N.N.: „Der Untergang der Titanic – Nach Berichten von geretteten Augenzeugen“

Auf den großen Flüchtlingsschiffen des Zweiten Weltkriegs, der „Cap Arkona“ und der „Wilhelm Gustloff“ ertranken weit mehr Menschen in den kalten Fluten der Ostsee. Auf dem Weg nach Lampedusa kommen täglich Flüchtlinge aus Nordafrika in ihren Booten ums Leben. Und trotzdem übt auch heute noch der Untergang der Titanic eine seltsame Faszination auf uns aus. Vielleicht weil gerade die Titanic jenen unglaublichen Luxus und gleichzeitig jenes unbeschreibliche Grauen in einem Namen vereint.

Am 14. April 1912 wurde südlich von Neufundland ein unentdeckter Eisberg für den größten Luxus-Liner seiner Zeit zum Verhängnis. Die „Titanic“ sank auf ihrer Jungfernfahrt kurz vor Erreichen des Reiseziels New York. Seitdem ist das Schicksal der „Titanic“ in vielen Romanen und Filmen beschrieben worden. Das unfassbare Unglück, das ungefähr 1500 Passagieren das Leben kostete. Nach der Kollision mit dem Eisberg versank das Schiff innerhalb von nur 40 Minuten in den eisigen Fluten des Nordatlantiks. Doch immerhin mehr als 600 Menschen konnten damals gerettet werden. Damals galt die Devise „Frauen und Kinder zuerst!“, und man hielt sich daran. Wer ein Mann war, hatte schlechte Karten bei den Rettungsaktionen.

Hundert Jahre nach dem Unglück ist die „Titanic“ in der kollektiven Wahrnehmung mit jener Filmszene verschmolzen, in der Leonardo di Caprio und Kate Winslet eng umschlungen am Bug des riesigen Schiffes im Fahrtwind stehen. Ein schönes, zu Tränen rührendes Bild, doch was geschah damals wirklich?

Bereits 1912 erschien im Leipziger Verlags-Comptoir ein schmales Büchlein mit dem Titel „Der Untergang der Titanic – Nach Berichten von geretteten Augenzeugen“. Der Leipziger reprint-Verlag hat jetzt pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum dieses hübsche kleine Buch neu aufgelegt.

Dem Berichterstatter gelingt es im ersten Teil, die gewaltige ingenieurtechnischen Leistungen der Schiffswerft Harland & Wolff in Belfast heraus zu stellen, die beim Bau der „Titanic“ als größten Liner der White-Star-Linie mit allem erdenklichen Luxus erbracht wurden. Mit ihrer Fertigstellung übertraf die „Titanic“ ihr Schwesterschiff, die „Olympic“, sowohl an Größe als auch an Ausstattung. Mit der „Titanic“ sollte auch der Streckenrekord der Cunard-Linie für die fahrt von Southhampton nach New York eingestellt werden, der zu dieser Zeit 5 Tage, 11 Stunden und 37 Minuten betrug.

Wäre die „Titanic“ nicht gesunken, so wäre sie etwa für ein Jahr das größte Schiff der Welt geblieben. Danach wurde sie von der 1913 fertig gestellten „Imperator“ der HAPAG-Linie abgelöst, die später für die Cunard-Linie fuhr.

Die Jungfernfahrt der „Titanic“ von Southhampton nach New York übertraf alle bisherigen Atlantik-Fahrten und war eine echte logistische Herausforderung, die in dem kleinen Büchlein beschrieben ist. 75.000 Pfund Fleisch, 35.000 frische Eier, 25.000 Pfund Geflügel, 40 Tonnen Kartoffeln, 1000 Tonnen Tee usw. – wohlgemerkt: alles nur für etwa 5-6 Tage Fahrt.

Was den besonderen Charme und den Reiz des Buches ausmacht, ist in erster Linie sein Erscheinen kurz nach dem Unglück. Die Erschütterung, die jenes Schiffsunglück in der westlichen Welt ausgelöst haben muss, ist noch deutlich zu spüren. Die „Titanic“ galt als unsinkbar, wie man immer wieder hörte. Ein tödliches Unglück war einfach jenseits des Vorstellungshorizonts jener Zeit.

Umso dramatischer klingen die in diesem Büchlein versammelten Augenzeugenberichte. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass diejenige, die hier berichten, in einer Welt lebten, die noch keine Weltkriege miterlebt hatte und deren größte geistige Erschütterungen wahrscheinlich in familiären Dissonanzen und schlimmstenfalls in kleinen Verwerfungen der Weltpolitik bestanden. Wie schockierend muss da der Untergang eines unsinkbaren Schiffes mit all seinem Luxus und seinen vielen hundert Passagieren auf diese Menschen gewirkt haben.

Augenzeugen berichten von dramatischen und tumultartigen Szenen bei der Besteigung der Rettungsboote. Sechs Chinesen hatten sich unter den Sitzen versteckt und wurden teilweise von den über ihnen sitzenden Passagieren zerquetscht. Ein Mann musste mit Revolvergewalt am Einsteigen gehindert werden. Wenige Frauen blieben lieber bei ihren Männern auf dem Schiff und wählten den Tod. – Die Atmosphäre auf der sinkenden Titanic muss schaurig gewesen sein.

„Der Untergang der Titanic“ von 1912 ist ein schmales, aber sehr spannendes Büchlein, das sich für jeden Titanic-Fan lohnt. Die Sprache des Textes ist nüchtern und sachlich. Die Geschichte des größten Schiffsunglücks seiner Zeit fesselt dafür umso mehr.

Autor: N.N.
Titel: „Der Untergang der Titanic – Nach Berichten von geretteten Augenzeugen“
Gebundene Ausgabe: 80 Seiten
Verlag: Reprint Verlag, Leipzig; Auflage: Neuausgabe des Originalwerks Leipzig 1912 ISBN-10: 3826230167
ISBN-13: 978-3826230165