Interview mit Tilman Birr auf der Leipziger Buchmesse 2012 zu seinem Buch „On se left you see se Siegessäule“

RALPH KRÜGER: Ein schönes Buch haben Sie da geschrieben, Herr Birr. Sie kommen ja ursprünglich aus der Kabarett-Szene – oder wie würden Sie sich beschrieben?

TILMAN BIRR: Ursprünglich komme ich ja aus der Lesebühnen-Szene. Und das merkt man meinen Geschichten sicherlich auch an, allein schon durch die Länge. Kabarett ist etwas, das ich gemacht habe. Das Label habe ich mir gegeben, weil sich die Meisten darunter etwas vorstellen können. Wenn ich sage, ich habe Lesebühnen-Geschichten geschrieben, und die lese ich dann vor, dann sagt der große Teil, die sich mit Lesebühnen nicht auskennen nur: „Hääh?!“ Aber mein erstes Kabarett-Programm, das ich bislang gespielt habe, waren auch Lesebühnen-Geschichten, die ich dann vorgelesen habe. Die meisten Geschichte habe ich dann, weil sie ja dialogbasiert waren, gespielt und manchmal auch ein paar Lieder dazu gespielt – und was da am besten als zusammenfassende Bezeichnung passt, ist der Begriff „Kabarett“.

RALPH KRÜGER: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben, und wieviel Autobiografisches steckt da drin?

TILMAN BIRR: Ich habe diesen Job tatsächlich gemacht, und ich war auch in der Situation, in der sich der Protagonist sieht, nämlich: Jetzt habe ich fertig studiert, bin Geisteswissenschaftler und muss mir die Frage stellen, ob ich jetzt auch unbezahlte Praktika machen wie alle meine anderen Freunde? Eigentlich möchte ih doch nur so ein bisschen im Park sitzen und Bier trinken…

RALPH KRÜGER: Was haben Sie studiert?

TILMAN BIRR: Geschichte. – In dem Buch kommen ja Schlägereien vor, und es gibt Leute, die ausfallend werden, einer springt über Bord usw. – Das ist natürlich alles literarische Verdichtung. Ich habe keinen Kollegen gehabt, der über Bord gegangen ist, aber im Buch kommt einer vor. – Ich kannte die Situation, wie sie auf dem Schiff ist. Ich wusste, welche Leute da kommen und wie die Atmosphäre ist. Mit dem, was man halt sonst noch über Menschen weiß, die man mal irgendwo anders gesehen hat, kann man sie einfach auf das Schiff verpflanzen und ein paar Gewürze dazu geben, und so wird es eine schöne Geschichte.

RALPH KRÜGER: Es ist auf jeden Fall ein sehr unterhaltsames Buch geworden, dass trotz der berüchtigten Berliner Schnauze doch ein gewisses Niveau behält, das glücklicherweise zum Beispiel über das Niveau eines Mario Barth weit hinaus geht…

TILMAN BIRR: Es gibt natürlich auch diese Episoden, die so ein bisschen „auf die Kacke hauen“, wenn zum Beispiel ein Herrentagsgruppe auf dem Ausflugsschiff ist und dann mit Biergläser schmeißt und so. Aber es gibt auch diese Geschichte, die viele toll finden, wenn da ein paar Amerikaner aufs Schiff kommen und fragen: Was ist denn nun eigentlich dieses Preußen? – Und dann reflektiert der Protagonist vier, fünf Seiten über die Geschichte Preußens und kann am Ende auch nur sagen: „Das ist Norddeutschland und der Osten“…

RALPH KRÜGER: Das ist ja das Schöne an Ihrem Buch, dass eigentlich für jeden Leser etwas dabei ist, sowohl für den Akademiker als auch für den durchschnittlichen Leser von Unterhaltungsliteratur.

TILMAN BIRR: Das ist eben so, wie ich schreibe. Ich habe mir da keine große Mühe gegeben, den Text unbedingt massenkompatibel zu machen.

RALPH KRÜGER: Wie ist denn nun der Text entstanden. Von der Verlagsleiterin Ihres Verlags habe ich gehört, dass die Texte eher unsortiert beim Verlag angeliefert wurden. Wie sind Sie an das Schreiben heran gegangen?

TILMAN BIRR: Das Vormanuskript waren ca. 60 Seiten. Ich hatte versuht, das schon damals in eine Sortierung zu bringen, aber anfangs war noch kein Spannungsbogen drin, und es war im Grunde nur erkennbar, was für einen Stil das hat und welche Geschichten man erwarten kann. Die Idee kam eigentlich daher, dass ich sowieso schon mit einer Literaturagentur zusammen gearbeitet hatte und der meinen Stapel Geschichten geschickt hatte. Und eine Geschichte, die es damals schon gab, spielte auf dem Ausflugsschiff. In dem Buch heißt sie jetzt „Cerveza“, ursprünglich hieß sie anders. Aber dann sagte der Agent: „Ach, das ist ja interessant! das haben Sie wirklich gemacht? Dann machen Sie damit mal weiter…“ – Und so habe ich eben angefangen, und dann tauchten immer mehr Geschichten auf, und am Ende stand da ein Buch.

