Wie sieht ein guter Staat aus? „Nie waren die Ausgaben der Wohlfahrtsstaaten so hoch wie heute. Nie war der Grad der Verschuldung dieser Staaten so groß wie heute. Nie war die Krise der Wohlfahrtstaaten so manifest wie heute. Aber liefern die Staaten ihren Bürgern für das viele Geld wenigstens ausreichend Wohlfahrt, Sicherheit und Gleichheit? Hat das Ganze wenigstens irgendeinen erkennbaren Nutzen? Lohnt sich der üppige Staat?“
Rainer Hank, der diese Fragen stellt, hat auch eine klare Antwort parat: nein. Die Staatsausgaben werden von Jahr zu Jahr höher, die Ausgaben treiben die Neuverschuldung in nie gekannte Höhen, und der paternalistische Staat fährt seit Jahren ein beispielloses Programm zur umfassenden Entmündigung seiner Bürger. Das können wir uns eigentlich schon lange nicht mehr leisten, aber das politische Tagesgeschäft ist zu einem sich selbst erhaltenden System mutiert, zu einem sich immer wiederholenden Kreislauf, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Der Staat bietet uns zu wenig Gegenleistung für die immensen Forderungen, die er an uns stellt. Die Frage nach dem Sinn des Staates hat sich wohl jeder schon einmal gestellt. Gefühlt sind die Steuerforderungen des Finanzamts unverhältnismäßig. Wer kann, wehrt sich als Selbständiger gegen die überzogenen fiskalischen Forderungen durch den Einsatz eines versierten Steuerberaters und die Abschreibung auch noch der letzten Klorolle des eigenen Büros. Wer angestellt ist, dem bleibt nur das kollektive Stöhnen über die hohe Steuerlast und die begrenzten Möglichkeiten der individuellen Abschreibung. Steuern zahlen möchte eigentlich keiner. Doch auch wer keine Steuern zahlt, sondern im Gegenteil von staatlicher Unterstützung lebt, ist unzufrieden. Alle meckern gegen den Staat und keiner scheint zu merken, wie dumm diese Haltung eigentlich ist.
Wir Steuerzahler geben dem Staat eine Menge Geld und erhalten dafür scheinbar immer weniger Leistungen. Früher waren die Straßen besser in Schuss, die Kindergärten nicht überfüllt, die Schulausbildung gesichert, die öffentliche Infrastruktur intakt, Freibäder und Büchereien in Überzahl vorhanden und die eigene Wohngegend sicher. Früher war alles besser – Dieses Gefühl ist nicht nur mit dem neurologischen Prozess einer positiven Verklärung der Vergangenheit zu erklären, sondern in großen Teilen wirklich wahr.
Dabei hat niemand jemals behauptet, dass wir ein Recht auf gleich bleibende Verhältnisse haben. Die Zeiten ändern sich eben doch, und der Wohlfahrtsstaat, wie wir 40- bis 60-jährigen ihn zeitlebens kennen gelernt haben, hat seine goldenen Zeiten längst hinter sich. Das Problem ist nur, dass es sich die Politiker scheinbar zur Aufgabe gemacht haben, diesen Wohlfahrtsstaat auch in turbulenten und stürmischen Umbruchphasen, wie wir sie gerade mit den weltweiten Krisen erleben, als unveränderbares Erfolgskonzept gegen alle Vernunft weiter verteidigen zu wollen.
Die Zeit des Wohlfahrtsstaates ist vorbei, was kaum jemand wahr haben will und zu dem nur wenige eine wirklich akzeptable Alternative sehen. Also wird von Staatsseite weiter gefordert und gefördert, unterstützt und ein zukünftiges Rentensystem propagiert, für das, wie eigentlich alle wissen, überhaupt kein Geld mehr vorhanden sein wird.
Bei all diesem Lamentieren über einen Staat, der seine Bürger bevormundet, ihnen Entscheidungen von vornherein abnimmt und die Gefahren falschen Handelns auf ein Minimum zu beschränken versucht, darf eines nicht vergessen werden: Der Staat ist weder ein abstraktes Gebilde noch eine feindliche außen stehende Macht, die man je nach Bedarf beschimpfen, bekämpfen oder behumpsen kann, sondern der Staat sind wir alle.
Die parlamentarische Mehrheitsdemokratie ist eine Staatsform, die sich in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als Erfolgsmodell bewiesen hat. Die Interessenvertretung der Bürger durch Abgeordnete, die nicht nur einem Plebiszit, sondern auch dem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich sind, zeichnete unsere Form der Demokratie ebenso aus wie ihre Sozialreformen und das Solidaritätsprinzip in den Gesundheits- und Rentenversicherungs-Systemen.
