst überlassen.
So tragen auch heute die Kriegskinder des Zweiten Weltkriegs die Narben ihrer Kindheitswunden mit sich herum und werden diese schrecklichen Erinnerungen ihr Leben lang nicht los.
„Kriegskinder – Erinnerungen einer Generation“ ist ein Buch, das aufrüttelt und uns Friedenskinder ahnen lässt, welcher gewaltigen Anstrengung es für diese Generation der Hochbetagten bedurfte, sich nach dem Krieg nicht ins eigene Schicksal zurück zu ziehen sondern aus den trümmern ihrer eigenen Kindheit und aus dem Schutt unserer Städte ein bis heute friedliches Europa aufzubauen.
Titel: Kriegskinder – Erinnerungen einer Generation
Autor: Yury und Sonya Winterberg
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Rotbuch
ISBN: 3867890714
EAN: 978-3867890717