RALPH KRÜGER: Das war also ein Ferienjob für Sie?

TILMAN BIRR: Ich war tatsächlich in derselben Situation wie der Protagonist dieses Buches, der ja auch zufällig Tilman heißt. Dass ich fertig studiert hatte und irgendwas arbeiten musste, und dann hatte ich zufällig einen Freund eines Freundes, der diese Arbeit machte und meinte: „Och, bewirb‘ dich doch mal. Ich mach‘ das, und das ist ganz angenehm…“ Ich dachte mir: „Mensch, der hat recht! das ist bestimmt ganz angenehm. Ich kann einfach nur auf dem Schiff sitzen, muss mich nicht bewegen, kann einfach nur reden, das, was ich aus dem Studium ja sowieso schon weiß, und Recherchieren habe ich ja gelernt…“ Dann habe ich das gemacht, und es war in der Tat ein sehr angenehmer Job.

RALPH KRÜGER: Mit viel Trinkgeld?

TILMAN BIRR: Ja, es hing natürlich immer darauf ab, wie viele Leute auf dem Schiff waren und wie die allgemeine Stimmung war und das Wetter und so. Aber ich musste während dieser Zeit nicht ein einziges Mal zum Geldautomaten gehen. Ich musste natürlich immer alles mit Münzen bezahlen, aber ich hatte immer Kleingeld in der Tasche.

RALPH KRÜGER: Vielleicht können Sie unseren Lesern noch etwas über Ihre Aktivitäten bei der Lesebühne erzählen. Sie sind ja der Betreiber der „Lesebühne Ihres Vertrauens“ in Frankfurt.

TILMAN BIRR: Die Lesebühnen habe ich kennen gelernt, als ich 2000 nach Berlin gezogen bin, und habe mir dann gedacht, warum gibt es das eigentlich nicht auch in Frankfurt? Ich hatte damals schon in Berlin gewohnt, dann aber in Frankfurt angefangen. Anfangs war das Ganze noch sehr wackelig und mit wechselndem Stamm. Seit vier, fünf Jahren sind wir ein fester Stamm. Wir sind insgesamt zu viert und lesen einmal im Monat unsere Texte vor in einem kleinen Laden, der „Ponyhof“ heißt. Früher war es anders, aber mittlerweile sind wir alle Profis: Severin Groebner ist dabei, ein Kabarettist aus Wien, der lange in Bayern wohnte und jetzt in Frankfurt zu Hause ist; Elis ist auch ein Lesebühnenmensch, der lange in Berlin Lesebühne gemacht hat; und Lisa Danulat, eine Dramatikerin, die aber auch Lesebühne kann und die in der letzten Saison am Staatstheater in Mainz Hausautorin war. Seit ein paar Jahren erfreuen wir uns wachsender Beliebtheit. In den Laden passen 90 Leute rein, wenn wir sie quetschen, aber wir müssen immer wieder welche wegschicken, weil wir sonst Ärger kriegen wegen der Brandschutzbestimmungen… Da ist also meine künstlerische Heimat und natürlich auch meine emotionale. Das ist wirklich die Veranstaltung, die mir am liebsten ist.

RALPH KRÜGER: Kann man von so etwas leben?

TILMAN BIRR: Von der Lesebühne allein kann man nicht leben. Wir machen das ja als Veranstaltung in einer Kneipe und nehmen nicht mehr als fünf Euro, und dann kann man sich ausrechnen, wenn 90 Leute reinpassen, was dabei rumkommt. Es war aber natürlich für den Anfang, als ich noch studiert hatte, war das der Ort, an dem ich gelernt habe. Im Gespräch mit Kollegen und mit meinem eigenen Trial & Error-System habe ich mein Handwerk auf jeden Fall auf den Lesebühnen gelernt.

RALPH KRÜGER: Mit dem neuen Programm zu dem Buch gehen Sie ja auch demnächst auf Tour…

TILMAN BIRR: Das Programm besteht dann aus Buchlesung mit Musik. Ich lese dann aus dem Buch vor, und dann spiele ich auch noch ein paar Lieder dazu, die thematisch nicht unbedingt was mit dem Buch zu tun haben, aber es lockert die Sache ein bisschen auf. Also eine Buchlesung mit Musik.

RALPH KRÜGER: Haben Sie das neue Programm denn shon mal aufgeführt?