All dies führte in den ersten 50 Jahren seit der Staatsgründung der Bundesrepublik zu einem beispiellosen Wohlstand in unserem Land und zu einem Wohlfahrtsstaat, in dem es nur den Weg nach oben gab. Spätestens mit der Jahrtausendwende und der New-Economy-Blase begann der Weg steiniger zu werden. Nunmehr geben sich in ganz Europa und der westlichen Welt die Krisen die Klinke in die Hand und haben zu einer neuen globalen Situation geführt.
Was man kennt, mit dem kann man sich arrangieren, auch wenn es mal nicht mehr so gut läuft wie früher. Das Unbekannte aber macht Angst. Dies trifft vor allem zu, wenn es um elementare Fragen wie die soziale Absicherung und die Gestaltung der eigenen Umwelt geht. Daher fällt es uns so schwer, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass aus dem Erfolgsmodell des behütenden und unseren Wohlstand sichernden Wohlfahrtsstaates ein Auslaufmodell geworden ist.
Was macht man, wenn man weiß, dass etwas vorbei ist, obwohl man es nicht aufgeben möchte? Man schließt die Augen, versucht ganz fest, an etwas anderes zu denken, und verfolgt diese Vermeidungsstrategie nach allen Kräften. Jene Kräfte wären zwar viel besser eingesetzt, wenn man nach neuen Lösungen suchte und sich nach alternativen Wegen umsähe. Aber der Mensch ist wie er ist.
Wie wenig die Höhe der staatlichen Ausgaben oder die Freiheitlichkeit der Regierungsform mit dem subjektiven Glück der Bürger im internationalen Vergleich zu tun hat, zeigt eine hübsche Gegenüberstellung der Zahlen, die Rainer Hank in seinem Buch veröffentlicht. Kurz gesagt, sind die großzügigsten Staaten weder die freiesten, noch die mit den glücklichsten Bürgern. Das beweist zwar lediglich, was man ohnehin schon geahnt hatte, nämlich dass Glücksempfinden ein rein subjektives Gefühl ist, dennoch ist der fehlende Zusammenhang zwischen staatlicher Förderung und individueller Zufriedenheit mehr als deutlich.
Rainer Hank beschäftigt sich im zweiten Teil seines neuen Buches „Die Pleite-Republik“ mit jener Suche nach Alternativen zum alten Wohlfahrtsstaat, der sich selbst überlebt hat, weil er seine Sozialausgaben immer weiter in die Höhe treibt und sich gleichzeitig immer ineffizienter bei der Umsetzung seiner Aufgaben zeigt.
Während es in Zeiten der Krisen immer lauter werdende Rufe nach „mehr Staat“ und einer Eingrenzung und Bekämpfung der Kräfte des Freien Marktes gibt, plädiert Rainer Hank eher für eine weitere Verschlankung staatlicher Kompetenzen und seiner Eingriffsmöglichkeiten sowie für einen massiven Abbau staatlicher Förderungs- und Verteilungsausgaben und setzt vielmehr auf eine neu erwachende Mündigkeit der Bürger, die ihren Staat von innen heraus verändern.
Als ein positives Beispiel neuer Staatenmodelle und experimenteller Lebensformen stellt der Autor die „Charter Cities“ des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Paul Romer vor. Bei den Charter Cities handelt es sich, verkürzt gesagt, um neue Kleinststaaten, die sich auf dem platten Land gründen, sich eigene Gesetze und Ordnungen und eine eigene Währung für den Handel geben. So stellen Charter Cities eine Art Produkt dar, das von Interessenten als alternatives Angebot zu den eigenen staatlichen Verhältnissen betrachtet und bei Bedarf angenommen werden könne.
Auch Pippi Langstrumpf war eine Meisterin der Visualisierung. „Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt!“ sang sie vor vielen Jahrzehnten. Ähnliche Gedanken scheinen auch die Visionäre der Charter Cities zu haben. Wenn alle Staaten um mich herum versagen, dann gründe ich eben meinen eigenen und pfeife auf meinen alten Staat und seine Bürger. Es klingt schon ein wenig nach dem Traum des alten Wilden Westens im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Trotzdem hilft das uramerikanische Denkmodell der Charter Cities, sich von den vermeintlichen Zwängen der vorgegebenen Strukturen frei zu machen und den Kopf für alternative Wege zu öffnen.