TILMAN BIRR: Ich habe schon mal ein paar Geschichten aus dem Buch gelesen, aber in Berlin am ersten Aprilwochenende im Kookaburra und am 9. April in der Lach-und-Schieß-Gesellschaft in München geht es dann richtig los. Diese beiden Termine nehme ich für mich als Premieren für das neue Programm wahr. Das Schöne an der Buchlesung ist ja auch, dass es sich immer wieder verändern wird. E wird nicht immer derselbe Text gelesen, und die Musik wird sich wahrscheinlich auch ändern.

RALPH KRÜGER: Aber Sie haben doch schon öfters Teile aus dem Buch gelesen. Wie waren da die Reaktionen aus dem Publikum?

TILMAN BIRR: Die Reaktionen waren gut. Ich habe ja auch ein Hörbuch aufgezeichnet zu diesem Buch. Das haben wir in Frankfurt, Berlin und München gemacht. In Frankfurt waren die Publikumsreaktionen meine Erwartungen weit übertroffen. Man darf auch das Hörbuch kaufen, dann hört man immer den Kollegen Severin Groebner im Hintergrund immer lachen: „Hä! Hä! Hä! Hä!“ – In Berlin war’s auch super. Ich habe bis jetzt noch keinen Abend erlebt, wo ich aus dem Buch gelesen habe und die Leute sagten, naja, war ganz schön, aber phhh – mehr auch nicht…

RALPH KRÜGER: „On se left you see the Siegessäule“ ist also jetzt auf dem Markt. Was kommt danach? Haben Sie schon Pläne? Werden Sie jetzt Schriftsteller oder bleiben Sie in der Grauzone zwischen Autorenschaft und Lesebühne…

TILMAN BIRR: Man will ja immer ganz viel. Ich will natürlich weiter Musik schreiben, ich will auch Bücher schreiben, und ich will auch auftreten. Was jetzt genau passiert, weiß ich auch nicht. Ich würde natürlich auch gern mal einen Roman schreiben, aber das ließe sich eher schwer auf eine Kabarett-Bühne bringen. Da kann man natürlich eine Romanlesung machen, aber das wäre eben etwas ganz Anderes. Das würde ich dann eher nicht in den Kabarett-Läden spielen. Ich kann es selbst nur abwarten und gucken, was passiert. Ich werde natürlich versuchen, in den nächsten ein, zwei Jahren, in denen ich mit dem Programm unterwegs bin, die Musik so weit anzuhäufen, dass ich dann vielleicht so viel Material zusammen habe, dass ich dann eventuell ein Musikprogramm mache… Vielleicht ziehe ich mich auch ein Jahr zurück und schreibe ein Buch… Ich weiß es nicht. Ich muss jetzt erst einmal mit dem neuen Programm anfangen und dann sehen wir weiter.

RALPH KRÜGER: Jetzt muss ich doch einmal genauer nachfragen: Sie reden immer vom Musik schreiben… Wie muss ich mir das vorstellen?

TILMAN BIRR: Na, ich habe da immer eine Gitarre dabei, und dann singe ich Lieder dazu. Man könnte Liedermacher dazu sagen, die Anderen sagen vielleicht kabarettistische Lieder…

RALPH KRÜGER: So in der Art wie Funny van Dannen?

TILMAN BIRR: (lacht) Ich habe ein Lied im Programm, das auf Funny van Dannen anspielt, weil es genau die Akkordfolge und diese Gesangstechnik benutzt, und bei dem am Anfang immer sage: Ich imitiere gerne Menschen, die ich sehr schätze. Freuen Sie sich auf eine Imitation von Funny van Dannen. Dann kommt ein Lied, das auch ohne diesen Hinweis funktionieren würde, aber dieses (er nölt) „La-Na-Na-Na-Na“, das funktioniert da ganz gut. Ja, Funny van Dannen ist einer, der das auch macht, aber da gibt es ja viele davon. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass meine Musik so wie der und der ist.

RALPH KRÜGER: Gibt es Vorbilder?

TILMAN BIRR: Ich finde den Begriff schwierig, weil es so klingt, als wolle ich versuchen, genau so zu sein wie die. Es gibt natürlich Menschen, die ich sehr schätze. Rainald Grebe ist sicherlich einer von denen. Ich selber bin dazu jedoch, glaube ich, nicht fähig oder mache es eben irgendwie anders. Es gibt auch andere Künstler, die ich sehr schätze. Der Kollege Elis ist zum Beispiel so einer, den kennt nur leider niemand. Der hat sich zum Ziel genommen, niemals bekannt zu werden. Der tritt bei meiner Lesebühne auf und sonst nirgendwo. Es gibt also einige, die ich sehr schätze. Aber Vorbilder? Das ist schwierig.

RALPH KRÜGER: Herr Birr, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg mit „On se left you see the Siegessäule“!

TILMAN BIRR: Vielen Dank!