Rainer Hank ist ein Verfechter des Abbaus von Sozialausgaben und anderen Formen staatlicher Bevormundungs-Finanzierung. Er träumt von einem mündigen Bürger, der in einem schlanken Staat weder durch eine hohe finanzielle Belastung erdrückt, noch durch staatliche Eingriffe in seinem Handeln eingeschränkt wird. Es ist ein Traum, der direkt aus dem Herzen der oberen Mittelschicht zu stammen scheint, das in solch einem visionären Staat durchaus mehr Entfaltungsmöglichkeiten hätte und diese Chancen auch nutzen würde.
Dieses schlanke Staatenmodell mit mündigen und aktiven Bürgern hat nur leider einen kleinen Nachteil: Die Mehrheit der Bürger ist von solch einer Mündigkeit und dem Wunsch nach aktiver und fördernder Verantwortung für das eigene soziale und infrastrukturelle Umfeld in etwa so weit entfernt wie unser Staat von seiner Schuldenfreiheit.
Die sozialen Verwerfungen der vergangenen Jahre haben zu einer universellen Unsicherheit geführt, die uns der These Thomas Hobbes’, dass „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ sei, näher bringt, als uns lieb ist. Wenngleich wir noch lange nicht so weit sind, dass wir einander lieber zerfleischen als uns zu helfen, so ist heutzutage jeder zu allererst auf sich selbst und seinen eigenen Vorteil bedacht. Den sozialen Grundgedanken der Solidarität haben die meisten aus ihrem aktiven Wortschatz gestrichen.
Es gäbe also sehr viel zu tun, um eine „Erziehung zur Mündigkeit“, wie es Rainer Hank nennt, in unserer Gesellschaft in Gang zu bekommen. Wer in einem Umfeld mit geringer Risikokompetenz aufgewachsen ist, neigt selbst eher zu einem ängstlichen Verhalten und geringer Mobilität. Das haben Studien gezeigt, und wer sich in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands umsieht, weiß, dass die Jugendlichen dort lieber auf der eigenen Scholle verharren und ein bescheidenes Leben führen, als ihr finanzielles Glück als mobiler Wanderarbeiter zu suchen. Es ist nicht nur das Phänomen der Heimatverbundenheit, sondern vor allem eine von den Eltern vorgelebte geringe Risikobereitschaft, die unsere ländliche Bevölkerung auszeichnet.
Anders ist das natürlich in den USA, wo man im Leben mehrmals umzieht, immer wieder neue Jobs hat und ein Leben im Planwagen führt. Das hat dort Tradition und bei uns eben nicht. Daher fallen auch die viele Ländervergleiche, die Rainer Hank in seinem gut und leidenschaftlich geschriebenen Buch anführt, mitunter etwas problematisch aus.
Man kann eben nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wer die Sozialausgaben in Deutschland mit denen der Schweiz, Neuseelands, der USA und Hongkongs gegenüber stellt, macht zwar genau das – Zahlen gegenüber stellen -, verdrängt aber bewusst oder unbewusst die Tatsache, dass Menschen nicht überall auf der Welt gleich sind und auch nicht überall dasselbe wollen. Prozentuale Angaben verschleiern diese Problematik und gaukeln eine Vergleichbarkeit vor, die nur scheinbar existiert.
Interessant werden diese Vergleiche jedoch unter dem Aspekt der verschiedenen Ansätze zur Finanzierung eines Staatswesens. Obwohl die Gesellschaften jener Länder mit den gesellschaftlichen Strukturen Deutschlands nur rudimentär vergleichbar sind, können andere Staatenmodelle durchaus zu kreativen Prozessen und innovativen Ansätzen führen, die uns langfristig zu einem Umdenken und damit auch irgendwann aus der Krise helfen können.
Hierzu bedarf es jedoch einer offen und engagiert geführten Diskussion auf einer breiten und auch außerparlamentarischen Basis, und genau das scheint im Moment ein Problem zu sein. Denn die Regierung ist nicht nur durch die politischen Ereignisse, sondern auch durch die zunehmende Forderung nach einer verstärkten Transparenz durch die neuen Medien unter einen derart starken Handlungsdruck geraten, dass langwierige Grundsatzdiskussionen über alternative Modelle nahezu unmöglich werden.
Diese Aufgabe wird denjenigen zuteil werden, die als Summe aller Individuen diesen Staat ausmachen: wir alle. Wir alle sind dazu aufgefordert, den Staat nicht als ein feindliches gegenüber zu betrachten, sondern als eine Manifestation unserer Gesellschaft, die wir selbst zu verantworten haben. Es liegt letztlich an uns, wie wir unseren Staat gestalten.
So gelangen wir auf direktem Wege zu den elementaren politischen Aufgaben eines jeden Bürgers, sich für seinen Staat zu engagieren und die Gesellschaft als sein näheres und weiteres Umfeld verantwortlich mitzugestalten. Der Staat sind wir. Wir selbst entscheiden, wie wir uns regieren lassen. Der Homo politicus und der Homo oeconomicus verhalten sich hierbei wie die zwei Seiten einer Medaille.
Rainer Hank setzt seine Zuversicht vor allem auf den Homo oeconomicus, der dank seiner Kaufkraft und seines wirtschaftlichen Handelns die Gesellschaft aktiv unterstützt und seinen Staat in jene Schranken zurück verweist, die seine ursprüngliche Handlungskompetenz darstellen. Er kauft dem Staat, bildlich gesprochen, seine Politik nicht mehr ab, sondern sorgt durch sein wirtschaftliches Handeln für eine Kurskorrektur.
„Wer Zweifel an der parlamentarischen Mehrheitsdemokratie anmeldet, gerät schnell in Gefahr, als Verfassungsfeind abgestempelt zu werden. Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, dass die Demokratie historisch und theoretisch immer schon mehrere legitime Formen durchgespielt hat, auch wenn (…) Rousseau und der demokratische Sozialismus nicht ohne Erfolg versucht haben, die ‚Tyrannei der zufälligen Mehrheit’ als einzig wahre Demokratie darzustellen. Dass schließlich die repräsentative (Mehrheits-)Demokratie historisch gesiegt hat, ist noch kein Beweis ihrer faktischen Überlegenheit.“ schreibt Rainer Hank.
Mit unserer parlamentarischen Demokratie ist es so wie mit unserem Wohlstand: Beide sind keine gottgegebenen und ewig gültigen Wahrheiten, sondern veränderliche Zustände, die kritisch hinterfragt und verändert oder verteidigt und bewahrt werden können und müssen.
Weniger Staat bedeutet mehr Handlungs- und Gestaltungsfreiheit für den Bürger. Es bedeutet auch mehr Risiko und weniger Absicherung. Es ist die Vision eines schlanken Staates mündiger und aktiver Bürger, die sich selbst verwalten und ihr infrastrukturelles Umfeld fördern. Es ist eine schöne Vision, die vielleicht irgendwann in weiter Ferne wahr werden könnte.
Doch bis dahin liegt noch ein langer Weg vor uns. Es ist der steinige Weg der kommenden Jahre, die auch über den Fortbestand unseres Staates und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft entscheiden werden. Die Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Staatskrisen wird zu einer existenziellen Frage für unseren Staat. Er wird seine Aufgabe als Versorger noch eine Weile erfüllen müssen, bevor die Notwendigkeit privater Vorsorge und der Übernahme eigenverantwortlichen Handelns von breiten Schichten der Bevölkerung verinnerlicht worden ist.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aber wir sollten keine Zeit mehr mit Jammern und Lamentieren vergeuden, sondern uns gemeinsam auf den Weg machen. Ist erst der erste Schritt getan, so fallen die weiteren Schritte leichter, als man denkt.
Wie der Weg in ein mündiges Bürgertum aussehen könnte, hat Rainer Hank in seinem Buch ausführlich beschrieben. Seine Thesen könnten als Grundlage für eine fruchtbare Debatte dienen.
Als Publizist, Autor und Ressortleiter Wirtschaft der FAS beschäftigt sich Rainer Hank seit vielen Jahren mit ökonomischen und politischen Themen. Er hat in den vergangenen Jahren einige erfolgreiche Sachbücher geschrieben, in denen es um die Finanzkrise nach der Lehman-Pleite 2009 oder um andere wirtschaftspolitische Fragen geht.
Er weiß also genau, wovon er redet. Sein Buch kann uns wichtige Impulse geben und zeigen, wie wir unseren Staat in eine neue Zukunft führen und wieder zu mündigen und selbst bestimmten Bürgern werden können. Die Krise unseres Staates geht uns alle an. Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn wir diese Einsicht verinnerlicht haben, geht es eigentlich nur noch darum zu klären, wie wir gemeinsam das Wasser aus dem Boot schöpfen…
Autor: Rainer Hank
Titel: „Die Pleite-Republik – Wie der Schuldenstaat uns entmündigt und wie wir uns befreien können“
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
Verlag: Karl Blessing Verlag
ISBN-10: 3896674218
ISBN-13: 978-3896674210